Ab jetzt wird nur noch Stahl gekocht – C´était la vie …

22.12.2023
Tobias Sudhoff

Lesedauer: 4 Minuten

Sept. / Okt. 2018

Liebe SAVOIR-VIVRE-Genießer,

der Schock in der deutschen Gastro-Szene saß tief als vor kurzem aus völlig heiterem Himmel mit dem „la vie“ eine der wichtigsten deutschen Gourmet-Adressen geschlossen wurde. Bis dahin hatte das „la vie“ zur „Georg­ma­ri­en­hütte Holding“ gehört, die ihr Geld vor allem mit Stahl macht (ehemals Klöckner Edelstahl) – und die unter der Leitung ihres allei­nigen Gesell­schafters Jürgen Großmann steht, einem jovial posie­renden und sich demons­trativ weltmän­nisch gerie­renden Milli­ardärs. Doch der drehte launig spontan den Geldhahn zu – machte er doch mit seinem Drei-Sterne-Haus trotz gehobener Preise ordentlich Verlust. Die Mitar­beiter erfuhren nur wenige Tage vorher von ihrer Kündigung und auch Chefkoch und Gusta­tions-Papst Thomas Bühner erwischte das Ende seines Traums eiskalt. Die Facebook­seite des lästig-präsenten Medien-Klabau­ter­manns Frank Rosin postete daraufhin dümmlich etwas darüber, dass Bühner zwar kochen, aber halt mit Geld nicht umgehen könne – doch das war denn auch schon der einzige armgeistige mediale Tiefpunkt dieser Geschichte, denn alle anderen Kollegen Bühners reagierten mit Bestürzung, und den meisten Gourmet-Kennern des Landes schwante Übles: Wenn einer der wenigen deutschen Köche von inter­na­tio­naler Bedeutung auf solch eine Weise abgesägt wird, dann haben wir hier ein Problem weit größeren Ausmaßes als einfach nur das eines pleite gegan­genen Restau­rants. Dann stellt sich nämlich vielmehr die grund­sätz­liche Frage unseres kultu­rellen Selbst­ver­ständ­nisses in Bezug auf die Gastro­nomie. 

Osnabrück – hier spielte kulina­risch die Musik

Auch wenn ich heute als Küchenchef eines Sterne-Restau­rants meinen Mann stehe, so bin ich beruflich ursprünglich (und immer noch) ja vielen Menschen eher als Musiker bekannt. Seit über 20 Jahren erlebe und kämpfe ich den Kampf, den kreative Kultur­schaf­fende kämpfen, in Theatern, in Orchestern, ob auf Bühnen oder bei TV-Sendern als Comedians, Kabaret­tisten, Pop- und Jazzmu­siker, Kompo­nisten und Autoren. Und ich weiß, dass sich ein Musical oder die ein oder andere Schlager-Formation ganz ordentlich über Wasser halten kann, ich weiß, dass es erfolg­reiche Comedians und TV-Figuren gibt, die wirklich sehr gut verdienen, und natürlich haben Leute wie Gröne­meyer und Maffay ausge­sorgt. Doch gleich­zeitig bliebe die kultu­relle Vielfalt Deutsch­lands, seine einzig­artige kultu­relle inter­na­tionale Bedeutung undenkbar ohne Kultur­för­derung und Sponsoren. Es gäbe kein Düssel­dorfer Schau­spielhaus, kein Theater Bochum, kein Thalia und auch kein Berliner Ensemble. Kein einziges Jazz-Festival könnte überleben und auch viele Rock-und Popfes­tivals ständen vor dem Ruin ohne finan­zielle Unter­stützung. Natürlich fragen die Geiz-ist-geil-Sparfüchse dann gleich, warum Kultur­för­derung als Staatsziel verankert ist. Doch genau dafür gibt es gute Gründe – Kultur ist so etwas wie die dauer­hafte Ergothe­rapie der unruhigen mensch­lichen Gehirne, die sich ohne kultu­relle Zerstreuung wohl permanent gegen­seitig einen auf die Glocke hauen würden – damit ist Kultur gewis­ser­maßen ein Beitrag zur Befriedung der Gesell­schaft, die ihre Sinne so auf andere Weise schärfen, trainieren und zum Genuss bringen darf. Und gerade die Hochkultur hat nicht die Aufgabe, einfach nur zu gefallen, sondern vielmehr das Fundament zu verbreitern, auf dem der übrige Kultur­be­trieb fußt. Denn wer nur nach der Quote schielt, bekommt einen sehr hohen Berg Unter­hal­tungs-Dreck auf einem zu kleinen Teller, wer dagegen das Neue, oft noch Unzugäng­liche, Sperrige fördert, erweitert diesen Teller am Rand und sorgt langfristig für mehr Vielfalt in der Breite. 

