Maronen (Esskas­tanien) – delikates Comeback für eine süße Herbst­köst­lichkeit mit hohem Nährwert und wenig Fett.

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 4 Minuten

Zum prall gefüllten Früch­tekorb des Herbstes gehören die Eßkas­tanien, populär Maronen genannt, die jetzt tonnen­weise aus dem europäi­schen Süden impor­tiert werden. „Heiße Maroni…“, lautet aktuell der Lockruf der Kasta­ni­en­brater, die allent­halben auf städti­schen Straßen und Plätzen ihre frisch gerös­teten Früchte anbieten. Sie sagen „Maronen“, auch wenn sie Esskas­tanien über dem Feuer rösten. Man nimmt es nicht so genau mit dem kleinen Unter­schied, aber es gibt ihn: Esskas­tanien und Maronen sind zweierlei Früchte – aller­dings ähneln sie sich zwillingshaft in Form und Geschmack.

Maronen gelten als hochwer­tiger. Sie sind ei- bis herzförmig mit flacher, dreieckig geformter Unter­seite. Die Schale glänzt rötlich­braun und ist mit dunklen Streifen fein überzogen. Sie haben ein volleres Aroma, sind also inten­siver, zudem cremiger im Geschmack. Außerdem lassen sie sich leichter schälen. Wie ihre Verwandten, die Esskas­tanien, fallen die Maronen im Herbst, sobald die stache­ligen Hülsen aufspringen, wie Manna reif von den Bäumen; früher wurden sie von Hand aufge­lesen, heute erledigen das Maschinen. Die Haupt­saison beginnt im späten September und dauert in der Regel bis Ende Oktober, doch gibt es sogenannte Dauer­ma­ronen, die länger hängen bleiben und meist erst im November bis in den Dezember hinein gepflückt, getrocknet und vermarktet werden (das dichteste Aroma bieten in der Regel die später, etwa ab Mitte Oktober geern­teten Früchte). Beiden Sorten gemeinsam ist ihr hoher Nährwert bei wenig Fett. Hundert Gramm bringen es auf knappe 200 Kalorien, aufge­teilt in etwa 50 Gramm Wasser, 43 Gramm Kohle­hy­drate, 2,9 Gramm Eiweiß, 1,9 Gramm Fett plus Ballast­stoffe, Mineralien (Kalium, Kalzium, Phosphor, Eisen, Magnesium), Vitamine & Co. Kastanien sind glutenfrei und gelten als gesund, sie sollen die Stimmung aufhellen, den Stoff­wechsel anregen, die Durch­blutung fördern, das Gewebe entwässern, die Nerven stärken, die Adern­wände festigen und dank ihrer basischen Anlage übersäu­erten Magen beruhigen. Ihren Namen hat die Edelkas­tanie (Castanea sativa) übrigens von der Stadt Kastana am Schwarzen Meer, nach der die Griechen die Kastanien tauften.

Kasta­ni­en­suppe: Zutaten (für sechs Personen): 1 kg Maronen bester Qualität (Test: wurmsti­chige, überal­terte oder faulige Nüsse schwimmen im Wasser nach oben) 1 l Geflü­gel­brühe (alter­nativ 2 Bouil­lon­würfel) Salz, Pfeffer aus der Mühle, 1/2 Muskatnuß 6 Selle­rie­blätter 1/2 El Crème fraiche – für besondere Cremigkeit kann auch mehr genommen werden. Zubereitung: Kastanien schälen und in Wasser garen. Ein Drittel der Früchte pürieren und mit der Brühe, der gerie­benen Muskatnuß und den Selle­rie­blättern aufkochen, salzen, pfeffern, nachziehen lassen. Nach etwa einer halben Stunde die Crème fraiche hinzu­fügen und, sobald die Brühe zu kochen beginnt, die restlichen zwei Drittel der Kastanien dazugeben. Abschmecken und auf kleiner Flamme schwach köcheln lassen, bis sich alle Ingre­di­enzien sämig vereint haben.

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Die Römer machten daraus „Castanea“ und brachten die Bäume auch nach Deutschland, wo sie, gierend nach Wärme, bevorzugt in den südlichen Regionen in Nachbar­schaft mit dem Wein gedeihen wie im Bereich des Bodensees, in Franken oder der Südpfalz, wo vom 1. Oktober bis 15. November anläßlich der Kasta­ni­entage den Maronen – mundartlich „Keschde“ genannt – kulina­risch gehuldigt wird. Das tat bereits Bayern­könig Ludwig I., der rund um seine Sommer­re­sidenz Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben hunderte Edelkas­tanien pflanzen ließ – zu besich­tigen im Rahmen des rund 50 Kilometer langen „Pfälzer Kasta­ni­enwegs“ (mehr dazu unter: www.keschdeweg.de).

