Liebe SAVOIR-VIVRE-Genießer,
der Schock in der deutschen Gastro-Szene saß tief als vor kurzem aus völlig heiterem Himmel mit dem „la vie“ eine der wichtigsten deutschen Gourmet-Adressen geschlossen wurde. Bis dahin hatte das „la vie“ zur „Georgmarienhütte Holding“ gehört, die ihr Geld vor allem mit Stahl macht (ehemals Klöckner Edelstahl) – und die unter der Leitung ihres alleinigen Gesellschafters Jürgen Großmann steht, einem jovial posierenden und sich demonstrativ weltmännisch gerierenden Milliardärs. Doch der drehte launig spontan den Geldhahn zu – machte er doch mit seinem Drei-Sterne-Haus trotz gehobener Preise ordentlich Verlust. Die Mitarbeiter erfuhren nur wenige Tage vorher von ihrer Kündigung und auch Chefkoch und Gustations-Papst Thomas Bühner erwischte das Ende seines Traums eiskalt. Die Facebookseite des lästig-präsenten Medien-Klabautermanns Frank Rosin postete daraufhin dümmlich etwas darüber, dass Bühner zwar kochen, aber halt mit Geld nicht umgehen könne – doch das war denn auch schon der einzige armgeistige mediale Tiefpunkt dieser Geschichte, denn alle anderen Kollegen Bühners reagierten mit Bestürzung, und den meisten Gourmet-Kennern des Landes schwante Übles: Wenn einer der wenigen deutschen Köche von internationaler Bedeutung auf solch eine Weise abgesägt wird, dann haben wir hier ein Problem weit größeren Ausmaßes als einfach nur das eines pleite gegangenen Restaurants. Dann stellt sich nämlich vielmehr die grundsätzliche Frage unseres kulturellen Selbstverständnisses in Bezug auf die Gastronomie.
Osnabrück – hier spielte kulinarisch die Musik
Auch wenn ich heute als Küchenchef eines Sterne-Restaurants meinen Mann stehe, so bin ich beruflich ursprünglich (und immer noch) ja vielen Menschen eher als Musiker bekannt. Seit über 20 Jahren erlebe und kämpfe ich den Kampf, den kreative Kulturschaffende kämpfen, in Theatern, in Orchestern, ob auf Bühnen oder bei TV-Sendern als Comedians, Kabarettisten, Pop- und Jazzmusiker, Komponisten und Autoren. Und ich weiß, dass sich ein Musical oder die ein oder andere Schlager-Formation ganz ordentlich über Wasser halten kann, ich weiß, dass es erfolgreiche Comedians und TV-Figuren gibt, die wirklich sehr gut verdienen, und natürlich haben Leute wie Grönemeyer und Maffay ausgesorgt. Doch gleichzeitig bliebe die kulturelle Vielfalt Deutschlands, seine einzigartige kulturelle internationale Bedeutung undenkbar ohne Kulturförderung und Sponsoren. Es gäbe kein Düsseldorfer Schauspielhaus, kein Theater Bochum, kein Thalia und auch kein Berliner Ensemble. Kein einziges Jazz-Festival könnte überleben und auch viele Rock-und Popfestivals ständen vor dem Ruin ohne finanzielle Unterstützung. Natürlich fragen die Geiz-ist-geil-Sparfüchse dann gleich, warum Kulturförderung als Staatsziel verankert ist. Doch genau dafür gibt es gute Gründe – Kultur ist so etwas wie die dauerhafte Ergotherapie der unruhigen menschlichen Gehirne, die sich ohne kulturelle Zerstreuung wohl permanent gegenseitig einen auf die Glocke hauen würden – damit ist Kultur gewissermaßen ein Beitrag zur Befriedung der Gesellschaft, die ihre Sinne so auf andere Weise schärfen, trainieren und zum Genuss bringen darf. Und gerade die Hochkultur hat nicht die Aufgabe, einfach nur zu gefallen, sondern vielmehr das Fundament zu verbreitern, auf dem der übrige Kulturbetrieb fußt. Denn wer nur nach der Quote schielt, bekommt einen sehr hohen Berg Unterhaltungs-Dreck auf einem zu kleinen Teller, wer dagegen das Neue, oft noch Unzugängliche, Sperrige fördert, erweitert diesen Teller am Rand und sorgt langfristig für mehr Vielfalt in der Breite.
