Miesmu­schel und Wein: gar nicht miese Delika­tesse

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 6 Minuten

Am Eßtisch ist schon mal zu hören, Miesmu­scheln seien Austern für Arme. Das ist snobis­ti­sches Getue, die Pfahl­mu­schel ist eine kulina­rische Größe für sich. Ein wertender Vergleich ist schon deshalb unstatthaft, weil Austern zumeist roh, die Miesmu­schel hingegen vorzugs­weise gekocht verzehrt wird, darüber hinaus auch gebacken, grati­niert oder gebraten. Der Gourmet schätzt das nussartige, fleischig-milde Aroma der Miesmu­schel, auch Pfahl­mu­schel genannt und latei­nisch „Mytilus edulis“. Das von blauschwarzen Schalen umhüllte und weiß, gelb sowie in kräftigem Orange lockende Fleisch ist kein bisschen mies; der sonderbare, geradezu diskri­mi­nie­rende Begriff kommt vom Moos, das an den Schalen wächst und ist ein mittel­al­ter­licher Ausdruck für bemoost.

Die meisten europäi­schen Miesmu­scheln werden – vor allen im nordwest­spa­ni­schen Galizien und in Holland, auch in Frank­reich, Dänemark und Deutschland – in Zucht­an­lagen gewonnen und kontrol­liert, bevor sie in den Handel kommen. Eine Spezia­lität ist die neusee­län­dische Green­shell, wegen ihrer smaragdgrün leuch­tenden Streifen entlang der Klappen­enden sinnig „Grünschal­mu­schel“ genannt und auch in Deutschland erhältlich. Die Neusee­länder grillen oder füllen sie, meist wird sie jedoch wie die Miesmu­schel in einem Wurzelsud gedämpft oder nach dem Garprozeß ausgelöst und für Salate bezie­hungs­weise als Suppen­einlage verwendet. Früher ist die Green­shell-Muschel wild geerntet worden, seit den 60er-Jahren des vorigen Jahrhun­derts wird die 10 bis 15 Zenti­meter lange Muschel mit dem blaß lachs­far­benen Fleisch – die männlichen Exemplare sind blaß creme­farben – entlang der 5 000 Kilometer langen Küste nahezu ausschließlich gezüchtet.

Das Wasser ist der Nährboden der Muschel, und daran liegt es, dass die im breto­ni­schen Mont-Saint-Michel geern­teten Bouchot-Muscheln besonders gut schmecken, hocharo­ma­tisch und ähnlich wie Austern delikat nach Jod, Algen und nur diskret nach Salz (die werden längs der Küste an Holzpfählen gezüchtet).

Paul Bocuse, der für die franzö­sische Küche wegwei­sende Dreis­ter­nekoch nahe Lyon, servierte sie zu Lebzeiten mit Spaghetti, Fenchel, Tomate und Basilikum; die Nudeln werden im konzen­trierten Muschelsud gegart. Allen Muscheln eigen ist ein hoher Nährwert an Eiweiß, Vitaminen, Kalzium, Eisen, Magnesium, Zink. Wichtig ist, dass nur Muscheln verar­beitet werden, deren Schalen noch geschlossen sind, sich während des fünf- bis zehnmi­nü­tigen Garpro­zesses jedoch öffnen.

Der gastro­no­mische Wert der Muschel läßt sich durch einen Blick ins „Lexikon der Küche“ belegen, den von Richard Hering verfassten Klassiker. Dort sind neben einem Muschel­picknick 52 Rezepte für Muschel­ge­richte verzeichnet, von „Befehls­haber-Art à la commodore“ (gewürzt, bedeckt mit Hofmeis­ter­butter und Stückchen von gesal­zenem Fleisch­speck, in der Röhre gebraten) bis hin zu „Weidmanns-Art à la chasseur“ (bedeckt mit gehackten Schalotten, Pilzen, Speck und Peter­silie; mit Bröseln bestreut, mit Paprika gewürzt, mit Butter betropft, in der Röhre überkrustet). Elitär klingt die Variante »à la Pompadour«: vorge­kocht, in Rahmsauce mit Hummer­butter geschwenkt. Charme hat ein »Risotto de moules«, von Raffi­nesse kündet das »Muschel­ragout nach Kardinals-Art«: die Schalen mit Stücken von Hummer und schwarzer Trüffel füllen, mit Kardi­nals­sauce (weiße Rahmsauce mit Fischsud, Trüffelsud, Sahne, Hummer­butter, Prise Cayenne­pfeffer) übergießen und überbacken.

