Groß, größer, fast das Größte

22.12.2023
Horst-Dieter Ebert

Lesedauer: 4 Minuten

Mär. / Apr. 2018

Die Leute wollen gar nicht unbedingt in die Karibik“, sagt der Hotel­di­rektor an Bord, natürlich mal wieder ein Öster­reicher, „die wollen einfach nur auf das Schiff.“ Es ist, mal wieder, die Magie der schieren Größe: Die „MS Freedom of the Seas“ ist nicht mehr das größte Schiff, das je gebaut wurde, aber doch immer noch eines der aller­größten (alle Flugzeug­träger einge­schlossen), mehr als 150.000 Brutto­re­gis­ter­tonnen, das heißt mehr als fünfmal so groß wie die „MS Europa“.

  Als wir in Miami abfahren, blicken wir vom Sonnendeck bequem runter auf die acht- bis zehnge­schos­sigen Häuser an der Hafen­aus­fahrt, das Schiff ragt ja über 41 Meter aus dem Wasser, vom Bug bis zum Heck sind es 340, von Back- bis Steuerbord 56 Meter. Und wenn es am Kai liegt, sieht es nicht aus wie ein Haus, sondern wie eine ganze Urbani­sation oder doch wenigstens ein Mega-Tower wie aus Dubai, quergelegt. 

  Die genaue Zahl der Passa­giere gibt uns der norwe­gische Kapitän am nächsten Abend bei seiner Empfangsgala bekannt. Sie findet statt in der „Royal Promenade“. Das ist eine Art Fußgän­gerzone, vier Decks hoch, 112 Meter lang, mit Boutiquen, Bars und Cafeterias, einem nostal­gi­schen Barber Shop und dem Vermonter Kult-Eis Ben & Jerry‘s. Der Kapitän, in weißgol­dener Galauniform und mit zweifar­bigem, schwarz-weißem Bart, posiert vor der Weinstube, alle zwanzig Sekunden rückt die Schlange derer, die sich – einige auch im Smoking und in lang – mit ihm fotogra­fieren lassen wollen, einen Blitz vor. Ein paar Clowns stolpern herum und unter­halten die Wartenden.

2000 Gerichte in 20 Minuten

Schließlich besteigt er mit seiner Offizier­screw eine gläserne Brücke über dem Boulevard: „Ich begrüße in dieser Woche 4081 Passa­giere!“ Jubel, das Orchester swingt sich noch einmal mächtig in die Höhe, der preis­werte kalifor­nische Schaumwein perlt in den Gläsern. Dass auch noch 450 Kinder hinzu­kommen, erwähnt er nicht, das scheint die normale Quote zu sein, ausver­kauft fasst das Schiff 4379 Passa­giere, dafür müsste die „Europa“ elfmal fahren.

  Anfangs fand ich es an Deck noch ziemlich voll, eigentlich war nirgendwo an der Reling noch ein Platz frei, und davon gibt es ja mehr als einen Kilometer. Am ersten Seetag dann, zwischen Miami und Cozumel, finde ich, dass das Schiff mit dem Ansturm recht gut zurecht­kommt. Liege­stühle gibt es reichlich, Warten ist nirgends nötig, und in das dreige­schossige Haupt­re­staurant, in dessen rotplü­schiger Üppigkeit wir in zwei Sitzungen essen, passen 2101 Gäste. „Da servieren wir in rund 20 Minuten 2000 Haupt­ge­richte“, sagt der Chefkoch stolz.

  Nicht alle wissen diese Dinners als einen Triumph der Logistik zu schätzen: „Auf der ‚Mein Schiff‘ war das Essen vieeel besser“, mäkelt eine deutsche Kreuz­fah­rerin aus dem Sauerland. Sie hat freilich die beiden Spezia­li­tä­ten­re­stau­rants noch nicht besucht. Für 20 Dollar Zuzahlung habe ich im „Chops Grille“ („Die besten Steaks auf See!“) bemer­kens­werte Vorspeisen und ein erstklas­siges Filet Mignon gegessen; im „Portofino“ eindrucksvoll italie­nisch.

