Weinproben sind eine Bühne, wer aufzutreten gedenkt, der nähere sich theatralisch. Das tun viele Verkoster, und je weniger ein Sonntagstrinker den Wein begreift, umso metaphorischer gibt er sich in seinem Wortgeklimper. Ein österreichischer, durchaus weinkompetenter Sommelier beschreibt seine Tropfen besonders brachial zwischen Granaten und Wahnsinn; und wenn eine Flasche sehr gut ist, bricht bei ihm der „helle Wahnsinn“ aus. Abseits solcher delirierender Anwandlungen gibt es weitere unartige Weinworte wie hammergenial, großes Kino, knackige Säure, Mineralik.
Wenn man einen jungen Muskateller mit einem scheuen Reh vergleicht oder zu einem Moselriesling sagt, er schmeckt wie ein frecher Kobold, kichern die Freunde und schauen die Hüter deutscher Spätlesenromantik drein wie saure Heringe.
Die offizielle Weinsprache hört sich anders an. Sie besteht aus gültigen Begriffen, an denen sich der Kenner orientiert.
Weinsprache: Eine kleine Auswahl wird dienlich sein.
Abgang:
Eindruck nach dem Schlucken, kann leer sein, kurz, elegant, anhaltend.
Ausgewogen:
Harmonie von Frucht, Säure, Alkohol.
Breit:
ohne Finesse.
Dünn:
es fehlt der Körper.
Extraktreich:
dichter Fruchtkern.
Grasig:
grüne Note, erinnert an Gemüse.
Gefällig:
sauber, aber ohne Charakter.
Grün:
unreif.
Komplex:
vielschichtig.
Krautig:
nach grünem Holz oder Sauerkraut schmeckend; fehlerhaft.
Kurz:
Aromen verflüchtigen sich sofort.
Leicht:
geringer Alkoholgehalt.
Mächtig:
konzentriert, starker Fruchtkörper, viel Alkohol, der jedoch nicht brandig wirken soll.
Muffig:
Steigerung von dumpf.
Reich:
alle guten Eigenschaften im Übermaß.
Seidig:
feine Struktur.
Süffig:
netter Wein ohne besondere Talente.
Vollmundig:
reich, bleibt lange am Gaumen.
Verschlossen:
unentwickelt, braucht noch Zeit.
Im Grunde reicht eine leidenschaftslose Beschreibung. Riecht und schmeckt der Wein klar, sauber, angenehm, vor allem typisch für Rebe, Region und Jahrgang? Ist er schwach oder ausdrucksstark, mager oder opulent, hart oder weich, noch verschlossen oder bereits offen? Nimmt die Nase frische Töne wahr, reife, morbide, tote? Dominiert die Traubenfrucht oder das Holz, ist die Säure fein oder grün, gar beißend? Nach der sachlichen Definition darf selbstverständlich auch in Bildern geschwelgt werden. Weine erinnern an Blumensträuße, an Herbstnebel, Knusperhäuschen und Rosen im Morgentau. Sie können unangenehm parfümiert düfteln oder entzücken wie eine Sommerwiese.
Ein Wein, sagen wir ein großer roter Burgunder, der sich schon geschmeidig trinken lässt, aber noch viel Entwicklungspotential hat, kann reich sein, komplex und verschlossen. Dies wäre die sozusagen amtlich korrekte Definition.
Die Welt des Weins ist groß und es gibt darin keine Wahrheit im Werte der zehn Gebote. Aber die Antwort auf die Frage, wann man einen großen Wein trinken möge, kommt dem Absoluten sehr nah: Sofort, denn wenn du stirbst, trinkt ihn deine Frau mit ihrem Freund – und umgekehrt.