Wenn es um die Definition der Bouillabaisse geht, sind die Dichter, wie so oft, keine rechte Hilfe. Sie sei „ein vornehmes Gericht, eine Art Suppe, Brühe oder Gebräu oder ein Eintopf von Fischen aller Art“, schreibt im 19. Jahrhundert etwas kryptisch William M. Thackeray, der brillante Chronist der englischen Gesellschaft, über die legendärste und in ihren Details umstrittenste Suppe der Welt. Schon die Herkunft liegt im Dunkel. Aus Karthago soll sie stammen, sagen die einen. Damit macht man sich in Marseille natürlich nicht beliebt, denn die Marseillaner schwören auf ein Urheberrecht in Sachen Bouillabaisse – das erste Rezept für eine »Bouillabaisse à Marsellaise« ist 1835 im »Le Cusinier Durand« veröffentlicht worden. In Griechenland, das ebenfalls auf eine Art Bouillabaisse einen Anspruch anmeldet, heißt es, Venus habe im Olymp das leckere Süppchen erfunden, als sie Vulkan, ihren Gatten, schläfrig machen wollte, um heimlich mit Mars zu kuscheln.
Tatsächlich findet man in der klassischen griechischen Literatur Hinweise auf Fischsuppen, die der Bouillabaisse gleichen, und vielleicht liegen die Marseillaner doch nicht so falsch, denn schließlich waren es Griechen, die Marseille gründeten und die Olive, deren Öl – anstelle von Butter – unerläßlich für jede veritable Bouillabaisse ist, in der Provence kultivierten. Also ist es gut möglich, dass eine Köchin oder ein Koch aus Marseille die ursprünglich wohl schlicht angelegte Fischsuppe verfeinerte und daraus die nicht unkomplizierte Bouillabaisse schuf. Bei aller kulturhistorischen Quellensuche darf freilich nicht übersehen werden, dass es Fischsuppen an Meeresküsten geben wird, seit der Mensch das Feuer gebraucht und sich irdener oder metallener Kessel bedienen kann.
Fest steht jedenfalls, dass dieser provenzalische Klassiker im Laufe der Jahrhunderte rezeptiv stetig verändert worden ist. Laut alten Rezepten, so hat es Plinius der Ältere schon aus Rom überliefert, bestand das Gericht aus Klippfischen, Olivenöl, Knoblauch, Lauch, Zwiebeln und Seewasser. Später kamen Kräuter und Gewürze hinzu, auch etwas Gemüse, danach der Safran aus Arabien und, nach der Entdeckung Amerikas, die Tomaten. 1785 wurde das Gericht zum ersten Mal als „Bouille Baisso“ im „Dictionaire de Provence“ erwähnt und erläutert: „Ausdruck der Fischersprache, eine Art Ragout, das dadurch hergestellt wird, dass man Fische im Meerwasser kocht. Man sagt bouille-baisso, weil der Topf, sobald er kocht (bout), vom Feuer weggenommen (abaissé) wird.« Ursprünglich wurde »Bouillabaisse« wohl für alle suppigen Topfgerichte verwendet, denn in alten Kochbüchern der Provence gibt es Rezepte diesen Titels, die keinen Fisch enthalten.
Das ist Kulturgeschichte, inzwischen steht die Bouillabaisse einzig und allein für das lebendigste und leibhaftigste Beispiel einer Speise, die wie keine andere den französischen Süden repräsentiert und über die bis heute leidenschaftlich diskutiert wird. So lebhaft über die einzelnen Zutaten gestritten wird, so einig sind sich die Exegeten, dass die Bouillabaisse erstens frisch und zweitens schnell zubereitet werden soll. Das Gericht darf nämlich nur sehr kurz auf sehr heißem Feuer kochen, damit sich Öl und Wasser mischen können, vor allem jedoch muß aus ihr noch das Aroma des Mittelmeeres zu schmecken sein. Die einzelnen Eigendüfte sämtlicher Fischsorten, die man auswählt, müssen miteinander vermischt werden, solange ihnen noch die Mitgift von Salzwasser, Algen und Seetang anhaftet. Gerechte unter den Köchen verwenden deshalb nicht frische, sondern nur allerfrischeste Fische: morgens gefangen, mittags serviert.
