Lamm: Hochgenuß nicht nur an Ostern

19.03.2024
Karl-F. Lietz

Lesedauer: 6 Minuten

… und das Rezept GESCHMORTE LAMMSCHULTER vom 2‑Sternekoch Hans Haas.

Es ist noch nicht lange her, da hatten die Deutschen ein distan­ziertes Verhältnis zum Lamm. Man dachte quasi vollau­to­ma­tisch an Knoblauch­orgien, vor allem jedoch wurde zartes Lammfleisch ebenso notorisch wie fälschlich mit dem starken Gout des Hammels gleich­ge­setzt. Erst im Schlepp der Nouvelle Cuisine, die, ausgehend von Frank­reich, ab Anfang der 1970er-Jahrer als neuer Kochstil auch in Deutschland eine kulina­rische Reform einleitete und so etwas wie der Königsweg zur gehobenen Gastro­nomie von heute war, wurde das Lamm zunehmend den unseligen Fluch des Hamme­ligen los und somit kulina­risch salon­fähig.

Das war eine der schmack­haf­testen Evolu­tionen der deutschen Geschichte mit dem Ergebnis, dass Lämmernes inzwi­schen wohl auf jeder Speise­karte mit Anspruch steht und auch in der Privat­küche geschätzt wird, aber gegenüber klassi­schen Feinschme­cker­na­tionen wie Italien, Frank­reich oder Spanien nimmt sich der deutsche Konsum pro Jahr und Kopf noch bescheiden aus: ganze 700 Gramm Lamm sollen es sein, bei rund 60 Kilo sonstigem Fleisch.

Lammbraten bei religiösen Festen hat Tradition

Adam war laut bibli­scher Überlie­ferung übrigens der erste, der seinem Gott ein Lamm geopfert hat. In vielen Kulturen hat sich der Brauch entwi­ckelt, bei feier­lichen Anlässen und insbe­sondere religiösen Festen Lamm zu servieren. Im vierten Buch Mose steht geschrieben: „Da sollt ihr Brand­opfer darbringen… zwei Widder, vierzehn einjährige Lämmer.“

Unabhängig von dieser urchrist­lichen Tradition, die als Osterlamm gefeiert wird, weiß der Kenner & Liebhaber ein feines Stück vom Lamm freilich das ganze Jahr über zu schätzen, ob gebraten, gegrillt oder geschmort. Nun muß freilich diffe­ren­ziert werden. Lamm ist längst nicht gleich Lamm, die Unter­schiede sind je nach Rasse, Art der Haltung und Alter des Tieres groß. In der Regel wird unter Lamm das Fleisch von Tieren angeboten, die maximal ein Jahr alt sind. Tiere unter drei Monaten, die ausschließlich oder überwiegend mit Milch großge­zogen wurden, nennt man Milchlamm. Haben diese Lämmer schon einige würzige Gräser und Kräuter verzehrt, umso besser, das erhöht die Geschmacks­dichte. In Italien sowie Frank­reich werden auch Tiere gehandelt, die nur 30 bis 40 Tage alt sind. Diese Tiere – „Agnelet“ in Frank­reich, „Abacchio“ in Italien – werden meist im Ganzen gebraten und sind in den Mittel­meer­ländern die typische Oster­speise.

Das Fleisch eines Milch­lamms ist an der blaßrosa Farbe und dem schnee­weißen Fett zu erkennen. Generell gilt: je jünger das Tier, desto heller und magerer ist das Fleisch; im Alter changiert die Farbe ins Gelbliche. Gut abgehangene Stücke sind dunkler als frische. Griese­liges, sprödes, talgig wirkendes Fett lässt Tiefkühlware vermuten. Geschmacklich ist anzumerken, dass Milch­lämmer, speziell die ganz jungen bis zu zwei Monaten, zwar ein sehr zartes Fleisch haben, nur: es hat wenig Eigen­aroma, schmeckt nicht selten sogar fade. Der Koch wird Milchlamm deshalb durch­braten, für eine herzhafte Kruste sorgen und außerdem mit Rosmarin und Knoblauch oder anderen Aromaten nicht zimperlich sein, um dem Fleisch durch Röstung und Würzung mehr Geschmack mitzu­geben.

