… und das Rezept GESCHMORTE LAMMSCHULTER vom 2‑Sternekoch Hans Haas.
Es ist noch nicht lange her, da hatten die Deutschen ein distanziertes Verhältnis zum Lamm. Man dachte quasi vollautomatisch an Knoblauchorgien, vor allem jedoch wurde zartes Lammfleisch ebenso notorisch wie fälschlich mit dem starken Gout des Hammels gleichgesetzt. Erst im Schlepp der Nouvelle Cuisine, die, ausgehend von Frankreich, ab Anfang der 1970er-Jahrer als neuer Kochstil auch in Deutschland eine kulinarische Reform einleitete und so etwas wie der Königsweg zur gehobenen Gastronomie von heute war, wurde das Lamm zunehmend den unseligen Fluch des Hammeligen los und somit kulinarisch salonfähig.
Das war eine der schmackhaftesten Evolutionen der deutschen Geschichte mit dem Ergebnis, dass Lämmernes inzwischen wohl auf jeder Speisekarte mit Anspruch steht und auch in der Privatküche geschätzt wird, aber gegenüber klassischen Feinschmeckernationen wie Italien, Frankreich oder Spanien nimmt sich der deutsche Konsum pro Jahr und Kopf noch bescheiden aus: ganze 700 Gramm Lamm sollen es sein, bei rund 60 Kilo sonstigem Fleisch.
Lammbraten bei religiösen Festen hat Tradition
Adam war laut biblischer Überlieferung übrigens der erste, der seinem Gott ein Lamm geopfert hat. In vielen Kulturen hat sich der Brauch entwickelt, bei feierlichen Anlässen und insbesondere religiösen Festen Lamm zu servieren. Im vierten Buch Mose steht geschrieben: „Da sollt ihr Brandopfer darbringen… zwei Widder, vierzehn einjährige Lämmer.“
Unabhängig von dieser urchristlichen Tradition, die als Osterlamm gefeiert wird, weiß der Kenner & Liebhaber ein feines Stück vom Lamm freilich das ganze Jahr über zu schätzen, ob gebraten, gegrillt oder geschmort. Nun muß freilich differenziert werden. Lamm ist längst nicht gleich Lamm, die Unterschiede sind je nach Rasse, Art der Haltung und Alter des Tieres groß. In der Regel wird unter Lamm das Fleisch von Tieren angeboten, die maximal ein Jahr alt sind. Tiere unter drei Monaten, die ausschließlich oder überwiegend mit Milch großgezogen wurden, nennt man Milchlamm. Haben diese Lämmer schon einige würzige Gräser und Kräuter verzehrt, umso besser, das erhöht die Geschmacksdichte. In Italien sowie Frankreich werden auch Tiere gehandelt, die nur 30 bis 40 Tage alt sind. Diese Tiere – „Agnelet“ in Frankreich, „Abacchio“ in Italien – werden meist im Ganzen gebraten und sind in den Mittelmeerländern die typische Osterspeise.
Das Fleisch eines Milchlamms ist an der blaßrosa Farbe und dem schneeweißen Fett zu erkennen. Generell gilt: je jünger das Tier, desto heller und magerer ist das Fleisch; im Alter changiert die Farbe ins Gelbliche. Gut abgehangene Stücke sind dunkler als frische. Grieseliges, sprödes, talgig wirkendes Fett lässt Tiefkühlware vermuten. Geschmacklich ist anzumerken, dass Milchlämmer, speziell die ganz jungen bis zu zwei Monaten, zwar ein sehr zartes Fleisch haben, nur: es hat wenig Eigenaroma, schmeckt nicht selten sogar fade. Der Koch wird Milchlamm deshalb durchbraten, für eine herzhafte Kruste sorgen und außerdem mit Rosmarin und Knoblauch oder anderen Aromaten nicht zimperlich sein, um dem Fleisch durch Röstung und Würzung mehr Geschmack mitzugeben.