Muscheln lassen sich mit vielem kombi­nieren, mit Gemüse oder Apfel, mit Speck und Rotwein, mit Tomaten, Safran, Fenchel und buntem Gemüse, asiatisch mit Limetten, Chili, Ingwer, Koriander, Frühlings­zwiebel und Zitro­nengras im Wok. Spaghetti mit Miesmu­scheln sind ebenso delikat wie ein Muschel­curry mit Zitrone, ein Muschel­ragout mit Sahne­sauce oder mit spani­scher Knoblauch­sauce. Der Italiener gibt sie auf die Pizza oder füllt sie in seine Lasagne, der Spanier reichert mit ihr die Paella an. Lecker ist ein Muschel­eintopf mit Schalotten, Knoblauch, getrock­neten Tomaten, Kartoffeln und Fenchel, angerei­chert mit Weißwein, Sauerrahm und gewürzt mit Salz, Pfeffer, Dill, eventuell noch aroma­ti­siert mit Safran oder etwas Orangen­blü­ten­wasser. In Belgien schätzt man sie „à la mode de Bruxelles“: gekocht, zerkleinert und gebräunt in Butter, serviert in einer Sauce auf Basis von Sellerie und Zwiebeln sowie mit Pommes frites. Der große Klassiker sind die in einem Weißwein-Gemüse-Würz-Sud in bauchigem Topf zugedeckt gekochten und mitsamt diesem Sud aufge­tischten Muscheln, wobei darauf geachtet werden sollte, dass die Flüssigkeit anfangs nicht höher als etwa einen halben Zenti­meter im Topf steht.


Muscheln mit Käse

Köstlich schmecken Muscheln mit Parmesan: Die Meeres­früchte mit etwas Olivenöl in einen Topf geben und bei geschlos­senem Deckel so lange kräftig erhitzen, bis sich die Schalen geöffnet haben. Muscheln aus den Schalen lösen. Nun in eine Schalen­hälfte etwas Knoblauch– oder Kräuter­butter streichen, die Muschel darauf platzieren, grob mit Parmesan bestreuen, zwei bis drei Minuten lang überbacken und mit Peter­silie sowie krossem Weißbrot servieren.

Muschel­salat

Delikat ist ein Muschel­salat mit Fenchel: Eine Zwiebel und eine Knoblauchzehe in Olivenöl andünsten, mit Weißwein ablöschen. Muscheln in diesem Sud garen und aus den Schalen nehmen. Sud durch ein Sieb gießen, mit feinem Weißwein­essig, Olivenöl, Salz und Pfeffer zu einer Vinai­grette verrühren. In Streifen geschnit­tenen Fenchel in Salzwasser kurz blanchieren. Kartoffel in Scheiben schneiden, in Öl anbraten. Zum Schluß die Muscheln, den Fenchel, grob gehackte – und entsteinte – schwarze Oliven sowie die Kartoffeln mit Kapern im Sud gut durch­mi­schen, nach Gusto würzen, ziehen lassen und mit gezupfter Peter­silie garnieren.

Die Miesmu­schel und der Wein

Natürlich hängt die Wahl des Weins von der Zubereitung ab. Zu Muscheln „alla marinara“ mit Öl, Knoblauch und Peter­silie sollte es ein kräftiger und zugleich geschmei­diger Weißer sein – etwa ein Weißbur­gunder. Ein Chablis wird nicht zu verachten sein oder ein Chenin blanc, auch ein kräftiger Sauvignon blanc paßt. Muscheln im klassi­schen Wein-Gemüse-Sud vertragen sich bestens mit Grünem Veltliner, Muscadet, Silvaner, Riesling – auch ein Vine Jaune paßt, insbe­sondere, wenn der mit Kräutern, Gewürzen und Weißwein angesetzte Muschelsud mit einem Schuß Pastis sowie etwas Creme fraiche angerei­chert worden ist. Zu Muscheln in Tomaten­sauce wird ein kraft­voller Rosé-Champagner eine gute Wahl sein, alter­nativ und um die Weißwein­winzer ein bißchen zu erschrecken, auch ein molliger, nicht wuchtiger Roter.

Muscheln »asiatisch«

Eine exotische Note bekommen die Muscheln auf asiatische Art, berechnet für vier Personen. Zutaten: 6 Stangen Zitro­nengras (dient nur zur Würze), 4 rote Chili­schoten, 1 Bund Frühlings­zwiebel, 1 mittel­große Porree­stange, 5 Knoblauch­zehen, 1 Limette, 100 g frischer Ingwer, 150 g Möhren, 2 El Sesamöl, 2 El Sojasauce, 1 Tl Garne­len­paste (alter­nativ: Sardel­len­paste), 2 Bund Korian­dergrün, 2 kg Miesmu­scheln, 3 El Olivenöl, ¼ l Reiswein. Zitro­nengras in 2cm lange Stücke schneiden, Chili längs halbieren, entkernen, in dünne Stifte schneiden, desgleichen mit dem geschälten Ingwer sowie den Möhren tun. Zwiebel mitsamt den hellgrünen Teilen in feine Streifen schneiden. Knoblauch pressen, mit dem Saft der Limette und deren abgerie­bener Schale mischen. Korian­der­blätter grob hacken, Sesamöl, Sojasauce und Garne­len­paste glatt verrühren.