Die begehr­testen Stücke vom Lamm sind der Rücken und die Keule. Letztere, franzö­sisch Gigot genannt, eignet sich – bei einem Ideal­ge­wicht zwischen zwei und zweieinhalb Kilo – für den großen Schmor­braten. Beide Keulen zusammen bilden mit einem Teil des auch Sattel genannten Rückens das Hinter­stück: der Glanz großer Festmahle, der freilich nur in großen Öfen zum Leuchten gebracht werden kann. Der Rücken besteht aus den beiden Filets (entspricht beim Rind der „Lende“ oder dem „Roastbeef“) und auf der Unter­seite, von den Bauch­lappen geschützt, den sogenannten Filets-Mignons. Schneidet man den Rücken in drei bis vier Zenti­meter breite Scheiben, so erhält man die bekannten Lambchops.

Der Lammrücken, vom Metzger sorgfältig zurecht­ge­schnitten, ist ein Braten, bei dem nichts schief gehen kann. Man schneidet überflüs­siges Fett ab, lässt das im Bräter aus und legt den gut mit Knoblauch, Kräutern, Pfeffer, Salz und eventuell etwas Senf gewürzten Braten hinein. Wichtig ist, dass der schmale Fettmantel rauten­förmig einge­kerbt wird. Dadurch dringen Aromaten und Hitze besser ins Fleisch ein – dem Magerwahn verfallene Menschen schneiden den Fettrand schon vor dem Bratprozeß weg, was eine Sünde ist, denn erstens schmeckt das knusprig gegarte Fett und zweitens sorgt es für ein dichteres Gesamt­aroma. Die beiden kleinen Filets an der Unter­seite sollte man auslösen und nur etwa zehn Minuten mitbraten. Die Bratzeit beträgt rund eine halbe Stunde, abhängig von der Schwere des Stücks. Vor dem Tranchieren soll der Braten rasten, und aus dem Satz lässt sich die Sauce zaubern.

Extrem kurze Bratzeit benötigen Koteletts. In sechs bis acht Minuten sind sie gar. Ein aktueller Tipp: Jungen Knoblauch, der zur Zeit frisch auf dem Markt ist, mitsamt der Haut in der Pfanne mitsch­murgeln lassen. Es empfiehlt sich, die Koteletts erst nach dem Braten zu salzen. Delikat ist eine gekochte Lammhaxe mit Zitro­nen­sauce (Haxen mit Zwiebeln, Lorbeer und Suppen­gemüse etwa eine Stunde köcheln, die Brühe reduzieren, mit Butter anrei­chern und mit Zitrone würzen). In Griechenland werden Brust oder Schul­ter­stücke erst in Orangensaft eingelegt und dann mit selbst gemachten Nudeln in den Backofen geschoben. Köstlich schmeckt ein Eintopf mit Lammbrust und grünen Bohnen.

Eine ebenso herzhaftes wie exotisch anmutendes Rezept empfiehlt Alfred Walter­spiel (1881–1960), der große deutsche Koch, in seinem 1952 aufge­legten Buch „Meine Kunst in Küche und Restaurant“, übrigens eines der besten Kochbücher. Darin beschreibt der Meister sein Erlebnis mit der Zubereitung eines „halbjäh­rigen Hammels in Patagonien“, Carnero asado genannt, wo Schaf­hirten, „meist hagere, hohe Gestalten, die einen großen Teil ihres Lebens auf dem Pferde verbringen“, einen Graben ausheben, darin ein Feuer entzünden, den „vorher gut gewürzten und gesal­zenen Hammel, das heißt nur die beiden Keulen und der Rücken“, an einen schwert­ar­tigen Bratspieß binden und den schräg gegen die Flamme stecken.

Alfred Walter­spiel (1881–1960), 

Und nun kommt der Clou: „Sobald das Lamm Farbe nimmt, knusprig wird, wird das Fläschchen mit einer (für mich beim ersten Mal zunächst undefi­nier­baren) Flüssigkeit gebracht. Der stolze Besitzer behauptete, daß niemand in der Welt einen besseren Carnero asado herstellen könne als er. Er pustete den Inhalt des Fläsch­chens mit wirklicher Virtuo­sität über den Braten und wieder­holte die Prozedur mit einer Andacht, die kein spötti­sches Lächeln aufkommen ließ. Wie ich nachher erfuhr, enthielt das Fläschchen eine Flüssigkeit aus Essig, Knoblauch, gemah­lener Papri­ka­schote und Pfeffer mit einer Prise Zucker. Nur selten hat mir ein Stück Fleisch besser geschmeckt als dieser von Natur­bur­schen zubereitete Hammel.“

