Gerechten der Kochkunst kommen die Tränen, wenn sie erleben, was deutsche Köche als Gulasch anbieten. Anstelle eines herzhaft dick eingeköchelten, tiefdunkelroten Fleisch-Zwiebel-Saftes, der undurchsichtig und so standfest ist, daß ein Zweieurostück, darauf gelegt, nicht einsinkt, wird meist ein hellrötliches Sößchen serviert, durchscheinend bis auf den Tellerboden. Das Fleisch, in aller Regel Schwein, selten Rind und noch seltener Kalb, entstammt der Resteverwertung, und das Ganze wird im Schnellverfahren gegart. Schlimmer kann man einen Klassiker der Kochkultur nicht malträtieren, denn abgesehen davon, daß es beim Gulasch auf die Wahl des richtigen Fleisches ankommt, die Zwiebeln nicht in tollheißem Fett angedünstet werden sollen und das edelsüße Paprikapulver keinesfalls mitgeröstet werden darf, heißt die Losung: Tempo rausnehmen.
Forcierte Hitze ist verpönt, das Gulasch ist ein Gericht der Entschleunigung!
Die Misere beginnt schon beim Fleisch, einem der beiden Hauptzutaten. Wer beim Metzger undifferenziert „ein Kilo Gulaschfleisch“ bestellt, ist, wenn es sich nicht um einen Fleischer seines Vertrauens handelt, bereits angeschmiert, denn er wird Abfall bekommen. Damit kann kein Meisterwerk gelingen. Weiter geht es mit der zweiten Hauptzutat, der Zwiebel. Die endlosen Diskussionen, ob es gleich viel Zwiebeln wie Fleisch sein muß, ob die würfelig gehackt oder in Streifen geschnitten werden und welchen Farbton zwischen Goldgelb bis Dunkelbraun sie am Ende des Röstprozesses haben sollen, muß man nicht gar so ernst nehmen. Wichtiger sind Entscheidungen, ob Schmalz oder Butterfett die wahre Schmiere ist, Tomaten und Paprikaschoten mitgeschmort werden dürfen oder Rosenpaprika nebst Kümmel und Majoran, eventuell ergänzt um Wacholderbeeren, Lorbeer sowie ein wenig Zitronenzesten, als einzig wahre Würze gelten.
Goulash á la MontalbánPepe Carvalho, erschaffen von Manuel Vázquez Montalbán, rühmt im Krimi „Ich tötete Kennedy“ die aphrodisierende Wirkung eines Goulash: „…Wir aßen in Gilber’s House ein exzellentes Gulasch. Später ließ sich Nancy drei Straßenblöcke von ihrem Haus entfernt die Bluse aufknöpfen…“
Derart erotisierenden Effekt erzeugten 300 g Kalbfleisch, in kleine Stücke geschnitten, bestäubt mit etwas Mehl, gewürzt mit jeweils eineinhalb El süßem und scharfem Paprikapulver, Salz, Pfeffer, Kümmel, in Öl „gebraten, bis das Fleisch braun ist“. Im selben Öl zwei fein gehackte Zwiebeln anrösten, das Fleisch, drei El Tomatenpüree, einen halben Liter Weißwein und Hühnerbrühe sowie Kräuter hinzufügen, alles eine Dreiviertelstunde einköcheln lassen.
Das sind einfache Fragen, doch die Antworten entscheiden über die Qualität. Einig sind sich die Experten, daß als Fleisch nur der auch Rinderhesse genannte Wadschinken in Betracht kommt. Dieser Teil des hinteren Unterschenkels von Rind und Kalb ist von Sehnen durchzogen, in denen viel Aroma steckt und die sich während des langen Schmorprozesses auflösen, dabei das Gulasch schön sämig werden lassen. Dank deren gelierender Kraft wird die Sauce gestärkt; die dabei frei werdende Gelatine hat zudem eine bindende Wirkung, weshalb schon aus diesem Grund auf Mehl gänzlich verzichtet werden kann. Idealerweise werden mit dem Fleisch auch einige ganze Beinscheiben, also mit Knochen und, ganz wichtig: dem Mark, mitgeschmort – und nach dem stundenlangen Garprozeß herausgefischt. Die Knochen und vor allem das Mark verleihen der Sauce eine besonders dichte Konsistenz.
