Sommelier Torge Thies reist für gute Weine und für SAVOIR-VIVRE in der Weltgeschichte herum und hat für Sie den ein oder anderen Tipp zu atemberaubenden Weinen. In dieser Ausgabe berichtet er über einen Kurztrip in die Toskana, nach Arezzo.
Klar ist es interessant und bringt Spaß, Weine zu verkosten, zu beschreiben und zu bewerten. Aber wenn das dann zusätzlich noch mit einer kleinen Reise verbunden werden kann, ist es umso schöner und – wie ich finde – auch authentischer. So kam der Anruf eines Bekannten vom italienischen Sommelierverband auch zu einem mehr als angenehmen Zeitpunkt, denn in Hamburg hatten wir seit Wochen ein deprimierendes Schmuddelwetter. Das Ziel der Reise sollte Arezzo sein, die viertgrößte Stadt in der Toskana, da dort eine kleine Weinmesse stattfindet mit Winzern von kleinen, privat geführten Weingütern.
Gemeinsam mit den Winzern haben wir im Hotel Minerva, in der Via Fiorentina 4, übernachtet. Wobei ich persönlich das Hotel Continentale in der Piazza Guido Monaco 7 mit seiner schönen Dachterrasse oder aber das im Zentrum gelegene Boutique Hotel Graziella Patio in der Via Camillo Benso Conte di Cavour 23, beziehungsweise das etwas mondänere Relais Badia di Campoleone in der Castelluccio 38 bevorzuge. Wer es etwas ruhiger haben möchte, kann sich im Hotel Badia di Pomaio in der Nähe von Arezzo, in der Localita Pomaio 4, mit einem schönen Glas Chianti erholen.
Doch hat das Hotel Minerva den Vorteil, dass es praktisch schräg gegenüber meiner absoluten Lieblingseisdiele, der Gelateria Creme Caramel, liegt. Für einen guten Wein würde ich wer weiß wohin fahren, aber für dieses Eis nehme ich auch so einiges auf mich.
Arezzo hat aber noch so viel mehr zu bieten, wobei mich natürlich die Weine am meisten interessieren. Eigentlich ist dies immer und überall der Fall, doch sollte diese Stadt mit ihrer 2500 Jahre zurückreichenden Geschichte unbedingt erkundschaftet werden.
Für die Sammler antiker Gegenstände ist zum Beispiel der älteste und größte Antikmarkt Italiens verpflichtend, der am ersten Sonntag eines jeden Monats auf der Piazza Grande stattfindet. Ein unendliches Eldorado! Hier findet man beinahe alles, was alt und nicht trinkbar ist.
Gestärkt durch einen Espresso in einer der vielzähligen kleinen Bars und Restaurants, kann Arezzo weiterhin zu Fuss erkundet werden. Es geht ein paar Meter aufwärts zum höchsten Punkt, dem Dom von Arezzo. Wer denkt, die Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen seien Langzeitprojekte, der irrt. Denn es brauchte lockere 233 Jahre, bevor der Dom fertiggestellt wurde (Baubeginn 1278). Seine heutige Fassade wurde sogar erst 1914 finalisiert.
Die Entdeckung zweier Weinperlen
Genug mit dem kulturellen Exkurs, hin, die italienische Weinluft in der La Casa del Vino in der Via Bettino Ricasoli 36 schnuppern. Hier kann man in aller Ruhe den ein oder anderen guten Wein probieren und sich einen Überblick über die Weinwelt um Arezzo herum verschaffen. So erfährt man auch, dass sich ganz in der Nähe das Weingut Fattoria La Vialla (Via di Meliciano 26, 52029 Castiglion Fibocchi) befindet. Mit seinen überschaubaren 1400 Hektar ist es das größte Demeter-zertifizierte Weingut seiner Art in Europa.
