Große Braten dürsten nach molligen Weinen

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Ein Hummer, heraus­for­dernd platziert auf dem nackten Bauch seiner geliebten Frau Gala war für den Surrea­listen Dali die Inkar­nation von kulina­ri­scher Erotik. Wenn Köche sich in zärtlichen Flirt-Menüs versuchen, fällt manchen außer Hummer und Languste nur die Dreier­bande Kaviar, Trüffel und Auster ein; letztere gilt schon wegen ihrer schoß­ähn­lichen Form seit zweitausend Jahren als besonders aphro­di­sierend. Dazu gibt es dann pastell­farbene Sößchen, nur: Von Leiden­schaft ist bei solchen Arran­ge­ments nichts zu spüren. Was sich Dali und manche Spitzen­köche unter eroti­scher Küche vorstellen, ist Küchen-Nippes. Venus würde sich bei solchem Tandaradei langweilen. Wirklichen Küchensex haben hingegen große Braten, ob von der Gans und der Ente, von Rind, Lamm, Schwein oder Wild.

Und dazu bedarf es unbedingt eines passenden Weins. Schwer darf er sein, auch ein bißchen zu Kopf steigend. Wenn es draußen nach Kälte riecht und drinnen der Braten seiner Vollendung entgegen schmort, ist es Zeit für die kraft­vollen, an Aromatik reichen Gewächse. Ob es ein ernst­hafter Barolo ist, ein feuriger Syrah von der Rhone alias Shiraz aus Übersee, ein fruchtig-würziger Spanier, ein fines­sen­reicher Burgunder, ein Châteauwein aus Bordeaux – einer, den man siezt – oder ein charmanter Italiener wie der Barbera aus dem Piemont, der wie ein Duzfreund zu Tisch gebeten wird:

Der Wein soll das Essen berei­chern und uns durch seine fruchtige Herzlichkeit wärmen. Welchen Typ man wählt, hängt vom persön­lichen Geschmack ebenso ab wie vom Preis und natur­gemäß dem jewei­ligen Gericht. Braten ist schließlich nicht gleich Braten.

Zum Kaninchen oder Zucht­fasan,

der so schmeckt wie er lebte, nämlich zahm, tut es auch ein starker Weißwein, beispiels­weise ein Chardonnay, ein Graubur­gunder aus dem Badischen oder der Pfalz, ein fränki­scher Weißbur­gunder, eine elegante Riesling-Spätlese aus dem Rheingau, ein kapitaler grüner Veltliner aus der Wachau oder Langenlois, ein geschmei­diger Zierfandler oder Rotgipfler.

Mit Gans, Huhn & Ente sowie Schwein und Kalb

harmo­nieren solche opulenten Weißweine ebenfalls bestens; in dieses Fach fallen auch der Neuburger, eine rare Sorte aus dem Burgenland, die Montra­chets oder die Weißen von der Rhone mit geschmei­diger Fülle namens Condrieu, Hermitage blanc sowie Château Grillet. Und je nach Art der Zubereitung bezie­hungs­weise der Wahl der Beilagen (beispiels­weise einge­legte Zwetschgen, Rosinen, karamel­li­sierte Zwiebeln oder Trauben, süßlich-pikante Chutneys etc.) wird ein Wein mit feiner Restsüße ein exzel­lenter Partner sein.

Bräunt jedoch ein Täubchen im Rohr oder schmurgelt ein Rehrücken in der Kasse­rolle, geht nichts über Rotweine von kräftiger, sinnen­be­tö­render Statur, mächtig und feurig zugleich. Kurz und volks­tümlich gesagt: Kreszenzen mit Schmackes sollen es sein.

Zu Braten von Reh, Hase und Hirsch

passen besonders gut mollige Burgun­der­weine oder die Gewächse aus St. Emilion mit deren würziger Wärme. Auch ein toska­ni­scher Roter, ob Chianti (Castello die Ama) oder Brunello, wird ein angemes­sener Partner sein. Bei Wildge­flügel darf es schon ein bisschen wuchtiger sein, so in Richtung burgun­dische Grand Crus, trüffelige Pomerols, warmfruchtige Merlots aus anderen Regionen und toska­nische Spitzen­weine wie Sassicaia, Ornellaia, Solaia, Percarlo, Tigna­nello.

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ABB.: Hirsch­ko­te­lette │ Wachol­der­glâce │ karamel­li­sierte Kastanien │ Apfel­rotkohl │ Kartof­fel­strudel – ROMANTIK HOTEL OBERWIRT
Küchenchef Werner Seidner


Wenn Hasen­pfeffer und Wildra­gouts

annon­ciert sind, braucht man weinmäßig überhaupt keine Scheu vor vollen Aromen zu haben; dann gehören Barolos aus dem Piemont, kalifor­nische Cabernets, würzige Syrahs von der Rhone, suggestive Shiraz aus Übersee oder große Burgunder auf den Tisch (à la Chambertin, Corton, Musigny, Beaune und die Samtigen aus Vosne-Romanée). Harmonie zwischen Speise und Wein wird sich auch mit einem kapitalen Madiran (Château Bouscassé Vieilles Vigne) und einem schwarzen Cahors wie etwa dem »Expression« von Château Lamartine einstellen. Und man entkorke zu einem Pfeffer­steak einen fein gereiften Jahrgangs­portwein – ein Hochgenuß!

Ein Wort noch zum Umgang mit Rotweinen:

Leichtere Kreszenzen wie etwa vom Typ Beaujolais oder Trollinger lassen sich unkom­pli­ziert handhaben: entkorken, einschenken, schlabber schlabber weg damit. Bei kräftigen Gewächsen empfiehlt sich das Dekan­tieren. Darunter versteht man das vorsichtige Umgießen von der Flasche in eine Karaffe. Sinn der Übung ist zum einen, den Wein von eventuell vorhan­denem Depot zu trennen (praktisch alle hochwer­tigen Roten, ob Bordeaux, Burgunder, Barolo und Rioja entwi­ckeln ab cirka fünf Jahren einen mehr oder weniger starken Bodensatz aus abgestor­benen Farbpig­menten, Mineralien, Säuren). Zudem forciert der Luftkontakt die Entfaltung der Aromen. Die ideale Trink­tem­pe­ratur liegt bei 16 Grad für leichte und um die 18 Grad für schwere Rotweine. Wärmer sollte nicht serviert werden, weil vor allem opulente Gewächse mit höherem Alkohol­gehalt (ab etwa 13 Prozent) bei Tempe­ra­turen um die 20 Grad und mehr leicht einen ungus­tiösen, spritig-beißenden Unterton bekommen können.


Welchen Wein man auch wählt, in jedem Fall soll er uns bereits mit dem ersten Schluck in den Mittel­punkt des Weltalls versetzen und uns die Zeit träumend, Pläne schmiedend vergessen lassen. Der Winter ist wie keine andere Saison die Einladung zur Besinnung. Die mensch­liche Leib-Seele-Einheit bedarf im Rhythmus der Jahres­zeiten der geistigen Reflexion.


Das sollte nicht vergessen werden, wenn wir den nächsten Morgen begrüßen und den Mittag oder Abend vielleicht wieder als kulina­rische Oper mit einem feinen Wein zu einem großen Braten insze­nieren. Schon beim Gedanken an solche Köstlich­keiten öffnet sich dem prakti­zie­renden Feinschmecker eine Ahnung vom Paradies.

kafl

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