Daniel Olsberg testete für uns Sauerbiere, die glücklich machen.
In der Hand halte ich einen Hauch der alten Welt. Ein Bier, dessen Geschichte zurück auf das Jahr 1821 geht. Dunkel, rötlich und cremig auf der Zunge. Mit einem Klecks Frucht, der mich an feines Fruchtkompott erinnert. Ein Bier, das in einem eleganten Eichenfass gereift sein könnte. Haben Sie Verständnis für nun folgende Schwärmereien: Ich liebe Biere, die mich fesseln und inspirieren. Kleine Momente der Freude, die mich auf eine andere Ebene heben. Biere, die ich zwar nur einen kurzen Moment genieße, aber die lang in Erinnerung bleiben. Nennen wir dieses Gefühl einfach „flow“, oder schlicht und einfach „sein“.
Wenn die kleinen, manchmal spritzigen Kohlensäure-Blasen im Bier sich in eine Fülle von Geschmack verwandeln, entsteht eine fruchtige und angenehme Kulisse aus Tanninen, leichter Säure und Obst, wie man sie sonst nur von anmutigen Dessertweinen kennt. Erfrischend, nicht süßlich. Ein komplexes Bier, im Holz geboren. Eine Cuvée, zu drei Vierteln jung, der Rest des Bieres reift für mehr als zwei Jahre im Eichenfass. Kein Getränk für Jedermann. Dieses Bier passt weder zu Fußball, noch zu lauter Musik oder indischem Essen. Es ist auch kein Drink, der viel in einem Nachtclub getrunken wird, meiner Meinung nach. Es ist ein Bier, das zu einem Buch, einer rustikalen Mahlzeit, einem Kirschkuchen oder einer gemütlichen Pub-Szene (vorzugsweise mit sehr bequemen Sitzen und Kaminfeuer) sowie einer anregenden Diskussion passt. Ein feines Bier, es ist Rodenbach.
Eine Geschichte von vielen Geschmacksrichtungen
Es gibt eine Reihe sehr unterschiedlicher belgischer Sours, also spontangäriger Biere wie etwa Flämisch Rot, Rodenbach Ould Brown, Liefmans Goudenband, Lindermans Lambics und Gueze von Mort Subite. Viele Brauereien brauen wieder diese alten Sorten, die sehr sauer und komplex sind. Einige jedoch haben versucht, ihre Attraktivität zu erhöhen, indem sie die alten Sauren süßen. Entweder durch Pasteurisieren um die Gärung zu stoppen, oder durch die Zugabe von Süßungsmittel. Es gibt sogar zwei deutsche Spontangärige Biere, die ein Comeback erleben: Gose und Berliner Weisse.
Rot und Braun
Ich trank das Rodenbach mit seinen 5,2 % Alc. Vol. an einem Sonntag. Die Außentemperatur lag bei 30° Grad und das Bier wurde passend zu dem warmen Tag auf die empfohlenen 6 – 8 ° Celsius gekühlt. Ich wünschte mir ein Bier mit Geschmack und Tiefe. In Ruhe genießen, Schluck für Schluck. Die Flasche, in der typischen belgischen Größe von 250 ml, war groß genug, um den ersten Durst zu stillen, aber zu klein, um das Volumen zu liefern, das die Sinne mit Geruch, Geschmack und Gefühl überflutet.
Ich wollte das Rodenbach mit einem anderen rotbraunen Bier vergleichen, also öffnete ich eine Flasche Liefmans Goudenband. Die berauschende Nase, die mit einer komplexen Süße kribbelte, öffnete sich auf dem Gaumen zu einer ausgeglichenen Trockenheit und verabschiedete sich mit zaghaftem Aroma. Was mich dazu veranlasste zu vergessen, das ich kein Traubengetränk, sondern ein Produkt des Malzes trank. Sensationell und das bei 8 % Vol. Ein Bier, an dem sich fein nippen lässt. Das Auge erfreut sich eines sanften braunen Tons, und dem Gaumen gefällt der komplexe, angenehme Geschmack.
Erste Sour
Bei meiner gesammelten Bier-Erfahrung: Ich weiß nicht, wie ich zu den Sours kam. Ich erinnere mich an mein erstes Kriek und Fraises (Kirsch und Himbeere) – süß und mit einer sehr geringen Säure. Heute erinnern sie mich eher an Weinschorlen. Doch sie waren die ersten Biere, die meinen Gaumen für die „wilde“ Welt der sauren Biere öffneten. Der Respekt und die Begierde ist liebevoll über die Jahre gewachsen. Für diese Biere wird nicht nur Bierhefe verwendet, sondern auch die Hilfe von Lactobacillus, Pediococcus und einem meiner persönlichen Favoriten Brettanomyces in Anspruch genommen.
