Die Gurke: vielfach geschmäht, dabei küchen­po­li­tisch ziemlich omnipotent. Unser Rezept: Schmor­gur­ken­ragout mit Krebsen

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Sie ist das am meisten geschmähte Gemüse, banali­siert vom Volksmund und diskri­mi­niert durch Bilder wie das von der „Gurkerei“ im Fußball, der „Saure-Gurken-Zeit“ für nachrich­tenarme Tage oder der „Gurke“ als Schmähwort für ein müdes Auto. Im alten Berlin kam die „Jurke“ als „Beamten­wurst“ auf den Markt – auch nicht gerade ein Zeichen von Würde. Hoffmann v. Fallers­leben, der Dichter der deutschen Natio­nal­hymne, räsonierte: „Gute Antwort kann mancher Magen noch weniger als Gurken­salat vertragen.“

Wie wahr, vielen Menschen stößt die Frucht nach dem Genuß auf, was daran liegt, dass sie unreif geerntet wird. Im reifen Zustand ist sie nämlich gelb und neigt zur Fäulnis. Das wiederum hat Jean Paul, den Meister der subtilen Sprache und offen­sicht­lichen Kenner der Materie, zu dem Verdikt veranlaßt: „Menschen und Gurken taugen nichts, wenn sie reif sind.“ 

Grausam urteilte auch Carl Friedrich von Rumohr, der deutsche Kultur­his­to­riker und namhafte Gastrosoph, der die Gurke in seinem lesens­werten „Geist der Kochkunst“ (1832) als „gleich­gültige Frucht“ schmäht, die allen­falls in gesot­tenem Zustand ein „verträg­liches Zugemüse“ abgebe. Und einige Jahrzehnte später urteilen Robert Habs und Leopold Rosner in ihrem „Appetit-Lexikon“ (1894) nur gering­fügig milder: „Als Gemüse hat die Gurke stets etwas Fades und wird mit Recht von der guten Tafel fernge­halten.“

Spötti­scher noch klingt die Empfehlung eines engli­schen Arztes, der meinte, die Gurke gehöre aufge­schnitten, gepfeffert, gesalzen und dann wegen ihres niedrigen Nährwertes aus dem Fenster geworfen. Das hat der römische Kaiser Tiberius anders gesehen, der die Gurke laut einem Bericht von Plinius als beson­deren Lecker­bissen geschätzt und die Frucht von seinen Gärtnern in einer Art fahrbarem Gewächshaus an „hangenden Mistbeeten“ kulti­vieren ließ.

Die kaiser­liche Gurke dürfte freilich mehr Aroma gehabt haben und jenen zarten, aber geschmacklich bedeu­tenden Edelbit­terton, der heutigen Gewächs­gurken längst wegge­züchtet worden ist – wie die ursprünglich keulen­förmige Form mit den kleinen warzen­ähn­lichen Noppen obendrauf. Biolo­gisch gezogene Bauern­gurken lassen sich hingegen als Suppe oder Salat, gefüllt mit Hackfleisch, geschmort, frittiert, zu Chutney verar­beitet oder sauer eingelegt, kulina­risch rühmen. Mit Joghurt im griechi­schen Tsatsiki oder als Bauern­salat, in der spani­schen Gazpacho, der osteu­ro­päi­schen Kaltschale und als saftiger Partner eines süddeut­schen Erdäp­fel­salats gefällt die Gurke als sommer­liche Erfri­schung. Im Longdrink namens Pimms No.1 ist sie, spiralig geschnitten, ebenso unent­behrlich wie als Scheibchen im Gin Tonic, wie ihn die engli­schen Royals schätzen. 

Ein idealer Mitter­nachts­snack ist ein Schin­kenbrot mit einge­legten Gurken – da kommen die berühmten, kunstvoll marinierten Spree­wälder ins Spiel, denen obendrein eine heilende Wirkung bei der Bekämpfung eines Katers nach durch­zechter Nacht zugeschrieben wird: „Was klärt den Kopp bei Mann und Frau? Saure Gurken aus Lübbenau!“

Ein weiterer positiver Aspekt betrifft die Gesundheit. Zwar besteht die Gurke aus bis zu 97 Prozent Wasser und ist mit acht bis fünfzehn Kalorien pro hundert Gramm schlanker noch als Spargel, doch verfügt sie über einen hohen Anteil an Vitaminen und Mineralien. Das animiert wohl auch den deutschen Verbraucher: Pro Jahr werden hierzu­lande mehr als 50 000 Tonnen der latei­nisch Cucumis sativus genannten Frucht verzehrt. In der Küche ist die mit dem Kürbis verwandte Gurke, zumal die im Freiland gezogene, vielsei­tiger verwendbar als gemeinhin angenommen; Haupt­saison sind die Monate zwischen Juli und September.

Schmor­gur­ken­ragout mit Krebsen

Ein Klassiker der feinen Küche ist ein Schmor­gur­ken­ragout mit Krebsen: Für vier Portionen eine entkernte Gurke in kleine Stücke schneiden, salzen und mit etwas Gemüse­brühe zugedeckt acht bis zehn Minuten bei milder Hitze schmoren. In einem Sieb abtropfen lassen, die Gurken mit dem Fleisch von gut 20 abgekochten Krebsen in einer zuvor (aus zersto­ßenen Schalen, Köpfen, Krebs­fleisch) in Butter und Weißwein nebst Creme fraiche berei­teten Sauce kurz erhitzen, mit Salz und Pfeffer würzen, gehackten Dill hinzu­fügen, ein Gläschen Armagnac (oder Cognac) einrühren und mit Reis aufti­schen.

Ein Liebhaber der Gurke war der unver­gessene Koch Klaus Trebes aus Frankfurt. Ein Gurken­salat dufte bei ihm „ruhig flüssig“ sein, er drückte das Wasser nicht aus, es erfreute ihn mit Frische und Duft. Seine legendär gewordene kalte Suppe bereitete er so zu: Garten­gurken schälen und entkernen. Einen Teil klein würfeln, die andere Hälfte mit Joghurt, Hühner­brühe, Salz, Pfeffer, Dill sowie einem Schuß Pastis gut mixen und zusammen mit den Gurken­würfeln, saurer Sahne und gezupftem Dill servieren. Zum noblen St. Peters­burger Süppchen avancierte die Kreation, indem sie über einen Löffel Kaviar, kleine Würfel von rohem Lachs sowie Räucher­lachs gegossen und mit Sauerrahm vollendet wurde.

Kafel

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