Die Leute wollen gar nicht unbedingt in die Karibik“, sagt der Hoteldirektor an Bord, natürlich mal wieder ein Österreicher, „die wollen einfach nur auf das Schiff.“ Es ist, mal wieder, die Magie der schieren Größe: Die „MS Freedom of the Seas“ ist nicht mehr das größte Schiff, das je gebaut wurde, aber doch immer noch eines der allergrößten (alle Flugzeugträger eingeschlossen), mehr als 150.000 Bruttoregistertonnen, das heißt mehr als fünfmal so groß wie die „MS Europa“.
Als wir in Miami abfahren, blicken wir vom Sonnendeck bequem runter auf die acht- bis zehngeschossigen Häuser an der Hafenausfahrt, das Schiff ragt ja über 41 Meter aus dem Wasser, vom Bug bis zum Heck sind es 340, von Back- bis Steuerbord 56 Meter. Und wenn es am Kai liegt, sieht es nicht aus wie ein Haus, sondern wie eine ganze Urbanisation oder doch wenigstens ein Mega-Tower wie aus Dubai, quergelegt.
Die genaue Zahl der Passagiere gibt uns der norwegische Kapitän am nächsten Abend bei seiner Empfangsgala bekannt. Sie findet statt in der „Royal Promenade“. Das ist eine Art Fußgängerzone, vier Decks hoch, 112 Meter lang, mit Boutiquen, Bars und Cafeterias, einem nostalgischen Barber Shop und dem Vermonter Kult-Eis Ben & Jerry‘s. Der Kapitän, in weißgoldener Galauniform und mit zweifarbigem, schwarz-weißem Bart, posiert vor der Weinstube, alle zwanzig Sekunden rückt die Schlange derer, die sich – einige auch im Smoking und in lang – mit ihm fotografieren lassen wollen, einen Blitz vor. Ein paar Clowns stolpern herum und unterhalten die Wartenden.
2000 Gerichte in 20 Minuten
Schließlich besteigt er mit seiner Offizierscrew eine gläserne Brücke über dem Boulevard: „Ich begrüße in dieser Woche 4081 Passagiere!“ Jubel, das Orchester swingt sich noch einmal mächtig in die Höhe, der preiswerte kalifornische Schaumwein perlt in den Gläsern. Dass auch noch 450 Kinder hinzukommen, erwähnt er nicht, das scheint die normale Quote zu sein, ausverkauft fasst das Schiff 4379 Passagiere, dafür müsste die „Europa“ elfmal fahren.
Anfangs fand ich es an Deck noch ziemlich voll, eigentlich war nirgendwo an der Reling noch ein Platz frei, und davon gibt es ja mehr als einen Kilometer. Am ersten Seetag dann, zwischen Miami und Cozumel, finde ich, dass das Schiff mit dem Ansturm recht gut zurechtkommt. Liegestühle gibt es reichlich, Warten ist nirgends nötig, und in das dreigeschossige Hauptrestaurant, in dessen rotplüschiger Üppigkeit wir in zwei Sitzungen essen, passen 2101 Gäste. „Da servieren wir in rund 20 Minuten 2000 Hauptgerichte“, sagt der Chefkoch stolz.
Nicht alle wissen diese Dinners als einen Triumph der Logistik zu schätzen: „Auf der ‚Mein Schiff‘ war das Essen vieeel besser“, mäkelt eine deutsche Kreuzfahrerin aus dem Sauerland. Sie hat freilich die beiden Spezialitätenrestaurants noch nicht besucht. Für 20 Dollar Zuzahlung habe ich im „Chops Grille“ („Die besten Steaks auf See!“) bemerkenswerte Vorspeisen und ein erstklassiges Filet Mignon gegessen; im „Portofino“ eindrucksvoll italienisch.
Die rund 2500 Amerikaner an Bord sind immerfort und lauthals „very happy“. Viele von ihnen sehen aus, als würden sie bereits jahrelang auf diesem Schiff verpflegt, wo man sich schon den Frühstücksbüffets nicht mit einem Teller nähert, sondern mit einer ovalen Platte, wie man sie sonst auf größeren Familienfeiern zum Auftischen des Festtagsbratens benutzt.
Meine Kabine, mittlere Preislage, ist größer als ich erwartet habe. Und der Balkon ist nicht eigentlich wichtig, weil ich mich darauf sonnen könnte (das macht hier auch sonst keiner) –, aber ich kann durch Öffnen und Schließen der Tür die Raumtemperatur regeln, die sonst (wie auf allen Schiffen) durch die nicht zu stoppende Klimaanlage auf arktischem Niveau gehalten würde
Die „Freedom“ hat alles, was andere Kreuzfahrer auch haben, doch von allem mehr und alles größer. Und dann noch ein paar Extras wie die Eislaufbahn, wo schwarze Kati Witts gewaltige Sprünge machen, und die Karaoke-Bar mit TV-Studio, wo jedermann seine „15 minutes of fame“ oder „15 minutes of shame“ auf DVD gepresst kriegt. Essen kann man fast rund um die Uhr, nur unklimatisiert, unter freiem Himmel, das gibt es nicht. Und der Gigant (Tagespreis ab etwa 200 $) ist kein Inklusiv-Schiff, außer Eiswasser wird so gut wie alles berechnet.
Whirlpools hängen außenbords
Die wie üblich multikulturelle Crew aus 65 Nationen agiert sehr viel freundlicher, als ich es aus der Karibik kenne (ein anständiger Tipp vorausgesetzt, natürlich). Das schwarze Mädel, das ein Frühstück in die Kabine bringt (ja, auch das gibt es!), ruft vorher schnell noch mal an, ob es denn jetzt auch recht sei. Und der schnurrbärtige Kabinensteward aus Puerto Rico knotet allabendlich possierliche Fantasietiere aus Handtüchern, die dann wie Kletteraffen an der Gardinenstange hängen.
Überhaupt eignet sich das Schiff besonders für Sport- und Fitnessfixierte: Healthclub (mit Boxring!) und Spa sind natürlich viel größer als sonstwo. Die eine Poollandschaft sieht aus wie ein Freilichtmuseum von Niki de Saint Phalle, nur dass alle Figuren auch Wasser spritzen, eine andere ist mit goldenen Palmen und übermannsgroßen Kakadus dekoriert, zwei Whirlpools hängen außenbords.
Der Basketballplatz hat Originalgröße, auf dem Minigolfplatz stehen Flamingos aus Gips, die Kletterwand für die Freeclimber ist haushoch. Die spektakuläre Brandung des „Flowriders“ schäumt 16 Stunden am Tag, und die Könner surfen stehend auf dem Wunderding. Diese artifizielle Hawaii-Welle jedenfalls haben nur die größten Schiffe der Welt.
Doch nicht diese speziellen Einrichtungen sind die eigentlichen Vorteile eines großen Schiffes: Was immer das Programm vorsieht – Klettern für Teenager, Schlittschuh für Anfänger, Kochen mit dem Chef – immer drängeln sich genügend Teilnehmer. Doch so mancher profitiert auch auf ganz verblüffende Art von der Größe: „Auf den kleinen Schiffen trifft man doch stets dieselben Leute“, bilanziert eine wohl besonders umtriebige Düsseldorferin, die nur noch mit den Groß-Kreuzern von Royal Caribbean fährt, „hier muss man doch jedem nur einmal begegnen – es sei denn, man wollte es dringend anders!“
Horst-Dieter Ebert