Moderne Klassik und Modernist Cuisine – über mein Erdbeer-Erlebnis

Essen und Kochen sind genauso ein Bestandteil unserer Kultur wie Tanz, Musik oder Theater. Unser heutiges Verständnis des Essens geht weit über die simple Nahrungs­auf­nahme hinaus – zum Glück. Es ist sozialer Kitt, Kommu­ni­kation, Sinnes­training, Achtsam­keits­übung, Wissen­schaft und Insze­nierung in einem. Und hinter dem Herd stehen irgendwie auch Künstler, die ihr Handwerk wie Musiker gelernt haben, mit der gleichen Inten­sität durch Übung ihre Fähig­keiten verfeinert haben und die wie Geschmacks­kom­po­nisten ihre Werke auf dem Teller präsen­tieren. Das Restaurant ist ihre Bühne, auf der das Menü insze­niert wird. Und Thomas Bühner ist einer der innova­tivsten Ess-Kultur­schaf­fenden des Landes. Es ist keine Schlager- oder Pop-Musik, die er macht, viel eher gleicht sein Fach der modernen Klassik. Manch einen überfordert das, es ist auch nicht jeder­manns Geschmack. Aber es ist genau dieser Blick über den Tellerrand, die Erwei­terung der „Unterlage“, auf der weitere Entwick­lungen fußen, die Bühner sowie wenige andere Protago­nisten ermög­lichen. 

Für mich war es ein wahres Aha-Erlebnis, als sich in unserem foodlab muenster unser Kompe­tenzteam gemeinsam mit Thomas Bühner und ein paar Leuten aus seiner Küchen­mann­schaft mit dem Rotati­ons­ver­dampfer beschäf­tigte. Dabei ging es um Essenzen aus der Erdbeere, die wir aroma­tisch konzen­trieren wollten, und am Ende erhielten wir sechs Proben, die wir senso­risch beurteilen sollten. Die Präfe­renzen lagen bei den meisten eindeutig beim Reagenzglas mit wuchtig-fruch­tigem Aroma. Nicht so bei Bühner und seinen Leuten – ihre Wahl fiel auf jenes Reagenzglas, bei dem das Grün der Erdbeere statt der Frucht genommen wurde. Im ersten Moment war ich verwirrt, doch je länger ich mich mit der aroma­ti­schen Struktur ihrer Auswahl beschäf­tigte, desto klarer wurde mir, dass hier jemand Aromatik aus dem eindi­men­sio­nalen Ideal wieder in einen komplexen, ganzheit­lichen Zusam­menhang stellte. Dahinter stand einfach eine faszi­nie­rende gusta­to­rische Intel­ligenz.

Subven­tionen für Tonka­bohnen

Muss jetzt jedes Sternehaus subven­tio­niert werden? Natürlich nicht. Wirtschaft­lichkeit ist auch für Köche ein wichtiger Gradmesser, zumal die meisten Sterne­köche nicht mit ihrem eigenen Geld arbeiten, sondern mit dem eines Auftrag­gebers. Doch für dicke Rendite sollte man nicht ins Geschäft mit den Sternen inves­tieren; wie man auch kein Ensemble für neue Musik oder einen Modern-Jazz-Protago­nisten als Inves­ti­ti­ons­objekt betrachten sollte. Natürlich gibt es oft große Unter­schiede zwischen Ein- und Drei-Sterne-Häusern. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden, um solide einen Stern zu erkochen (zumal manch ein Koch leider auch mehr Zeit auf Facebook, Instagram und in sonstigen Medien als hinter dem Herd verbringt, dank des Star-Hypes, der manchem Küchen­krieger zu Kopf steigt – dann bekommt man eben das Niveau eines Rosins, der weder am Herd noch intel­lek­tuell einem Bühner das Wasser reichen kann). Doch auch unsere Gesell­schaft muss bereit sein, die kultu­relle Leistung der Köche zu bezahlen. Und hier kommst endlich Du, liebe/r Leser/in ins Spiel: Wer sich kulina­risch hohe Qualität wünscht, der darf sich nicht darauf verlassen, dass Inves­toren und Hoteliers dies allein bezahlen. Wie in allen kultu­rellen Bereichen ist das Ganze eine Misch­kal­ku­lation. Und auch das Publikum, respektive der Gast, muss bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Sieben Gänge für 60,- Euro sind nun mal realis­tisch auf Sterne-Niveau kaum zu haben. Das haben die Franzosen längst verstanden – da zuckt keiner zusammen, wenn nach dem Essen die Rechnung in einer Höhe kommt, von der man locker auch eine Flugreise in den Urlaub bezahlen könnte. Kultur muss uns allen, der Politik, den Inves­toren und denen, die sie genießen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes etwas „wert“ sein. Aber ach, es ist im Land der Teutonen immer das gleiche Elend: Alle wollen gute Musik hören, gut recher­chierte Zeitungen lesen oder eben sehr gut essen, aber zahlen dafür will irgendwie keiner.

Ich hoffe sehr, dass die Leser/Innen der SAVOIR-VIVRE mit mir einer Meinung sind – dass die hohe Kunst der Kulina­ristik ihren Preis haben muss und soll. Und dass man solch klug-innovative Küchen wie einst das „la vie“ nicht den kommer­zi­ellen Inter­essen irgend­welcher Stahl­kocher, sondern den richtigen Köchen überlassen sollte.

  Euer Tobias Sudhoff

 

 

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