Zubereitung: Öl in einem entspre­chend großen Topf erhitzen, Möhren, Ingwer und Zitro­nengras darin kurz andünsten, Chili und Frühlings­zwiebel mit der Limetten-Knoblauch-Mixtur dazu geben, kräftig durch­rühren. Die Muscheln sowie die Sojasaucen-Sesamöl-Mischung gut unter­rühren, zuletzt den Reiswein und eine Hälfte der Korian­der­blätter unter­mi­schen, den Topf sofort mit einem Deckel fest verschließen und alles bei starker Hitze ungefähr fünf Minuten lang garen, zwischen­durch den Topf einige Male kräftig rütteln. Muscheln schließlich in eine vorge­wärmte Schüssel geben – geschlossene Muscheln aussor­tieren – , den restlichen Koriander darüber streuen, mit Basmati-Reis servieren, den mit dem würzigen Muschelsud beträufeln.

Das Rezept der breto­ni­schen Fischers­frauen

Fischers­frauen in der Bretagne haben ihr eigenes Rezept, pur wie kein anderes: Die gewaschenen und sauber geputzten Muscheln werden in einen sehr heißen gußei­sernen Topf geschüttet und zugedeckt drei Minuten lang auf großer Flamme gekocht, wobei es dienlich ist, den Topf während des Garpro­zesses mehrmals herrisch durch­zu­schütteln. Das war es schon, basta! Die solcherart gegarten Muscheln werden in eine tiefe Schüssel gegeben und mit der Hand gegessen, indem man eine geleerte Muschel geschickt als Zange handhabt. Das Gemüse, meinen die Fischers­frauen, sei eine Erfindung der Gärtner – und den Weißwein solle man lieber zu den Muscheln trinken als ihn in den Topf schütten.

Rezepttipp aus SAVOIR VIVRE

Miesmu­scheln mit weißer Safran­scho­kolade

Zubereitung: 20 Minuten Für 4 Personen

Zutaten

1–2 EL Butter
100g Zwiebeln, fein gewürfelt
2 Knoblauch­zehen
300 – 500g feine Gemüse­würfel oder ‑streifen (beispiels­weise Karotten, Sellerie, grüne und rote Papri­ka­schoten, frisch oder tiefge­kühlt)
500 ml trockener Weißwein
50g weiße Safran­scho­kolade, gehackt, Schoko­la­densalz, weißer Pfeffer, grob gemahlen 3kg Bouchot-Muscheln (oder andere Miesmu­scheln), geputzt und gewaschen 100ml Sahne 3EL fein gehackte Kräuter wie Peter­silie, Estragon, Kerbel (frisch oder tiefge­kühlt)

Zubereitung 
Für den Filoteig das Mehl mit dem Olivenöl und dem Wasser mindestens 10 Minuten zu einem kompakten Teig verkneten. Den Teig in einer abgedeckten Schüssel an einem warmen Ort für ca. 15 Minuten ruhen lassen. 
In der Zwischenzeit die Zwiebel häuten und in feine Würfel schneiden. Die Pilze putzen und in grobe Stücke schneiden. Die Kartoffeln schälen und in feine Würfel schneiden. Das Öl in einer Pfanne stark erhitzen und die Pilzstücke scharf anbraten. Sobald diese Farbe bekommen haben, die Zwiebel­würfel, den Thymian und die angedrückte Knoblauchzehe dazugeben, kurz anschwitzen und mit dem Weißwein und der Sojasahne ablöschen. Kartof­fel­würfel und Rosmarin dazugeben, mit Salz und Pfeffer würzen und für 10 Minuten einkö­cheln lassen. Rosmarin, Thymian und Knoblauch entfernen und die Füllmasse abkühlen lassen. 
Den Teig in 4 oder 8 gleich große Teile schneiden und diese auf einem bemehlten Küchen­handtuch mit einem Nudelholz hauchdünn ausrollen. Die Füllung darin einschlagen, auf ein mit Backpapier ausge­legtes Blech setzen und mit dem Öl einpin- seln. Den Ofen auf 165 °C vorheizen, und die Strudel auf mittlerer Schiene für 25–30 Minuten goldbraun backen. 
In der Zwischenzeit die Papri­ka­schoten entkernen und in grobe Stücke schneiden. Die Zucchini und die Aubergine der Länge nach vierteln, das weiche Innere entfer- nen und den Rest in grobe Stücke schneiden. Anschließend mit dem Saft der Zitrone beträufeln. 
Etwas Öl in einer Pfanne erhitzen und zuerst die Aubergine, dann die Zucchini und die Paprika darin scharf anbraten. Mit Thymian, Salz und Pfeffer abschmecken und zusammen mit dem Strudel auf Tellern anrichten.

Rezept: Eberhard Schell ist Deutsch­lands bekann­tester Experte zum Thema Schokolade und Wein und führt gemeinsam mit seiner Frau Annette die famili­en­eigene Schoko­la­den­ma­nu­faktur in Gundelsheim am Neckar.

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