22.12.2023
Tobias Sudhoff

Lesedauer: 4 Minuten

Mai. / Jun. 2018

Liebe SAVOIR-VIVRE-Genießer,

es gibt diesen schönen alten Witz vom Landarzt, der nachts von einer Frau in großer Panik wegen eines Notfalls angerufen wurde, weil es ihrem Mann sehr schlecht ginge. Als der Arzt eintrifft, ist der Mann schon tot, die weinende Witwe sitzt neben ihm am Bett. Der Arzt fragt, was denn passiert sei, worauf die Frau antwortete, ihr Mann habe erst Schüt­tel­frost gehabt, am ganzen Leib gezittert und schwer geatmet – und kurz bevor er gestorben sei habe er furchtbar angefangen zu schwitzen. Worauf der Arzt sagt: „Ahhh, schwitzen, schwitzen ist immer gut!“ Ein tolles Beispiel dafür, dass eine Kompo­nente zwar gut sein kann, jedoch wenig bringt, wenn alles andere nicht stimmt. Und wenn ich in die Küchen vieler Menschen schaue, dann geht es dort nicht anders zu. Der Koch – anstelle des Arztes – würde in Deutsch­lands Privat­küchen wohl sagen: „Aber schön isse!“ 

Wie ist es also bestellt um die Kochkunst am privaten Herd?

Angebot und Nachfrage

Na klar, verglichen mit Henriette Davidis‘ Klassiker hat sich – zum Glück – doch eine ganze Menge getan. Zum einen sind mittler­weile beide Geschlechter am heimi­schen Herd vertreten. Auch wenn ich mir sicher bin (es gibt dazu leider keine Statistik), dass an den Feier­tagen mehr Männer kochen und insgesamt Frauen immer noch öfter spülen und dem Gatten bzw. Lebens­ab­schnitts­ge­fährten hinter­her­wi­schen. Auch beim Einkauf, ja selbst in den Super­märkten, hat sich quali­tativ und vom Angebot her einiges positiv getan (und ich meine damit ausdrücklich richtige Super­märkte und natürlich nicht diese Brutstätten des Unter­ganges des Abend­landes: Das ist nämlich nicht der Islam, sondern Läden wie Aldi, Lidl und sonstige Geiz-ist-geil-Kapita­li­sie­rungs­ma­schinen …). Backöfen geben nicht mehr nur „ganz grob die ungefähre“ Tempe­ratur an und deutscher Riesling gehört nicht mehr ins Kühlwasser unseres Automobils gekippt, sondern als einer der Top-Weine dieser Welt ins Glas. Wer sich ein bisschen umschaut, findet immer mehr kleine kulina­rische handwerk­liche Betriebe, die hohe Qualität liefern, kleine Käsereien und Schlachter, die auf Qualität achten, und der nächste Biobauer ist auch nicht mehr in einem anderen Bundesland zu suchen, sondern ackert gleich nebenan. Und dieses Angebot existiert nur, weil es offen­sichtlich auch die Nachfrage gibt. Das macht dem geneigten Genießer doch Mut! So weit, so gut.

Potem­kinsche Küchen

Schauen wir aber einmal hinter die Gardinen. Oops? Was sehen wir da? Schon wieder eine Deadline, die der erfolg­reiche Architekt schaffen muss – schnell doch die Fertig-Baguettes mit Käse-Salami-Ersatz in den Gaggenau-Ofen geschoben. Keine Zeit, keine Zeit. Der Stati­onsarzt kommt erst spät nach Hause, der Induk­ti­onsherd wärmt den Auflauf vom Küchen­doktor Oetker von gestern noch einmal auf. Mirácoli heißt die letzte Rettung der Anwältin, weil der kleine Hosen­scheißer nix anderes mehr essen will, vor allem nichts Grünes mehr. Und unser IT-Experte bestellt sich die Pizza bei Lieferando, ist aber so vertieft in das Programm, das beim Kunden nicht richtig läuft, dass diese kalt wird – kein Problem, ab in die Mikro­welle. (Man sieht, IT-Experten ernähren sich vorwiegend von einer Art Gummi auf Kohlen­hy­drat­basis …). Ein noch schöneres Beispiel aus meinem privaten Umfeld: Ich kenne einen erfolg­reichen Unter­nehmer, der seit sechs Jahren in einer Großstadt wohnt, und der sich für über 30.000,- Euro eine Bulthaupt­küche gekauft hat, mit allem Drum und Dran. Mit einem klitze­kleinen Schön­heits­fehler: Leider ist der Wasser­an­schluss noch nicht verlegt – und darum geht der Mann seit sechs Jahren gegenüber bei einem (zugege­be­ner­maßen sehr guten) Italiener essen. Wenn Gäste zu ihm kommen, dann zeigt er immer stolz seine blitz­blanke Küche, die aber völlig leblos ist – als würde er seine bildschöne Gattin plasti­fi­ziert in Pose ins Wohnzimmer setzen (und für dieje­nigen, die mir frauen­feind­liche Gedanken vorwerfen, zur Vermeidung einer Gender-Diskussion: Wenn der Typ eine erfolg­reiche Geschäftsfrau wäre, dann säße im Wohnzimmer halt der plasti­fi­zierte Gatte. Oder falls es sich um Homose­xuelle handelt natürlich der gleich­ge­schlecht­liche Partner. Ach ja, für inter­se­xuelle erfolg­reiche Manager – ehhh … setzt doch einfach ein, was ihr wollt … Haupt­sache es fühlt sich keiner von mir benach­teiligt. Denn ich beleidige an dieser Stelle einfach ALLE erfolg­reichen Geschäfts­leute, die eine tolle Küche haben und darin nicht kochen, okay?). Wie habe ich es oben über solche Küchen formu­liert? „Aber schön isse …!“