Moderne Klassik und Modernist Cuisine – über mein Erdbeer-Erlebnis
Essen und Kochen sind genauso ein Bestandteil unserer Kultur wie Tanz, Musik oder Theater. Unser heutiges Verständnis des Essens geht weit über die simple Nahrungsaufnahme hinaus – zum Glück. Es ist sozialer Kitt, Kommunikation, Sinnestraining, Achtsamkeitsübung, Wissenschaft und Inszenierung in einem. Und hinter dem Herd stehen irgendwie auch Künstler, die ihr Handwerk wie Musiker gelernt haben, mit der gleichen Intensität durch Übung ihre Fähigkeiten verfeinert haben und die wie Geschmackskomponisten ihre Werke auf dem Teller präsentieren. Das Restaurant ist ihre Bühne, auf der das Menü inszeniert wird. Und Thomas Bühner ist einer der innovativsten Ess-Kulturschaffenden des Landes. Es ist keine Schlager- oder Pop-Musik, die er macht, viel eher gleicht sein Fach der modernen Klassik. Manch einen überfordert das, es ist auch nicht jedermanns Geschmack. Aber es ist genau dieser Blick über den Tellerrand, die Erweiterung der „Unterlage“, auf der weitere Entwicklungen fußen, die Bühner sowie wenige andere Protagonisten ermöglichen.
Für mich war es ein wahres Aha-Erlebnis, als sich in unserem foodlab muenster unser Kompetenzteam gemeinsam mit Thomas Bühner und ein paar Leuten aus seiner Küchenmannschaft mit dem Rotationsverdampfer beschäftigte. Dabei ging es um Essenzen aus der Erdbeere, die wir aromatisch konzentrieren wollten, und am Ende erhielten wir sechs Proben, die wir sensorisch beurteilen sollten. Die Präferenzen lagen bei den meisten eindeutig beim Reagenzglas mit wuchtig-fruchtigem Aroma. Nicht so bei Bühner und seinen Leuten – ihre Wahl fiel auf jenes Reagenzglas, bei dem das Grün der Erdbeere statt der Frucht genommen wurde. Im ersten Moment war ich verwirrt, doch je länger ich mich mit der aromatischen Struktur ihrer Auswahl beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass hier jemand Aromatik aus dem eindimensionalen Ideal wieder in einen komplexen, ganzheitlichen Zusammenhang stellte. Dahinter stand einfach eine faszinierende gustatorische Intelligenz.
Subventionen für Tonkabohnen
Muss jetzt jedes Sternehaus subventioniert werden? Natürlich nicht. Wirtschaftlichkeit ist auch für Köche ein wichtiger Gradmesser, zumal die meisten Sterneköche nicht mit ihrem eigenen Geld arbeiten, sondern mit dem eines Auftraggebers. Doch für dicke Rendite sollte man nicht ins Geschäft mit den Sternen investieren; wie man auch kein Ensemble für neue Musik oder einen Modern-Jazz-Protagonisten als Investitionsobjekt betrachten sollte. Natürlich gibt es oft große Unterschiede zwischen Ein- und Drei-Sterne-Häusern. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden, um solide einen Stern zu erkochen (zumal manch ein Koch leider auch mehr Zeit auf Facebook, Instagram und in sonstigen Medien als hinter dem Herd verbringt, dank des Star-Hypes, der manchem Küchenkrieger zu Kopf steigt – dann bekommt man eben das Niveau eines Rosins, der weder am Herd noch intellektuell einem Bühner das Wasser reichen kann). Doch auch unsere Gesellschaft muss bereit sein, die kulturelle Leistung der Köche zu bezahlen. Und hier kommst endlich Du, liebe/r Leser/in ins Spiel: Wer sich kulinarisch hohe Qualität wünscht, der darf sich nicht darauf verlassen, dass Investoren und Hoteliers dies allein bezahlen. Wie in allen kulturellen Bereichen ist das Ganze eine Mischkalkulation. Und auch das Publikum, respektive der Gast, muss bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Sieben Gänge für 60,- Euro sind nun mal realistisch auf Sterne-Niveau kaum zu haben. Das haben die Franzosen längst verstanden – da zuckt keiner zusammen, wenn nach dem Essen die Rechnung in einer Höhe kommt, von der man locker auch eine Flugreise in den Urlaub bezahlen könnte. Kultur muss uns allen, der Politik, den Investoren und denen, die sie genießen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes etwas „wert“ sein. Aber ach, es ist im Land der Teutonen immer das gleiche Elend: Alle wollen gute Musik hören, gut recherchierte Zeitungen lesen oder eben sehr gut essen, aber zahlen dafür will irgendwie keiner.
Ich hoffe sehr, dass die Leser/Innen der SAVOIR-VIVRE mit mir einer Meinung sind – dass die hohe Kunst der Kulinaristik ihren Preis haben muss und soll. Und dass man solch klug-innovative Küchen wie einst das „la vie“ nicht den kommerziellen Interessen irgendwelcher Stahlkocher, sondern den richtigen Köchen überlassen sollte.
Euer Tobias Sudhoff