Aufbruch in den Westen Texas: Go West!

22.12.2023
Frederike Hintze

Lesedauer: 4 Minuten

Mai. / Jun. 2018

Odessa, Marathon, Marfa, Fort Davis und vor allem – der Big-Ben-Natio­nalpark. Bei einer Reise durch Texas lohnt sich der Aufbruch gen Westen! Wer von der Küste rund um Corpus Christi oder den Trend­städten San Antonio oder Austin kommt, wird den Wandel der Vegetation schnell bemerken: Windräder, Kakteen und die Longhorns – jene hochsen­siblen Überle­bens­künstler Texas – leiten langsam in die ruppigere und strup­pigere, aber nicht minder schöne Gegend über. 

„At Odessa we became Texans and proud of it“

Und wer wiederum direkt aus Deutschland den flächen­mäßig üppigen und ewig weiten Westen erkunden will, reist über Dallas nach Midland-Odessa. Hier lohnt sich ein Stopp, denn gerade Odessa bietet tiefe Einblicke in die ameri­ka­nische Geschichte. Nennenswert ist jenes Haus, in dem George W. Bush einst seine Kindheit verbrachte. Unprä­tentiös wirkt das türkise kleine Gebäude, in dem die dreiköpfige Familie – George H. W. Bush mit seiner Frau Barbara und deren 2‑jähriger Sohn – lebte. Und doch atmet es den Geist des stolzen, republi­ka­ni­schen Texaners, wie das Schild vor dem Häuschen unver­kennbar verdeut­licht. Direkt daneben befindet sich passen­der­weise das Presi­dential Museum & Leadership Library. Hier können Besucher allerlei liebevoll zusam­men­ge­stellte Relikte aus den Regie­rungs­jahren vergan­gener Präsi­denten betrachten. 

Das Tor zum Big-Bend-Natio­nalpark

Die Reise westwärts geht weiter nach Marathon – dem Tor zum Big-Bend-Natio­nalpark. Mittel­punkt des 500-Seelen-Ortes ist das liebevoll renovierte Gage Hotel, das einen Eindruck davon gibt, wie Hotels im Jahre 1927 hier ausge­sehen haben müssen. Das Restaurant „12 Gage Hotel“ bietet authen­tisch texanische – sehr fleisch­lastige – Küche. Heraus­ragend ist das Beef Tenderloin, das so zart und rosa ist, dass man es mit der Gabel zerteilen kann. Dazu eine Jalapeño-Margarita namens „Spicy Cowgirl“. Spätestens jetzt ist man in Texas angekommen. Zu viele Spicy Cowgirls sollte man sich am Abend aber nicht gönnen. Denn die Tage in Texas beginnen früh, wenn man viel erleben will. Die Wege sind nämlich lang, der Westen weit. 

Unent­deckte Schönheit

Wenn es ein Aschen­puttel unter den US-ameri­ka­ni­schen Natio­nal­parks gibt, dann ist es der Big-Bend-Natio­nalpark an der großen Biegung des Rio Grande – vollkommen zu Unrecht. Er ist ein echter Geheimtipp und herrlich untou­ris­tisch. Der gigan­tische, rund 3200 Quadrat­ki­lo­meter große Landschafts­brocken vereint drei unter­schied­liche Parks: Das grüne Zentral­massiv der Chisos Mountains, die karge Chihuahua-Wüste im Süden und den 190 Kilometer langen Rio Grande mit seiner oasen­haften Vegetation. Eine Dreivier­tel­stunde nach dem Verlassen von Marathon, verschafft sich der Big-Bend-Natio­nalpark erst einmal Respekt. Spekta­kulär sind die Eindrücke von den bizarren Kakteen und den Felsmas­siven der Sierra del Carmen oberhalb des Boquilla Canyon im Osten. 

Direkt am Morgen lohnt sich ein Ausflug zu den Hot Springs. Jawohl, im Big-Bend-Natio­nalpark kann man baden gehen. Die 41 Grad heißen Quellen liegen direkt am Rio Grande und dienten um 1909 herum als Health Spa. Das ehemalige Motel oder das Post Office sind noch heute als Ruinen zu besich­tigen. 

Ein idealer Weg, um die reiche Pflanzen- und Tiervielfalt der Chisos Mountains kennen­zu­lernen, ist der einfache Lost Mine Trail. Der Weg startet auf einer Höhe von rund 1700 Metern und steigt konti­nu­ierlich an bis zur Spitze auf 2100 Metern, von wo aus man Pine und Juniper Canyon bewundern und dem Wind lauschen kann. 