Fernand Point, der große Koch und Lehrer späterer Gurus wie Bocuse, Troisgros, Chapelle, hat in seiner „Pyramide“ in Vienne das Diktat der Frische sehr ernst genommen und sich im Tankwagen frische Fische liefern lassen. Dennoch nannte er die daraus gewonnene Suppe nicht Bouillabaisse, sondern „Soupe de mer“. Das war hochmoralisch. So wichtig wie die Frische ist der Rhythmus, mit dem die Meerestiere entsprechend ihrer Konsistenz der Brühe überantwortet werden. Zunächst kommen die festfleischigen Fische in den Topf (wie beispielsweise Knurrhahn, Meeraal, Rascasse, Barsch), etwa fünf bis sieben Minuten danach die mit weichem Fleisch wie Saint Pierre, Rouget, Merlan und der besonders zarte Wolfsbarsch – dies garantiert, daß die Fische mit dem feineren Gewebe nicht zerkocht werden.
Zum allgemeingültigen Kanon der Bouillabaisse gehört außer der kurzen und heftigen Garzeit – in einer guten Viertelstunde muß der Topf vom Feuer sein – , dass es nicht ohne Rascasse (Drachenkopf, Seekröte oder Seeskorpion) geht, aber nicht mit Rascasse allein. Der Rascasse, ein grober Fisch mit Stacheln, hat kein großartiges und schon gar kein feines Aroma, aber sein Fleisch bringt den Geschmack der anderen Fische auf geheimnisvolle Weise besser zur Geltung. Und davon nimmt man, was das Meer gerade bietet, vom Seeteufel (Lotte) über die Muräne, den Aal, den Loup (Wolfsbarsch), den Knurrhahn, St. Pierre, Rouget (Rotbarbe), Seezunge und Klippenbarsch bis zum Merlan. Muscheln und dergleichen Meeresfrüchte gehören eher in die atlantische Bouillabaisse, während die Pariser Variante auch Hummer, Langusten und Krebse vorsieht. Puristen lehnen Krustentiere ab, auch mit dem gültigen Hinweis, daß die nicht geschmacksverbessernd wirken würden. Aber die Pariser schmieren die Bouillabaisse auch mit Butter, was man an der Riviera entrüstet ablehnt; da ist nur Olivenöl erlaubt.
Bouillabaisse à la Marseillaise
Bei keinem anderen Rezept sind die »Ansichten und Gepflogenheiten« so unterschiedlich, stellt Auguste Escoffier, der um die Jahrhundertwende berühmteste Koch der Welt, in seinem 1914 auf deutsch verlegten Kochkunstführer lakonisch fest. Er verläßt sich auf das Rezept seines Kollegen Caillat:
»Proportionen für zehn Portionen: 2 1/2 Kg. Fisch, und zwar von folgenden Sorten: Rascasse, Chapon, Saint-Pierre, Merlan de Palangre, Fiélas, Boudreuil, Rouquiers, Langouste, Rougets usw.
Herstellung: Die großen Fische in Stücke schneiden, die kleinen ganz lassen und alles zusammen in eine Kasserolle geben mit 125 Gr. gehackten Zwiebeln, 50 Gr. gehacktem Weißen vom Lauch, 2 schönen, gepreßten, abgeschälten und in Würfel geschnittenen Tomaten, 30 Gr. zerriebenem Knoblauch, 15 Gr. grob gehackter Petersilie, einer starken Prise Safran, 1 Deziliter reinem Olivenöl, 1 Lorbeerblatt, 1 Hälmchen Pfefferkraut und 1 Prise Fenchel. Die zarten Fische, wie Merlan und Rouget, zuerst zurückbehalten und erst dann in die B. geben, wenn diese schon einige Minuten gekocht hat. Die Fische derartig mit Wasser begießen, daß sie eben bedeckt sind, pro Liter Wasser mit 8 Gr. Salz und 1 Gr. Pfeffer würzen und auf offenem starken Feuer 12 bis 15 Minuten kochen lassen. Weißbrotscheiben in eine Schüssel ordnen und die Fischbouillon daraufgießen; die Fische auf eine andere Platte anrichten und mit Langustenstücken oder halben kleinen Langusten garnieren.
