Liebe SAVOIR-VIVRE-Genießer,
es gibt diesen schönen alten Witz vom Landarzt, der nachts von einer Frau in großer Panik wegen eines Notfalls angerufen wurde, weil es ihrem Mann sehr schlecht ginge. Als der Arzt eintrifft, ist der Mann schon tot, die weinende Witwe sitzt neben ihm am Bett. Der Arzt fragt, was denn passiert sei, worauf die Frau antwortete, ihr Mann habe erst Schüttelfrost gehabt, am ganzen Leib gezittert und schwer geatmet – und kurz bevor er gestorben sei habe er furchtbar angefangen zu schwitzen. Worauf der Arzt sagt: „Ahhh, schwitzen, schwitzen ist immer gut!“ Ein tolles Beispiel dafür, dass eine Komponente zwar gut sein kann, jedoch wenig bringt, wenn alles andere nicht stimmt. Und wenn ich in die Küchen vieler Menschen schaue, dann geht es dort nicht anders zu. Der Koch – anstelle des Arztes – würde in Deutschlands Privatküchen wohl sagen: „Aber schön isse!“
Wie ist es also bestellt um die Kochkunst am privaten Herd?
Angebot und Nachfrage
Na klar, verglichen mit Henriette Davidis‘ Klassiker hat sich – zum Glück – doch eine ganze Menge getan. Zum einen sind mittlerweile beide Geschlechter am heimischen Herd vertreten. Auch wenn ich mir sicher bin (es gibt dazu leider keine Statistik), dass an den Feiertagen mehr Männer kochen und insgesamt Frauen immer noch öfter spülen und dem Gatten bzw. Lebensabschnittsgefährten hinterherwischen. Auch beim Einkauf, ja selbst in den Supermärkten, hat sich qualitativ und vom Angebot her einiges positiv getan (und ich meine damit ausdrücklich richtige Supermärkte und natürlich nicht diese Brutstätten des Unterganges des Abendlandes: Das ist nämlich nicht der Islam, sondern Läden wie Aldi, Lidl und sonstige Geiz-ist-geil-Kapitalisierungsmaschinen …). Backöfen geben nicht mehr nur „ganz grob die ungefähre“ Temperatur an und deutscher Riesling gehört nicht mehr ins Kühlwasser unseres Automobils gekippt, sondern als einer der Top-Weine dieser Welt ins Glas. Wer sich ein bisschen umschaut, findet immer mehr kleine kulinarische handwerkliche Betriebe, die hohe Qualität liefern, kleine Käsereien und Schlachter, die auf Qualität achten, und der nächste Biobauer ist auch nicht mehr in einem anderen Bundesland zu suchen, sondern ackert gleich nebenan. Und dieses Angebot existiert nur, weil es offensichtlich auch die Nachfrage gibt. Das macht dem geneigten Genießer doch Mut! So weit, so gut.
Potemkinsche Küchen
Schauen wir aber einmal hinter die Gardinen. Oops? Was sehen wir da? Schon wieder eine Deadline, die der erfolgreiche Architekt schaffen muss – schnell doch die Fertig-Baguettes mit Käse-Salami-Ersatz in den Gaggenau-Ofen geschoben. Keine Zeit, keine Zeit. Der Stationsarzt kommt erst spät nach Hause, der Induktionsherd wärmt den Auflauf vom Küchendoktor Oetker von gestern noch einmal auf. Mirácoli heißt die letzte Rettung der Anwältin, weil der kleine Hosenscheißer nix anderes mehr essen will, vor allem nichts Grünes mehr. Und unser IT-Experte bestellt sich die Pizza bei Lieferando, ist aber so vertieft in das Programm, das beim Kunden nicht richtig läuft, dass diese kalt wird – kein Problem, ab in die Mikrowelle. (Man sieht, IT-Experten ernähren sich vorwiegend von einer Art Gummi auf Kohlenhydratbasis …). Ein noch schöneres Beispiel aus meinem privaten Umfeld: Ich kenne einen erfolgreichen Unternehmer, der seit sechs Jahren in einer Großstadt wohnt, und der sich für über 30.000,- Euro eine Bulthauptküche gekauft hat, mit allem Drum und Dran. Mit einem klitzekleinen Schönheitsfehler: Leider ist der Wasseranschluss noch nicht verlegt – und darum geht der Mann seit sechs Jahren gegenüber bei einem (zugegebenermaßen sehr guten) Italiener essen. Wenn Gäste zu ihm kommen, dann zeigt er immer stolz seine blitzblanke Küche, die aber völlig leblos ist – als würde er seine bildschöne Gattin plastifiziert in Pose ins Wohnzimmer setzen (und für diejenigen, die mir frauenfeindliche