Die Zwiebeln, denen einige Knoblauchzehen beigesellt werden, sollen nicht zu klein gewürfelt werden. Fingernagelgroß hackt sie Heinz Reitbauer, der Patron im noblen, mit zwei Michelin-Sternen geschmückten Wiener Restaurant „Steirereck“.
Zu feine Zwiebeln lassen zu viel Wasser austreten, außerdem würfelt der Chef sie erst kurz vor dem Anrösten – gehackte Zwiebeln, die, wie in vielen Küchen der unselige Brauch, zu lange stehen, werden bitter. Entscheidend ist auch die Größe des Topfes, Zwiebeln benötigen beim Rösten viel Oberfläche. Reitbauer: „Türmen sie sich höher als drei Zentimeter, werden sie wässerig.“ Der Meister salzt ein wenig, denn das fördert die Farbe. Nach dem sehr heißen Andünsten wird bei mittlerer Hitze weiter gemacht. Während die Zwiebeln sich langsam vom Weiß ins Goldbraune verfärben, hat Reitbauer noch einen Trick auf Lager, das sogenannte „Aromat“: Er schmiert etwas Schweineschmalz auf ein Brett und zerreibt darauf Knoblauch und den Kümmel zu einer feinen Paste, die den geduldig vor sich hin schmorenden Zwiebeln zum Abschluß zugesetzt wird, begleitet vom Paprikapulver, das Reitbauer zuvor mit etwas Weinessig und einigen Löffeln Tomatenmark zu einem feuerroten Brei verrührt hat. Gleich nach dieser würzenden Zugabe gießt Reitbauer das Zwiebelragout mit Rindsbrühe auf und fügt das in Würfel von vier mal vier Zentimeter geschnittene Fleisch hinzu. Vom Anbraten, wie des öfteren empfohlen, weil dies angeblich Röstaromen ergibt, hält der Mann nichts, auch nicht vom Garen in Wasser: „Da verliert das Fleisch nur Substanz und Geschmack.“ Wichtig ist ihm das langsame Köcheln bei moderater Hitze, Gulasch „dauert lange, das kann man nicht à la minute kochen“. Normalerweise sind Köche wie Heinz Reitbauer, die in einer gastronomischen Champions League werkeln, nicht die rechten Ansprechpartner in Gulaschfragen.
Künstler neigen dazu, jedem Gericht ihren persönlichen Stempel aufzudrücken, was beim Gulasch hieße, es zu verfälschen. Reitbauer hingegen hat als geborener Österreicher genügend Respekt vor diesem ehrsamen Klassiker der gutbürgerlichen Küche, um ihn nur geringfügig zu verfeinern. Mehr ist seiner Ansicht schlicht „nicht notwendig“. Im Kanon erfahrener Gulaschbrater finden sich noch folgende Regeln: Edelsüßer Paprika ist Pflicht, ebenso Kümmel und Majoran. Lorbeer, Wacholder und Zitronenschale sind Kür, desgleichen ein Schuß feiner Weinessig. Tomatenmark darf sein, es sorgt für Farbe und Süße. Schweineschmalz wird anderen Fetten vorgezogen (Olivenöl, wie mitunter vorgeschlagen, würde geschmacklich irritieren), Rindsuppe ist Wasser vorzuziehen.So etwas wie ein ultimatives Gulasch wird es nicht geben. Dagegen spricht einerseits der von Lust und Ehrgeiz getragene Trieb der Köche, auch in althergebrachte Speisen einzugreifen und sich mit neuen Rezepturen einen Namen zu machen. Vor allem jedoch ist das Ur-Gulasch derart simpel konzipiert, daß sich eine Verfeinerung anbot, ja nötig war, um aus einem sehr rustikalen Hirtenmahl ein international beliebtes Gericht zu machen.
Das erste Gulyás – das „s“ wird wie „sch“ gesprochen – hatten wohl nomadisierende Magyaren während der Völkerwanderung in eisernem Kessel über offenem Feuer zusammen gerührt: Gulya heißt Rinderherde, Gulyás ist der Hirt, Gulyás-hus die fertige Suppe, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum ungarischen Nationalgericht gekürt worden ist. Ursprünglich sind an der Sonne und bei Wind getrocknete Rindfleischstreifen in Würfel geschnitten, mit Salz, Pfeffer sowie örtlichen Kräutern nebst Wurzelwerk gewürzt und in Wasser gekocht worden – Paprika gab es damals noch nicht, der kam nach Kolumbus erst viel später ins Spiel, um 1820 nach entsprechenden Aufzeichnungen, doch ist anzunehmen, daß Paprika bereits im 17. Jahrhundert als Gewürz bekannt war, nur unter dem Namen „Spanischer Pfeffer“.