Gehen wir in der Geschichte zurück. In die Zeit von Louis Pasteur‘s „Die Studien des Biers“ 1876 und vor 1883 als Emil Hansen entdeckte in der Carlsberg Brauerei reine Hefekulturen zu einer Zeit, als die meisten Biere noch einen Hauch von sauren Noten und Elemente von Holz geprägt waren. Dies waren Biere, die weit weg waren von den reinen Profilen heutiger. Holz-Gärbottiche und Holzfässer beherbergten dank damaliger Brauerei-Hygiene allesamt eine breite Palette von Lebewesen, die in Kombination mit der Sauerstoff-Durchlässigkeit des Holzes zu den Verschiedenartigkeiten des Bieres beitrugen. Abweichungen, die dem Trinker eine Vielzahl von Aromen bescherten. Von Frische und Fruchtigkeit bis hin zur „Pferdedecke“ und „Scheune“ (denken Sie an im Fass gereifte Weine und ihre Geschmackstiefe). Mundgefühl, Alkohol-Niveau, Farbe und Bitterkeit wurden dadurch mitbestimmt. Bevor es in Deutschland so „sauber“ wurde und die Traditionen der Bayern den Norden beeinflussten, gab es auch hier viele solcher Biere. Zwei dieser Biere haben es zum Glück in die Neuzeit geschafft, wie erwähnt die Berliner Weiße und der Leipziger Gose. Die Menschen und Brauereien in Belgien jedoch haben eine lange Geschichte und eine Divergenz dieser Biersorten beibehalten, die zum Glück bis in unsere Zeit überlebte.
Deutschland heute
Dank des Bayrischen Bahnhofs in Leipzig können wir immer noch die Vergangenheit in Gose schmecken. Gose stammt aus dem 16. Jahrhundert und aus Goslar. Dieses alte Bier erinnert mit seiner Mischung aus Weizen- und Gerstenmalz und gewürzt mit Koriander und Salz an ein belgisches Ould Braun. Aber es ist leichter, weniger süß und weniger aufdringlich. Es verfügt über einen weichen, leicht sauren Biss und einen salzigen Nachgeschmack. Mir gefällt, dass dieses Bier der Totenglocke der deutschen Vereinigung (1871) und der Herrschaft des Bayrischen Reinheitsgebots entkam. Es bietet bis heute einen einzigartigen unverwechselbaren alten deutschen Geschmack. Mit nur 4,6 % Vol. ist dies ein Bier, das Sie bittet, noch ein weiteres zu bestellen. Kein Bier für jedermann, aber ein Bier für alle, die einen Schritt zurück in die Vergangenheit machen wollen.
Es gab eine Zeit vor dem Konglomerat, der Rationalisierung und der Reduzierung der Kosten im Namen der Effizienz. Zu dieser Zeit braute eine Vielzahl von dedizierten Berliner Brauereien Berliner Weisse. Bis heute wird es noch von Berliner-Kindl-Schultheiss gebraut. Ein leichtes, sehr saures Bier mit 3 % Vol. Ein Bier mit einer scharfen Milchsäure, die sehr erfrischend ist und einlädt, es mit dem traditionellen Waldmeister- oder Himbeersirup zu mischen. Glücklicherweise ist es bis heute in vielen Supermärkten weit verbreitet. Eine gute Alternative zu einem Alsterwasser oder Radler. Es gibt noch eine kleinere Brauerei in Berlin Moabit, die auch eine sehr schöne Berliner Weiße braut. Das Weisse von Brewbaker, das sehr zu empfehlen ist.
Ein abschließendes Bier
Ich stolperte über eine kleinere belgische Brauerei „Hof den Dormaal“, die 2007 anfing Bier zu brauen, um ihre eigenen Ressourcen besser zu nutzen. Die Brauerei bietet eine Reihe von Bieren an: Ein Amber, ein Blond, ein Saisonales und ein Barrel Aged Blonde Ale. Das Barrel Aged Blonde Ale Limited Edition, in alten Grappa-Fässern gereift, hat eine hellblonde Farbe, einen klaren Körper, eine ausgeglichene Karbonisierung und ist voller reizvoller komplexer Aromen. Die Nase ist sauer, aber noch fruchtig mit Noten von Melone und Maracuja. Diese vereinen sich mit einem subtilen und vielfältigen Geschmack von holziger Tiefe, die mich überraschte und erfreute. Mit einem niedrigen HopfenNiveau und kombiniert mit 12 % Vol. ist das Bier so fein ausbalanciert, dass man es mit Freunden teilen sollte.
Die Zeiten ändern sich wie die Geschmäcker. Modeerscheinungen kommen und gehen. Deshalb ist es gut, dass einige Leute in Monaten und Jahren denken und nicht in Tagen und Wochen. Es braucht Zeit, ein gutes, komplexes saures Bier zu kreieren. Zeit ist Geld. Bottiche und Fässer gefüllt mit Bier sind gebundene Liquidität. Es bedeutet mehr Risiko mit Spontangärung zu arbeiten, und es gibt für das Produkt weniger Abnehmer. Respekt verdienen diejenigen, die bereit sind, zu warten, zu mischen und auszugleichen. Vielen Dank.
Den gesamten Artikel hier zum Download.
Daniel Olsberg ist Kanadier mit schottischen Wurzeln und lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Er betrachtet sich selbst als „Lebensmittelveredler“, da er leidenschaftlich gerne kocht.
Doch vor allem ist er Bierliebhaber und braut seit 1987 sein eigenes Bier.