Für die Brotschnitten nimmt man in Marseille langes schlankes Weißrot, das Marette genannt wird und sich zu diesem Zweck am besten eignet; es muß frisch sein. Für dieses Gericht soll man die Brotschnitten weder rösten, braten noch backen. Caillat bemerkt auch noch, daß die Bouillabaisse niemals sehr gebunden sein soll, doch muß sie ölige Konsistenz haben und – dank Safran – goldgelb in der Farbe sein.«
Deutlich aufgewertet wird die Bouillabaisse übrigens, wenn man sie mit einem „Fumet“ anreichert. Dafür kocht man ganze Fische (wie Brassen) zusammen mit Karotten, Zwiebeln, Lauch, Schalotten und etwas Weißwein etwa fünf bis acht Minuten in Wasser, passiert das Gemenge durch ein Sieb und „feuchtet“ damit die Bouillabaisse an. Das zweite Geheimnis ist das Marinieren: Die Fische werden, nachdem sie abgeschuppt, ausgenommen und in Meerwasser gewaschen worden sind, mit Olivenöl, Safran und etwas Anislikör eingerieben, ferner mit einem Hauch Vanille beträufelt. Auch Zitrusschalen werden zum Parfümieren verwendet; das gibt der Suppe jenen exotischen Hauch, an dem Gastrokritiker dann lange rätseln.
Ein weiteres Geheimnis liegt schließlich im Gebrauch des Safrans. Man teilt ihn. Die eine Hälfte kommt – siehe oben – in die Marinade, die zweite wird erst kurz vor dem Servieren, eventuell aufgelöst in etwas Fenchellikör, hinzugegeben. Es versteht sich, dass diese Aromaten nur mit Fingerspitzen dosiert werden sollen, damit sie den Fischgeschmack nicht übertönen. Das ist wie mit dem Makeup einer Frau: es soll unterstreichen, nicht maskieren.
Wer pikante Schärfe mag, löffelt sich halt mehr von der Rouille in seinen Teller. Das ist die dicklichem gelbrotem Senf gleichende Mischung aus Knoblauch, im Mörser fein gestoßenen roten und scharfen Pfefferschoten, geriebenem Weißbrot, Olivenöl und Fischbrühe, nach Belieben auch Safran und Fischleber.
Die Rouille gehört als Klacks auf die Bouillabaisse wie der saure Rahm zum russischen Borschtsch, nur leider gibt es an der Riviera viele Schlamper, die ahnungslosen Touristen eine aufgepfefferte Mayonnaise als Rouille unterschieben. Solchen Köchen sollte man auf die Finger klopfen. Andere Schlaumeier kochen ihre Gäste ab, indem sie ihnen anstelle der echten Bouillabaisse eine „Soupe de poisson aux vermicelles à la Marseillaise“ auf den Tisch stellen, gekocht aus Fischresten wie Köpfen, Schwänzen, Flossen, Rückengräten, gesiebt und dann gewürzt mit ähnlichen Zutaten wie für die Bouillabaisse. Man hat auch schon erlebt, daß eine solche schlichte Fischsuppe mit einem Hümmerchen geziert und für sündteures Geld serviert worden ist. Leicht verwechselt werden kann die Bouillabaisse mit der Bourride: Laut klassischer Lehre sollte die Bourride keinen Safran enthalten, nur aus weißen Fischen und ohne Schalentiere gemacht werden. Ferner soll Aioli in die Brühe gegeben werden, auch Eigelb.
Die Geschichte der Bouillabaisse ist schon verzwickt genug, um sie nicht noch mit weiteren Daten und Varianten zu befrachten. Jeder Ort, jedes Restaurant hat seine spezielle Zubereitungsart. Weil nicht jeden Tag die gleichen Fische zur Verfügung sind, fällt sie selbst im selben Restaurant von Tag zu Tag unterschiedlich aus. Jeder Koch hat in Nuancen seine eigene Rezeptur. Das spricht für die Individualität der Bouillabaisse. Und darüber hinaus ist sie das lebhafteste Beispiel für Leidenschaft pro und contra ein Gericht. Man verabscheut oder liebt sie, aber eines ist sicher: Die Bouillabaisse ist ein göttliches Gericht, sofern sie von einem Gerechten der Küche zubereitet, ja inszeniert wird. Dann ist sie eine Speise von öliger Konsistenz, goldgelb gefärbt vom Safran, verführerisch nach Meeresbrise, Knoblauch und Gewürzen duftend und zur Vollkommenheit gebracht durch Wein, sei der weiß oder rosafarben, trocken oder schäumend. Dann läßt sie als duftigste aller Suppen keinen kalt.