In Italien laden Gemeinden in der Toskana und Umbrien zu tagelangen Festge­lagen ein, bei denen Maronen von der Vorspeise über den Hauptgang bis zur süßen Näscherei aufge­tischt werden – und in der Ardèche, dem franzö­si­schen Maronen­zentrum, eröffnet der „Castagnou“, ein Aperitif aus Kasta­ni­en­likör und Weißwein, jedes anständige Abend­essen. Eine Zeitlang waren die Maronen – als Folge der zunehmend populärer werdenden Kartoffel – außerhalb ihrer regional begrenzten Anbau­ge­biete in Verges­senheit geraten, aber auf einmal begann ihre leckere Renais­sance.

Bis ins 17. Jahrhundert waren sie ein Grund­nah­rungs­mittel der armen Leute, galt die Frucht als Brotbaum des Südens und wurde mannig­faltig in der „Cucina povera“ verar­beitet. Aus dem süßlichen Mehl machte man Nudeln, Brot und Kuchen – nicht sehr fines­sen­reich, aber nahrhaft und eine perfekte Nerven­nahrung. Hildegard von Bingen, die legendäre Heilerin, empfahl Kastanien jedem, dem „das Gehirn durch Trockenheit leer ist, und der daher im Kopf schwach wird“. Vor sowie nach dem Essen verzehrt sollten die Maronen, roh, ungeröstet und kalt, dafür sorgen, daß „das Gehirn wächst und wieder gefüllt wird“, denn solche Kost “gießt seinem Herzen einen Saft wie Schmalz ein und er wird an Stärke zunehmen und seinen Frohsinn wieder finden“.

Maronen­creme: 400 g geschälte und geröstete Maronen mit einer Vanil­le­stange sowie dem zuvor ausge­kratzten Mark, 200 ml Milch, 200 ml Sahne und einem Tl Kakao rund 45 Minuten köcheln lassen. Die Früchte pürieren (oder zerstampfen), durch ein feines Sieb passieren, abkühlen lassen, nach Geschmack mit Honig oder Zucker süßen, eventuell noch mit Orangen­likör oder Rum parfü­mieren.

Roh schmecken die Edelkas­tanien mehlig und trocken mit herbem Beiton. Durch die Röstung erfolgt eine „Verzu­ckerung“ der Stärke ins Süßliche; es entsteht ein kräftiges, angenehm sahnig unter­legtes Aroma. Das macht die Maronen zum leckeren Sologe­richt sowie zum delikaten Begleiter von Wildge­richten. In der Hand eines phanta­sie­vollen Kochs lässt sich die Marone vielseitig zubereiten: von der Suppe übers Püree und die Füllung im Bauch der Gans bis zur süßen Creme.

Eckart Witzigmann, der geniale »Jahrhun­dertkoch«, hüllte ein Maronen­püree, ergänzt durch Selle­rie­würfel, ein Wachtelei und eine Trüffel­sauce, in Blätterteig. Schon legendär ist die Maronen­samt­suppe mit Stein­pilzen, Sellerie und Walnüssen, und ein Ragout aus glasierten Maronen, Rosenkohl sowie Wurzel­gemüse ist ein rusti­kales Herbst­ge­richt, zu dem beispiels­weise sanft geräu­cherte Würstchen besonders gut passen. Klassisch sind die glasierten Maronen, franzö­sisch „Marrons glacés“ genannt, oder die in Mailand beliebten „Monte Bianco“, eine stramme Hommage an den weißen Gipfel des Mont Blanc: Maronen­püree mit Schokolade auf einen süßen Kuchenteig (wie Sandkuchen) streichen und mit steif geschla­gener Sahne dekorieren.

Am urigsten und unver­fälscht pur schmecken Maronen freilich heiß aus der Hand, ob man die Früchte, sorgsam kreuz­weise einge­schnitten, nun zu Hause ohne Fett in der Pfanne oder im Backofen röstet oder auf der Straße beim mobilen Kasta­ni­en­brater kauft, dessen Schlachtruf jetzt wieder zu hören ist: „Heiße Maronen…“

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