Die begehrtesten Stücke vom Lamm sind der Rücken und die Keule. Letztere, französisch Gigot genannt, eignet sich – bei einem Idealgewicht zwischen zwei und zweieinhalb Kilo – für den großen Schmorbraten. Beide Keulen zusammen bilden mit einem Teil des auch Sattel genannten Rückens das Hinterstück: der Glanz großer Festmahle, der freilich nur in großen Öfen zum Leuchten gebracht werden kann. Der Rücken besteht aus den beiden Filets (entspricht beim Rind der „Lende“ oder dem „Roastbeef“) und auf der Unterseite, von den Bauchlappen geschützt, den sogenannten Filets-Mignons. Schneidet man den Rücken in drei bis vier Zentimeter breite Scheiben, so erhält man die bekannten Lambchops.
Der Lammrücken, vom Metzger sorgfältig zurechtgeschnitten, ist ein Braten, bei dem nichts schief gehen kann. Man schneidet überflüssiges Fett ab, lässt das im Bräter aus und legt den gut mit Knoblauch, Kräutern, Pfeffer, Salz und eventuell etwas Senf gewürzten Braten hinein. Wichtig ist, dass der schmale Fettmantel rautenförmig eingekerbt wird. Dadurch dringen Aromaten und Hitze besser ins Fleisch ein – dem Magerwahn verfallene Menschen schneiden den Fettrand schon vor dem Bratprozeß weg, was eine Sünde ist, denn erstens schmeckt das knusprig gegarte Fett und zweitens sorgt es für ein dichteres Gesamtaroma. Die beiden kleinen Filets an der Unterseite sollte man auslösen und nur etwa zehn Minuten mitbraten. Die Bratzeit beträgt rund eine halbe Stunde, abhängig von der Schwere des Stücks. Vor dem Tranchieren soll der Braten rasten, und aus dem Satz lässt sich die Sauce zaubern.
Extrem kurze Bratzeit benötigen Koteletts. In sechs bis acht Minuten sind sie gar. Ein aktueller Tipp: Jungen Knoblauch, der zur Zeit frisch auf dem Markt ist, mitsamt der Haut in der Pfanne mitschmurgeln lassen. Es empfiehlt sich, die Koteletts erst nach dem Braten zu salzen. Delikat ist eine gekochte Lammhaxe mit Zitronensauce (Haxen mit Zwiebeln, Lorbeer und Suppengemüse etwa eine Stunde köcheln, die Brühe reduzieren, mit Butter anreichern und mit Zitrone würzen). In Griechenland werden Brust oder Schulterstücke erst in Orangensaft eingelegt und dann mit selbst gemachten Nudeln in den Backofen geschoben. Köstlich schmeckt ein Eintopf mit Lammbrust und grünen Bohnen.
Eine ebenso herzhaftes wie exotisch anmutendes Rezept empfiehlt Alfred Walterspiel (1881–1960), der große deutsche Koch, in seinem 1952 aufgelegten Buch „Meine Kunst in Küche und Restaurant“, übrigens eines der besten Kochbücher. Darin beschreibt der Meister sein Erlebnis mit der Zubereitung eines „halbjährigen Hammels in Patagonien“, Carnero asado genannt, wo Schafhirten, „meist hagere, hohe Gestalten, die einen großen Teil ihres Lebens auf dem Pferde verbringen“, einen Graben ausheben, darin ein Feuer entzünden, den „vorher gut gewürzten und gesalzenen Hammel, das heißt nur die beiden Keulen und der Rücken“, an einen schwertartigen Bratspieß binden und den schräg gegen die Flamme stecken.