Spurensuche in Bouillabaisse-Rezepten:
Fische: Rascasse, St. Pierre, Merlan, Klippfische (wie Klippenbarsch), auch Meeraale, Seezungen, Rouget und Loup de mer gehören zum klassischen Programm, eventuell auch Muräne, roter Knurrhahn und änliches. Muscheln sind umstritten, ebenso Hummer und Langusten. Die kleinen Fische werden ganz gelassen, die großen in Stücke geschnitten – vorher natürlich geschuppt. Wichtig ist, daß die zarten Fische erst nach den Fischen mit festem Fleisch in die Garung gegeben werden. Ansonsten blieben die festen Fische halbroh und die feineren würden überkocht.
Zutaten: Zwiebel, Lauch, Knoblauch, würfelig geschnittene und geschälte Tomaten, ein Bouquet garni (Petersilie, Thymian, Lorbeer), Fenchel, eventuell Karotten.
Gewürze: getrocknete Orangenschalen, Safran, Pfeffer, Salz, Gewürznelke, Vanille.
Basis: Butter ist verpönt, reichlich Olivenöl ein Muß. Weißwein wird in manchen Rezepten angegeben, in anderen wird nur Seewasser und Fischfond (zubereitet aus den Köpfen, Flossen und Gräten der größeren Fische) empfohlen.
Grundsätzliches: Großer Zank herrscht unter Puristen, ob Muscheln und Krustentiere erlaubt sind. In der Pariser Bouillabaisse ist Hummer (oder Languste) drin, in der klassischen Provence-Küche nicht. Hummer aus kalten Gewässern (wie dem Atlantik) schmeckt besser als der aus dem warmen Mittelmeer; das könnte ein Grund für die Pariser Variante sein, abgesehen vom höheren Preis, der mit Krustentieren zu erzielen bzw. zu rechtfertigen ist. Languste wiederum ist an der Riviera wohl erlaubt, jedoch nicht klassisch. In den alten Rezepturen kommen keine Muscheln vor, in moderneren ja (zumal solchen in Pariser Küchen).
Anislikör: umstritten. Die einen sagen kategorisch Nein – ihnen reicht der Fenchel. Andere sehen in der Zugabe einiger Tröpfchen kurz vor dem Anrichten eine Bereicherung: Tatsächlich vermag ein Hauch Anislikör der Suppe einen aparten exotischen Effet zu geben. Ein Geheimtipp ist ferner: Vanille!
Service: Angerichtet wird die klassische Bouillabaisse bekanntlich mit gewürfelten, ungetoasteten Weißbrotscheiben (nicht mit Croutons) sowie Rouille (eine dickliche und scharfe Emulsion aus Knoblauch, pürierten roten Pfefferschoten, Olivenöl, Fischbouillon, frisch geriebenem oder aufgeweichtem Weißbrot). In Marseille und anderen Orten an der Côte werden die Suppe und die darin gegarten Fische separat aufgetragen – die siedend-heiße Suppe in einer Terrine, die Fische auf einer angewärmten Platte, flankiert von Weißbrot und Rouille.
Varianten: Auf der Basis der Bouillabaisse lässt sich auch aus Süßwasserfischen eine vergleichbare Suppe anrichten, beispielsweise mit Barsch, Hecht, Forelle, Karpfen, Schleie, Zander, Waller und Flußkrebsen. Selbst der »Larousse Gastronomique«, die Bibel französischer Küchenchefs, hat nichts gegen eine solche Süßwasser-Version und nennt sie »pochouse«, zubereitet mit Weißwein und angereichert mit mageren Speckwürfeln, Zwiebeln und Pilzen.
Ein atlantischer Verwandter der Bouillabaisse, zubereitet mit Butter anstelle von Olivenöl ist der bretonische Suppentopf namens »Cotriade«, dem außer den obligaten Fischen auch Muscheln, Krabben sowie Krebse beigemengt werden, des weiteren auch Gemüse und Kartoffeln. Serviert wird dieses traditionelle Regionalgericht mit einer Vinaigrette und goldgelb gerösteten Weißbrotscheiben.
Aus beliebig vielen Fischen besteht das flämische Gericht namens »Waterzooi«, geköchelt mit Butter, angereichert mit Sahne, gebunden mit Paniermehl, aufgetischt mit gerösteten Weißbrotscheiben oder, klassisch belgisch, mit Pommes frites.