Mann am Herd 

Dann gibt es noch den Klassiker, den „Ich-koche-uns-am-Wochenende-was-Schönes“-Mann. Entschul­digung, liebe Ladys, da muss ich es einfach geschlechts­spe­zi­fisch formu­lieren, das betrifft wirklich fast nur Männer. Über 200 Kochbücher stehen auf Regalen in der Küche herum, er kritzelt Anmer­kungen hinein, und samstags verwandelt sich die private Küche in ein Gourmet-Restaurant. Nur dass es leider nicht so schmeckt wie bei Henkel, Raue & Co. Die Gäste müssen sich bis 1 Uhr den Abend schöns­aufen und kauen verzweifelt auf den letzten Brötchen herum, um überhaupt was im Magen zu haben, und das alles nur, weil die verdammte Lammschulter (natürlich vom hippen Biometzger am Prenz­lauer Berg!) doch noch zwei Stunden länger nieder­tem­pe­ra­tur­gegart werden muss. Die Küche sieht anschließend aus wie einstmals die Verdun-Tiefebenen. Aber Montag kommt zum Glück ja die Raumpflege-Fachkraft (ha, man beachte das Masku­linum).

Leute – sucht doch mal die kulina­rische Mitte

Da liegt aus meiner Sicht denn auch des Pudels Kern, gleich neben dem Hasen im Pfeffer, der in genau der Grube begraben wird, die man selber ausge­hoben hat. Oder so. Zwischen Fertig­pro­dukten, Pizza-Service und Drei-Sterne-Küche liegt ein sehr weites Feld. Und genau dieses Feld scheint mir in unserem Land weitest­gehend unbeackert. Ich war vor kurzem noch in Sizilien. Da sitzen Familien zusammen am Tisch, quatschen fröhlich und es gibt eine einfache, aber eben darum perfekte Küche. Mit Basis­ge­richten aus besten Zutaten. Nicht in den Gaggenau-Herd, sondern in die Produkte, aus denen man kocht, wird dort inves­tiert. Frische Kräuter, dunkelrote Tomaten, jahrelang abgehan­gener Schinken vom Hof des Nachbarn, der auch mit am Tisch sitzt. Der Schrott aus den Discountern wird auch im teuersten Herd und meinet­wegen mit Trüffel­scheiben belegt nicht besser – es bleibt Discounter-Müll! Und wenn die „Mama“ dort frischen wilden Spargel erntet und anbrät, dann geschieht das mit eben genau der Kompetenz, die dieses Gericht braucht. Nussbutter dazu, vernünf­tiges Salz obendrauf, fertig ist die Laube, und es schmeckt GROSS­ARTIG! Was hat denn der wohlbe­tuchte Großstädter vom Thermomix, wenn er nicht mal ein einfaches Schnitzel mit locker­sit­zender Panade hinbe­kommt? Was will er mit Grape­fruit-Sphäre, wenn er den Octopus dazu als geschmacklose, zähe Schuh­sohle serviert, eben weil ihm die Routine eines Kochs fehlt? Und meinet­wegen soll sich jeder für das Sorbet zum Nachtisch den Pacojet kaufen – aber die Basics müssen erst einmal stimmen. Der Chirurg lernt doch auch erstmal viele Jahre die Anatomie, bevor er sein Skalpell in irgendeine Bauch­decke versenkt! Es gibt zum Glück kaum Hobby-Chirurgen. Warum sollten dann alle Amateure gleich Spitzen­köche sein? Der Sprung von Oetker zum Noma ist leider mit sehr viel Zeit, dem Erlernen von Handwerk und – was eben nicht gleich verteilt ist – auch noch mit viel Talent verbunden. Die Psycho­logen geben den besten Tipp: Sie nennen es „smarte Ziele“ – Ziele und Heraus­for­de­rungen so zu wählen, dass sie „schaffbar“ sind! Dann kommt das nieder­tem­pe­ra­tur­ge­garte Lamm auch pünktlich an die Tafel und alle, wirklich alle (außer das Lamm natürlich) sind glücklich.

In diesem Sinne: bon appétit und viel Spaß beim Kochen wünscht Euch Euer

Tobias Sudhoff 

 

 

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