Eindrucksvoll ist auch inmitten der Chihuahua-Wüste der Balanced Rock – eine Stein­for­mation, die nach einem halbstün­digen Weg durch die Wüste erreicht wird. Von hier aus richtet sich der Blick über den orange-glühenden Teil des Big-Bend-Natio­nal­parks. An einem Tag ist all das kaum zu schaffen. Zwei Tage sollte man mindestens für die Tour durch den Natio­nalpark einrechnen. Das kleine Örtchen Study Butte eignet sich perfekt für eine Übernachtung. Elegant geht es beispiels­weise im Lajitas Golf Resort & Spa zu. Hier lebt der Traum vom Old West als Luxus-Oase – zwischen „Cowboy chic“ und „Victorian charm“. 

Freiheits­lie­bende Aussteiger 

In Study Butte wohnt das authen­tische West-Texas. An der großen Straße werden in kleinen mexika­ni­schen Schuppen Spezia­li­täten des Nachbar­lands serviert. Man sitzt auf Holzbänken und wird von schüch­ternen Angestellten bedient. Ebenso wunderbar und kurios zugleich ist das nur wenige Meilen entfernte Terlingua: Die einzig­artige und fast schon heilige Atmosphäre der wieder­be­lebten Geister­stadt ist unver­wech­selbar. Hier lebten einst Hippies, heute sind es Aussteiger und Teilzeit-Jobber, die einem höheren Lebens­standard bewusst ausweichen – und ihr Leben, ganz unrepu­bli­ka­nisch, so leben, wie es ihnen passt. 

Doch gerade im November ist Terlingua alles andere als ausge­storben: Zum inter­na­tio­nalen Chili Champi­onship, genannt „Chili Cook-off“, treten Liebhaber des herzhaften Gerichts unglaublich weite Wege an, um ihr Können am Kochtopf unter Beweis zu stellen. An zwei Tagen geht es dann in Terlingua rough & tough zu – mit der Beschau­lichkeit hat es ein Ende. Und doch: Wer die Chance hat, seinen Löffel in einen der brodelnden Töpfe zu tunken, wird eine kulina­rische Offen­barung erleben: In Texas kocht man Chili ohne Bohnen („no beans, just meat“). Und mit dem hiesigen, eher laschen Chili Con Carne hat das sagenhaft aroma­tische Gericht dort drüben im Westen nichts zu tun!

Kostproben

Auf nach Marfa! 

Dem Ruf der Berge folgt nun der Ruf der Kultur: West-Texas ist nämlich eine Gegend der Kontraste. Marfa ist das erklärte Ziel. Wer kann, sollte vorab noch einen Abstecher nach Fort Davis unter­nehmen. Hier findet man ein eindrucks­volles Stück ameri­ka­ni­scher Geschichte: Das histo­rische Festungswerk, das umgeben von stolzen Bergfor­ma­tionen ist, wurde 1854 zum Schutz des Ortes und der nach Westen ziehenden Siedler und Goldsucher errichtet. Heute können Touristen Fort Davis und das dazuge­hörige Städtchen besuchen und ins texanische 19. Jahrhundert eintauchen. Eine hübsche Unter­kunft ist das Hotel Limpia, das mit Veranda, Schau­kel­stühlen und einem ausge­zeich­neten Steak-Haus aufwartet. Ebenfalls ein Highlight, etwas westlich von Fort Davis, ist das McDonald Obser­vatory: Bei sternen­klarer Nacht bewundern Besucher unsere Gestirne von der anderen Seite der Welt aus. 

Nun aber geht es nach Marfa. Der Luftkurort liegt auf 1500 Metern Höhe, bietet also ein milderes Klima und ist die Kunst-Oase in West-Texas. Der 1994 verstorbene Maler und Bildhauer Donald Judd rief hier, in der gottver­las­senen Wildnis, die Chinati Foundation ins Leben. Fernab vom oftmals blasierten Kunst­be­trieb gibt es hier zeitge­nös­sische Werke zu sehen – und zwar in einer bizarren Kulisse: Die ehema­ligen Gefäng­nisse deutscher Kriegs­ge­fan­gener aus dem Zweiten Weltkrieg dienen vornehmlich als Ausstel­lungs­räumen. Elegant wohnt es sich wiederum im Hotel Paisano: Als 1955 der Film „Die Giganten“ in der Nähe von Marfa gedreht wurde, wohnte hier die Filmcrew rund um James Dean und Liz Taylor. Es mag kaum verwundern, dass Marfa mit seiner hippen Art-Szene mittler­weile Zentrum für Kunst­be­geis­terte aus aller Welt ist. Und so bricht West-Texas in vielerlei Hinsichten mit seinen vorherr­schenden Klischees. 

Friederike Hintze

 

 

 

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