WEINTA­GEBUCH: Wein & Sprache: oft ein Locken­drehen auf der Glatze

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 2 Minuten

Weinproben sind eine Bühne, wer aufzu­treten gedenkt, der nähere sich theatra­lisch. Das tun viele Verkoster, und je weniger ein Sonntags­trinker den Wein begreift, umso metapho­ri­scher gibt er sich in seinem Wortge­klimper. Ein öster­rei­chi­scher, durchaus weinkom­pe­tenter Sommelier beschreibt seine Tropfen besonders brachial zwischen Granaten und Wahnsinn; und wenn eine Flasche sehr gut ist, bricht bei ihm der „helle Wahnsinn“ aus. Abseits solcher delirie­render Anwand­lungen gibt es weitere unartige Weinworte wie hammer­genial, großes Kino, knackige Säure, Mineralik.

Wenn man einen jungen Muska­teller mit einem scheuen Reh vergleicht oder zu einem Mosel­riesling sagt, er schmeckt wie ein frecher Kobold, kichern die Freunde und schauen die Hüter deutscher Spätle­sen­ro­mantik drein wie saure Heringe.

Die offizielle Weinsprache hört sich anders an. Sie besteht aus gültigen Begriffen, an denen sich der Kenner orien­tiert.

Weinsprache: Eine kleine Auswahl wird dienlich sein.

 

Abgang:

Eindruck nach dem Schlucken, kann leer sein, kurz, elegant, anhaltend.

Ausge­wogen:

Harmonie von Frucht, Säure, Alkohol.

Breit:

ohne Finesse.

Dünn:

es fehlt der Körper.

Extrakt­reich:

dichter Fruchtkern.

Grasig:

grüne Note, erinnert an Gemüse.

Gefällig:

sauber, aber ohne Charakter.

Grün:

unreif.

Komplex:

vielschichtig.

Krautig:

nach grünem Holz oder Sauer­kraut schme­ckend; fehlerhaft.

Kurz:

Aromen verflüch­tigen sich sofort.

Leicht:

geringer Alkohol­gehalt.

Mächtig:

konzen­triert, starker Frucht­körper, viel Alkohol, der jedoch nicht brandig wirken soll.

Muffig:

Steigerung von dumpf.

Reich:

alle guten Eigen­schaften im Übermaß.

Seidig:

feine Struktur.

Süffig:

netter Wein ohne besondere Talente.

Vollmundig:

reich, bleibt lange am Gaumen.

Verschlossen:

unent­wi­ckelt, braucht noch Zeit.

Im Grunde reicht eine leiden­schaftslose Beschreibung. Riecht und schmeckt der Wein klar, sauber, angenehm, vor allem typisch für Rebe, Region und Jahrgang? Ist er schwach oder ausdrucks­stark, mager oder opulent, hart oder weich, noch verschlossen oder bereits offen? Nimmt die Nase frische Töne wahr, reife, morbide, tote? Dominiert die Trauben­frucht oder das Holz, ist die Säure fein oder grün, gar beißend? Nach der sachlichen Definition darf selbst­ver­ständlich auch in Bildern geschwelgt werden. Weine erinnern an Blumen­sträuße, an Herbst­nebel, Knusper­häuschen und Rosen im Morgentau. Sie können unangenehm parfü­miert düfteln oder entzücken wie eine Sommer­wiese.
Ein Wein, sagen wir ein großer roter Burgunder, der sich schon geschmeidig trinken lässt, aber noch viel Entwick­lungs­po­tential hat, kann reich sein, komplex und verschlossen. Dies wäre die sozusagen amtlich korrekte Definition.

Die Welt des Weins ist groß und es gibt darin keine Wahrheit im Werte der zehn Gebote. Aber die Antwort auf die Frage, wann man einen großen Wein trinken möge, kommt dem Absoluten sehr nah: Sofort, denn wenn du stirbst, trinkt ihn deine Frau mit ihrem Freund – und umgekehrt.

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