Zurück im Hotel ging es direkt in den Aufenthaltsraum, wo sich die Winzer bereits an einzelnen Tischen platziert hatten. Der eindeutige Vorteil einer solchen Präsentation – sowohl für uns Sommeliers und Händler als auch für die Winzer – ist, dass man genügend Zeit füreinander hat, keine unendlichen Strecken vom einen zum anderen Stand zurücklegen muss und die Winzer sparen sich lange Anfahrtswege. Von den 22 Weingütern, deren Weine ich an den beiden Tagen probiert habe, beeindrucken mich insgesamt vier doch sehr. Zwei von den Weingütern möchte ich gerne kurz vorstellen.
Das Weingut Villa San Carlo konnte mit dem ausdrucksstarken Valpolicella von 2016 punkten, der mit einer schönen konzentrierten dunklen Waldbeerenaromatik, gepaart mit einer dezenten Nussnote daherkommt und für den Endkonsumenten für 14 € zu haben ist. Eine Einstiegsvariante, denn Valpolicellas sind in der Regel leichter und bekömmlicher vinifiziert und können gut auch mal zum Mittagsessen getrunken werden. Das privat geführte Weingut Villa San Carlo steht für hervorragende Qualität und gibt sich mit gewöhnlichen „Schlabberweinen“ erst gar nicht ab. Mir soll es recht sein, denn so ist der Wein, der es mir angetan hat, vom selbigen Weingut: Der Amarone 2012, mit 16 % Alkohol und 8,8 g/l Restzucker. Die Trauben wurden vorab für 120 Tage auf Strohmatten gelagert und danach bei 16 bis 20 C° fermentiert. Vollmundig, besitzergreifend und prägnant kommt er daher und umschmeichelt am Ende mit einer leichten Karamellnote. Mitschwingend und auch für einen guten Amarone typisch, die leichte bittere Note (amaro heißt übersetzt bitter), hier mit einer dezenten Süße gepaart. Das diese Art der Produktion und Qualität ihren Preis hat – nämlich um die 34 € – ist selbstredend und sollte auch von der in Deutschland leider doch noch so stark verbreiteten „Geiz ist geil“-Gruppierung akzeptiert werden.
Das zweite Weingut, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, ist Fattoria Fazzuoli. Als ich dort am Tisch saß, kam ich mir wie beim Paten vor: Vier Männer um mich herum und der Don saß schweigend rechts, etwas weiter hinten. Und der Önologe hat mit seinem breiten Wissen die Weine erklärt. Zu allererst: alles biologischer Anbau. Was in der heutigen Zeit der hochgeschätzten Bio-Eier doch sehr relativ ist. Aber die Erläuterungen und die Einladung, sich das Weingut – welches eine gute Stunde von Arezzo entfernt ist – einmal anzuschauen, schienen seine Aussagen zu unterstreichen. Am Start war der Fazzuolo Chianti superiore DOCG 2013, der schon mit einer beeindruckenden Kirscharomatik, etwas Kräuter- und einer feinen Veilchennote daherkam. Zum Preis von 12,90 € musste ich mir das Lachen zwar nicht verkneifen, aber so etwas im Weinladen zu finden, würde mich als Konsument erfreuen. Er kommt zwar nicht ganz an meinen
Liebling vom Weingut Monte Bernardi heran, was generell auch schwer ist, aber sehr er ist angenehm trinkbar. Das Flaggschiff des Weinguts ist der Pugnitello. Eine Traubensorte, die, anders als früher gedacht, eigenständig und kein Klon vom Montepulciano ist. Ihren Namen hat sie übrigens von ihrer Traubenform, die einer Faust (pugno) ähnelt. Und diese Faust hat mich mittig getroffen. Schön vollmundig, gut eingebundene Tannine, alles in allem noch etwas frisch und er könnte noch ein, zwei Jahre warten, bevor er geöffnet wird. Er war mehr oder weniger gerade frisch abgefüllt und noch nicht etikettiert. Ein Wein, von dem einiges erwartet werden darf – mit 70 € aber auch zu Recht.
Restauranttipps:
Torre Santa Flora, www.torresantaflora.it
La Wineria, Via Alessandro dal Borro 74, 52100 Arezzo.