Jedenfalls ist das Gulyás ein ungarisches Kind, und es folgte eine ruhmreiche Reise durch die Zeiten und Länder. In Österreich, das sich als Gulasch-Nation begreift, wurde erstmals 1827 ein „Ungarisches Kolaschfleisch“ im „Großen Wiener Kochbuch“ von Anna Dorn erwähnt und in späteren Ausgaben als „Ungarisches Gulyásfleisch“ betitelt. Wenig später tauchte das Gulasch auch in deutschen Kochbüchern auf, beispielsweise bei der fleißigen Henriette Davidis. Unter Namen wie Gulasch, Gollasch, Goulasch oder Goulash (in Nordamerika, wo es sogar mit Ketchup gequält wird) eroberte sich die einstige Bauernspeise rasch die privaten Haushalte, die Restaurants und speziell die Gasthäuser, wo diverse Arten von Gulasch angeboten werden, betitelt nach der jeweiligen Hauptzutat: Hirsch, Wurst, Kartoffel, Fisch, Kalb, Lamm, Gänseleber, Bohnen, Pfifferlinge.Bei Karoly „Karl“ Gundel, dem ungarischen Meisterkoch (1883-1956), der bei Cesar Ritz in Paris und später im Berliner Adlon gearbeitet hat und u.a. die Gundel-Palatschinke kreierte (gefüllt mit Rum, Rosinen, Walnüssen und Zitronenzeste, serviert mit Schokoladensauce), gab es in dessen gleichnamigem Restaurant in Budapest neben einem Gulasch aus Flußkrebsen auch ein „Magnatengulasch“, zubereitet aus Rindsfilet. Sein klassisches Gulasch, in Ungarn Pörkölt genannt, hat er so angelegt: 400 Gramm Zwiebeln in 120 Gramm Schweineschmalz anrösten, drei gehackte Knoblauchzehen und drei Löffel edelsüßes Paprikapulver hinzufügen, mit je einem Viertelliter Rinderbrühe, Paprikamark und Tomatensaft aufgießen, danach eineinhalb Kilo Rindfleisch aus der Wade, Schulter oder Hals hinzufügen, mit vier Wacholderbeeren sowie einem Eßlöffel getrocknetem Majoran, gemahlenem Kümmel und Pfeffer würzen. Alles bei kleiner Hitze zugedeckt sanft schmoren lassen.
Das kann drei Stunden und länger dauern, je nach Art des Fleisches. Ist der Saft eingekocht, notfalls ein bißchen Wasser dazu geben, mit scharfem Paprika schließlich nachwürzen.Freilich hat das, was heutzutage im deutschsprachigen Mitteleuropa als Gulasch fungiert, mit dem ungarischen Gericht nur den Namen gemein. Darunter versteht der Magyare nämlich historiengetreu eine gewürzige und nahrhafte Fleischsuppe, je nach privatem Rezept angereichert mit Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln, Gemüsepaprika und vielleicht noch Eierteignudeln, wohingegen das deutsche Gulasch auf ungarischen Speisekarten als Pörkölt aufscheint oder als „Paprikás“, wenn es mit Sahne zubereitet wird. Letzteres heißt in Wien Kaiser- oder Rahmgulasch und wird mit Fleisch von der Kalbsstelze zubereitet.
Eine weitere spezielle Wiener Variante ist das Fiakergulasch: ein Saftgulasch, serviert mit einem Spiegelei plus einem Frankfurter Würstel, längs aufgeschnitten und gebraten, sowie einem fächerförmig geschnitzten Essiggürkchen. Aus der Reihe tanzt auch das Szegediner Gulasch, entstanden aus dem „Szekelygulasch“ und traditionell zubereitet aus Schweinernem (halb Bauch, halb Stelze), gemischt mit Sauerkraut und serviert mit einem ordentlichen Klacks saurer Sahne. Ein ewig gültiges Wort zum Wiener Gulasch hat Helmut Qualtinger, der Wiener Kabarettist, geprägt, als er, sich in einem Gasthaus an diesem typischen Gabelfrühstück labend, den Spruch kreierte:
„Klein’s Gulasch, klein’s Bier, und es geht scho wieder!“