  Die rund 2500 Ameri­kaner an Bord sind immerfort und lauthals „very happy“. Viele von ihnen sehen aus, als würden sie bereits jahrelang auf diesem Schiff verpflegt, wo man sich schon den Frühstücks­büffets nicht mit einem Teller nähert, sondern mit einer ovalen Platte, wie man sie sonst auf größeren Famili­en­feiern zum Aufti­schen des Festtags­bratens benutzt.

  Meine Kabine, mittlere Preislage, ist größer als ich erwartet habe. Und der Balkon ist nicht eigentlich wichtig, weil ich mich darauf sonnen könnte (das macht hier auch sonst keiner) –, aber ich kann durch Öffnen und Schließen der Tür die Raumtem­pe­ratur regeln, die sonst (wie auf allen Schiffen) durch die nicht zu stoppende Klima­anlage auf arkti­schem Niveau gehalten würde

  Die „Freedom“ hat alles, was andere Kreuz­fahrer auch haben, doch von allem mehr und alles größer. Und dann noch ein paar Extras wie die Eislaufbahn, wo schwarze Kati Witts gewaltige Sprünge machen, und die Karaoke-Bar mit TV-Studio, wo jedermann seine „15 minutes of fame“ oder „15 minutes of shame“ auf DVD gepresst kriegt. Essen kann man fast rund um die Uhr, nur unkli­ma­ti­siert, unter freiem Himmel, das gibt es nicht. Und der Gigant (Tages­preis ab etwa 200 $) ist kein Inklusiv-Schiff, außer Eiswasser wird so gut wie alles berechnet.

 

Whirl­pools hängen außen­bords

Die wie üblich multi­kul­tu­relle Crew aus 65 Nationen agiert sehr viel freund­licher, als ich es aus der Karibik kenne (ein anstän­diger Tipp voraus­ge­setzt, natürlich). Das schwarze Mädel, das ein Frühstück in die Kabine bringt (ja, auch das gibt es!), ruft vorher schnell noch mal an, ob es denn jetzt auch recht sei. Und der schnurr­bärtige Kabinen­steward aus Puerto Rico knotet allabendlich possier­liche Fanta­sie­tiere aus Hand­tüchern, die dann wie Kletter­affen an der Gardi­nen­stange hängen.

  Überhaupt eignet sich das Schiff besonders für Sport- und Fitness­fi­xierte: Healthclub (mit Boxring!) und Spa sind natürlich viel größer als sonstwo. Die eine Poolland­schaft sieht aus wie ein Freilicht­museum von Niki de Saint Phalle, nur dass alle Figuren auch Wasser spritzen, eine andere ist mit goldenen Palmen und übermanns­großen Kakadus dekoriert, zwei Whirl­pools hängen außen­bords.

  Der Basket­ball­platz hat Origi­nal­größe, auf dem Minigolf­platz stehen Flamingos aus Gips, die Kletterwand für die Freeclimber ist haushoch. Die spekta­kuläre Brandung des „Flowriders“ schäumt 16 Stunden am Tag, und die Könner surfen stehend auf dem Wunderding. Diese artifi­zielle Hawaii-Welle jeden­falls haben nur die größten Schiffe der Welt.

  Doch nicht diese spezi­ellen Einrich­tungen sind die eigent­lichen Vorteile eines großen Schiffes: Was immer das Programm vorsieht – Klettern für Teenager, Schlitt­schuh für Anfänger, Kochen mit dem Chef – immer drängeln sich genügend Teilnehmer. Doch so mancher profi­tiert auch auf ganz verblüf­fende Art von der Größe: „Auf den kleinen Schiffen trifft man doch stets dieselben Leute“, bilan­ziert eine wohl besonders umtriebige Düssel­dor­ferin, die nur noch mit den Groß-Kreuzern von Royal Caribbean fährt, „hier muss man doch jedem nur einmal begegnen – es sei denn, man wollte es dringend anders!“

  Horst-Dieter Ebert 

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