Geschmorte Lammschulter von Hans Haas

Zu den geschmack­vollsten Gerichten gehört die geschmorte Lammschulter. Hans Haas, der lange Jahre der Zweis­ter­nekoch vom Münchner „Tantris“ war, macht das so: Zwei Milch­lamm­schultern à rund 800 Gramm mit Salz sowie Pfeffer würzen und mit einer feinge­hackten Knoblauchzehe einreiben. Zwölf Schalotten, drei Karotten, zwei Stauden­sel­lerie, 16 kleine Kartoffeln und einen Fenchel grob schneiden. Vier Tomaten blanchieren, enthäuten, vierteln und entkernen. Alles zusammen in einen Bräter geben, Butter­flocken dazutun, mit etwas Wasser angießen. Je einen Zweig Thymian und Rosmarin sowie zwei Knoblauch­zehen dazugeben. Den Bräter in ein Rohr mit nicht mehr als 170 Grad schieben und die Schulter häufig übergießen, bis sie – nach etwa einer Stunde – schön weich ist und goldbräunlich in der Farbe.

Von grund­sätz­licher Bedeutung ist natürlich die regionale Herkunft des Lamms. Ein sogenanntes Salzwie­senlamm, in Frank­reich „Pre-Salé“ genannt, das auf norddeut­schen Deichen, in Schottland, Irland, der Bretagne, in Dänemark, der Normandie oder im Médoc gegrast hat, zeichnet sich durch ein kräfti­geres Aroma aus. Ein deutsches Spitzenlamm ist das fleisch­be­tonte Müritzlamm von der mecklen­bur­gi­schen Seenplatte. Milder und lieblicher im Geschmack ist das Fleisch von nieder­säch­si­schen Heidschnucken oder Lämmern, die im Binnenland weideten. Berglämmer verfügen in der Regel ebenfalls über ein dichteres Aroma. Hochge­schätzt unter Feinschme­ckern ist das Sisteron-Lamm aus der Haute Provence, das seinen tiefaro­ma­ti­schen Geschmack durch die Kräuter bekommt. Über kräftiges Aroma verfügt auch das an franzö­si­schen Berghängen grasende Limousin-Lamm. Solche Spitzen­klasse ist rar und in Deutschland entweder bei Spezi­al­händlern zu bekommen – oder über einen befreun­deten Koch, der Zugang zu Liefe­ranten hat.

Der hohe Wert von Lammfleisch läßt sich allein schon daraus ablesen, dass 100 Gramm aus der Keule den Tages­bedarf eines Erwach­senen an Vitamin B12 decken und nur rund 230 Kalorien enthalten. Lamm ist reich an Mineral­stoffen und liefert gutes Eiweiß, der Gehalt an Fett schwankt je nach Teil und Alter zwischen 3,4 Prozent beim Filet und 37 Prozent bei der Hammel­brust. Neben den sogenannt edlen Teilen wie Rücken, Keule und Schulter sind auch die Innereien einen Hymnus wert: eine Milch­lamm­leber mit Kapern oder Stein­pilzen ist ebenso schmackhaft wie die mit einem Rosma­rin­zweig gegrillte Niere. Und ein Klassiker ist das „Navarin“: ein Ragout aus Schulter, Nacken und Brust, gedünstet mit Frühlings­gemüse und kleinen Kartoffeln.

Der passende Wein

Zum Gesamt­ge­nusswerk wird Lamm natur­gemäß erst in Verbindung mit dem Partner namens Wein. Die Wahl der Bouteille hängt von der Art der Zubereitung ab. Zu einer gekochten Lammhaxe mit Zitro­nen­sauce passt Champagner oder rassiger Weißwein wie eine trockene Riesling-Spätlese oder Sauvignon blanc von der Loire à la Sancerre und Pouilly-Fumé. Ein fränki­scher oder badischer Weißbur­gunder wird gleicher­maßen angemessen zu einem Eintopf mit Lammbrust und grünen Bohnen schmecken wie eine trockene Riesling-Spätlese vom Rhein oder ein Chablis. Die Stunde der geschmei­digen Roten schlägt beim Lammrücken: Cabernet Sauvignon aus Bordeaux ist in dieser Disziplin unschlagbar. Und zu einer geschmorten Schulter darf es auch beim Wein opulenter sein, was heißt: Syrah von der Rhone, Shiraz aus Australien, Cabernet aus Kalifornien, Primitivo aus Italien, Tempr­anillo aus Spanien, Pinot noir aus Burgund.

Ein Gesetz gilt unabhängig von jeglicher Partner­schaft bei Tisch: Ein kleiner Wein zu einem feinen Lammge­richt ist immer eine Fehlent­scheidung.

Titelfoto: Colombi-Hotel Zirben­stube

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