Und nun kommt der Clou: „Sobald das Lamm Farbe nimmt, knusprig wird, wird das Fläschchen mit einer (für mich beim ersten Mal zunächst undefinierbaren) Flüssigkeit gebracht. Der stolze Besitzer behauptete, daß niemand in der Welt einen besseren Carnero asado herstellen könne als er. Er pustete den Inhalt des Fläschchens mit wirklicher Virtuosität über den Braten und wiederholte die Prozedur mit einer Andacht, die kein spöttisches Lächeln aufkommen ließ. Wie ich nachher erfuhr, enthielt das Fläschchen eine Flüssigkeit aus Essig, Knoblauch, gemahlener Paprikaschote und Pfeffer mit einer Prise Zucker. Nur selten hat mir ein Stück Fleisch besser geschmeckt als dieser von Naturburschen zubereitete Hammel.“
Geschmorte Lammschulter von Hans Haas
Zu den geschmackvollsten Gerichten gehört die geschmorte Lammschulter. Hans Haas, der lange Jahre der Zweisternekoch vom Münchner „Tantris“ war, macht das so: Zwei Milchlammschultern à rund 800 Gramm mit Salz sowie Pfeffer würzen und mit einer feingehackten Knoblauchzehe einreiben. Zwölf Schalotten, drei Karotten, zwei Staudensellerie, 16 kleine Kartoffeln und einen Fenchel grob schneiden. Vier Tomaten blanchieren, enthäuten, vierteln und entkernen. Alles zusammen in einen Bräter geben, Butterflocken dazutun, mit etwas Wasser angießen. Je einen Zweig Thymian und Rosmarin sowie zwei Knoblauchzehen dazugeben. Den Bräter in ein Rohr mit nicht mehr als 170 Grad schieben und die Schulter häufig übergießen, bis sie – nach etwa einer Stunde – schön weich ist und goldbräunlich in der Farbe.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist natürlich die regionale Herkunft des Lamms. Ein sogenanntes Salzwiesenlamm, in Frankreich „Pre-Salé“ genannt, das auf norddeutschen Deichen, in Schottland, Irland, der Bretagne, in Dänemark, der Normandie oder im Médoc gegrast hat, zeichnet sich durch ein kräftigeres Aroma aus. Ein deutsches Spitzenlamm ist das fleischbetonte Müritzlamm von der mecklenburgischen Seenplatte. Milder und lieblicher im Geschmack ist das Fleisch von niedersächsischen Heidschnucken oder Lämmern, die im Binnenland weideten. Berglämmer verfügen in der Regel ebenfalls über ein dichteres Aroma. Hochgeschätzt unter Feinschmeckern ist das Sisteron-Lamm aus der Haute Provence, das seinen tiefaromatischen Geschmack durch die Kräuter bekommt. Über kräftiges Aroma verfügt auch das an französischen Berghängen grasende Limousin-Lamm. Solche Spitzenklasse ist rar und in Deutschland entweder bei Spezialhändlern zu bekommen – oder über einen befreundeten Koch, der Zugang zu Lieferanten hat.
Der hohe Wert von Lammfleisch läßt sich allein schon daraus ablesen, dass 100 Gramm aus der Keule den Tagesbedarf eines Erwachsenen an Vitamin B12 decken und nur rund 230 Kalorien enthalten. Lamm ist reich an Mineralstoffen und liefert gutes Eiweiß, der Gehalt an Fett schwankt je nach Teil und Alter zwischen 3,4 Prozent beim Filet und 37 Prozent bei der Hammelbrust. Neben den sogenannt edlen Teilen wie Rücken, Keule und Schulter sind auch die Innereien einen Hymnus wert: eine Milchlammleber mit Kapern oder Steinpilzen ist ebenso schmackhaft wie die mit einem Rosmarinzweig gegrillte Niere. Und ein Klassiker ist das „Navarin“: ein Ragout aus Schulter, Nacken und Brust, gedünstet mit Frühlingsgemüse und kleinen Kartoffeln.
Der passende Wein
Zum Gesamtgenusswerk wird Lamm naturgemäß erst in Verbindung mit dem Partner namens Wein. Die Wahl der Bouteille hängt von der Art der Zubereitung ab. Zu einer gekochten Lammhaxe mit Zitronensauce passt Champagner oder rassiger Weißwein wie eine trockene Riesling-Spätlese oder Sauvignon blanc von der Loire à la Sancerre und Pouilly-Fumé. Ein fränkischer oder badischer Weißburgunder wird gleichermaßen angemessen zu einem Eintopf mit Lammbrust und grünen Bohnen schmecken wie eine trockene Riesling-Spätlese vom Rhein oder ein Chablis. Die Stunde der geschmeidigen Roten schlägt beim Lammrücken: Cabernet Sauvignon aus Bordeaux ist in dieser Disziplin unschlagbar. Und zu einer geschmorten Schulter darf es auch beim Wein opulenter sein, was heißt: Syrah von der Rhone, Shiraz aus Australien, Cabernet aus Kalifornien, Primitivo aus Italien, Tempranillo aus Spanien, Pinot noir aus Burgund.
Ein Gesetz gilt unabhängig von jeglicher Partnerschaft bei Tisch: Ein kleiner Wein zu einem feinen Lammgericht ist immer eine Fehlentscheidung.
Titelfoto: Colombi-Hotel Zirbenstube