Gedanken vorwerfen, zur Vermeidung einer Gender-Diskussion: Wenn der Typ eine erfolgreiche Geschäftsfrau wäre, dann säße im Wohnzimmer halt der plastifizierte Gatte. Oder falls es sich um Homosexuelle handelt natürlich der gleichgeschlechtliche Partner. Ach ja, für intersexuelle erfolgreiche Manager – ehhh … setzt doch einfach ein, was ihr wollt … Hauptsache es fühlt sich keiner von mir benachteiligt. Denn ich beleidige an dieser Stelle einfach ALLE erfolgreichen Geschäftsleute, die eine tolle Küche haben und darin nicht kochen, okay?). Wie habe ich es oben über solche Küchen formuliert? „Aber schön isse …!“
Mann am Herd
Dann gibt es noch den Klassiker, den „Ich-koche-uns-am-Wochenende-was-Schönes“-Mann. Entschuldigung, liebe Ladys, da muss ich es einfach geschlechtsspezifisch formulieren, das betrifft wirklich fast nur Männer. Über 200 Kochbücher stehen auf Regalen in der Küche herum, er kritzelt Anmerkungen hinein, und samstags verwandelt sich die private Küche in ein Gourmet-Restaurant. Nur dass es leider nicht so schmeckt wie bei Henkel, Raue & Co. Die Gäste müssen sich bis 1 Uhr den Abend schönsaufen und kauen verzweifelt auf den letzten Brötchen herum, um überhaupt was im Magen zu haben, und das alles nur, weil die verdammte Lammschulter (natürlich vom hippen Biometzger am Prenzlauer Berg!) doch noch zwei Stunden länger niedertemperaturgegart werden muss. Die Küche sieht anschließend aus wie einstmals die Verdun-Tiefebenen. Aber Montag kommt zum Glück ja die Raumpflege-Fachkraft (ha, man beachte das Maskulinum).
Leute – sucht doch mal die kulinarische Mitte
Da liegt aus meiner Sicht denn auch des Pudels Kern, gleich neben dem Hasen im Pfeffer, der in genau der Grube begraben wird, die man selber ausgehoben hat. Oder so. Zwischen Fertigprodukten, Pizza-Service und Drei-Sterne-Küche liegt ein sehr weites Feld. Und genau dieses Feld scheint mir in unserem Land weitestgehend unbeackert. Ich war vor kurzem noch in Sizilien. Da sitzen Familien zusammen am Tisch, quatschen fröhlich und es gibt eine einfache, aber eben darum perfekte Küche. Mit Basisgerichten aus besten Zutaten. Nicht in den Gaggenau-Herd, sondern in die Produkte, aus denen man kocht, wird dort investiert. Frische Kräuter, dunkelrote Tomaten, jahrelang abgehangener Schinken vom Hof des Nachbarn, der auch mit am Tisch sitzt. Der Schrott aus den Discountern wird auch im teuersten Herd und meinetwegen mit Trüffelscheiben belegt nicht besser – es bleibt Discounter-Müll! Und wenn die „Mama“ dort frischen wilden Spargel erntet und anbrät, dann geschieht das mit eben genau der Kompetenz, die dieses Gericht braucht. Nussbutter dazu, vernünftiges Salz obendrauf, fertig ist die Laube, und es schmeckt GROSSARTIG! Was hat denn der wohlbetuchte Großstädter vom Thermomix, wenn er nicht mal ein einfaches Schnitzel mit lockersitzender Panade hinbekommt? Was will er mit Grapefruit-Sphäre, wenn er den Octopus dazu als geschmacklose, zähe Schuhsohle serviert, eben weil ihm die Routine eines Kochs fehlt? Und meinetwegen soll sich jeder für das Sorbet zum Nachtisch den Pacojet kaufen – aber die Basics müssen erst einmal stimmen. Der Chirurg lernt doch auch erstmal viele Jahre die Anatomie, bevor er sein Skalpell in irgendeine Bauchdecke versenkt! Es gibt zum Glück kaum Hobby-Chirurgen. Warum sollten dann alle Amateure gleich Spitzenköche sein? Der Sprung von Oetker zum Noma ist leider mit sehr viel Zeit, dem Erlernen von Handwerk und – was eben nicht gleich verteilt ist – auch noch mit viel Talent verbunden. Die Psychologen geben den besten Tipp: Sie nennen es „smarte Ziele“ – Ziele und Herausforderungen so zu wählen, dass sie „schaffbar“ sind! Dann kommt das niedertemperaturgegarte Lamm auch pünktlich an die Tafel und alle, wirklich alle (außer das Lamm natürlich) sind glücklich.
In diesem Sinne: bon appétit und viel Spaß beim Kochen wünscht Euch Euer
Tobias Sudhoff