Bratapfel: nostal­gi­scher Genuss aus dem Bratrohr

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 5 Minuten

Dazu als Weinbe­gleitung: Riesling. Eine Auslese vom Rhein oder der Mosel ist eine gute Wahl, und wer’s noch edelsüßer mag, der wird mit einem älteren Tokajer, reifem Sauternes oder einem Ruster Ausbruch schon auf Erden eine Ahnung von Glück­se­ligkeit erleben.

Die erste dokumen­tierte Mahlzeit der Mensch­heits­ge­schichte bestand laut christ­lichem Testament aus einem Apfel. Bibel­for­scher meinen zwar, dass vermutlich der Granat­apfel die Frucht jenes paradie­si­schen Baumes der Erkenntnis war, aber im Volks­glauben wird der europäische Kultur­apfel, botanisch ein Rosen­ge­wächs, als Ursache für die Vertreibung aus dem Paradies angesehen. Wie es dort aussah, weiß man nicht, aber es könnte langweilig gewesen sein, denn es gab weder Weine noch eine raffi­nierte Küche oder Sünden – und ausge­rechnet der Apfel war verboten. Der Apfel ist nämlich weit mehr als ein pausbä­ckiges Landkind: Er schmeckt pur sowie in vergeis­tigter Form als Calvados. Und er berei­chert die bürger­liche Küche ebenso köstlich wie die feine.

Ein Tafel­spitz ohne Apfel­meer­rettich wäre eine fade Angele­genheit. Zu einer kross gebra­tenen Blutwurst passt nichts besser als diskret karamel­li­sierte Apfel­scheiben. Das Süßsaure des Apfels und die herzhafte Rusti­ka­lität der Wurst ergänzen sich auf dem Teller so schön wie Jean Harlow und Clark Gable im Film. Den gleichen Effekt vermittelt karamel­li­sierter Apfel einer sanft gebra­tenen Gänse­leber: Dank der feinen Frucht­säure bekommt die von Haus aus opulente Leber eine gewisse Leich­tigkeit. Der Apfel macht aus Prosa ein Stück Poesie. Ein beson­derer Gaumen­schmaus ist die warme Apfel­torte („Tarte fine aux pommes“). Der große Escoffier führt in seinem Kochkunst­führer immerhin 17 warme Süßspeisen mit Äpfeln auf. In England wird der „Apple Crumble“ hoch geschätzt, ein warmer Apfel­auflauf mit Butter­streuseln. Dafür werden die geschälten und gevier­telten Äpfel in Scheiben geschnitten und in eine leicht ausge­fettete Auflaufform geschichtet. Ein wenig Zimt und Zucker verleihen den Äpfeln eine besonders gewürzige Note. Aus zerlas­sener Butter, Zucker und Mehl bereitet man eine Streu­sel­masse, die über die Apfel­schicht gestreut wird. Der Auflauf wird dann im Ofen solange gebacken, bis die Streusel goldgelb sind. Eine Vanil­le­sauce wäre ein feiner Partner, sofern Köchin oder Koch nicht schon vor dem Backen eine Pudding­schicht zwischen Äpfel und Streusel drapiert haben. Bratap­fel­reste können übrigens noch einmal im Ofen warm gemacht oder kalt, dann jedoch ohne Schale, abwech­selnd mit Vanille-Quark in ein Dessert-Glas gefüllt werden (dieses Bratapfel-Schicht-Dessert bekommt eine besonders exquisite Nuance, wenn zusätzlich in Orangensaft oder Likör getauchte Löffel­bis­kuits einge­schichtet werden).

Großmutters Bratapfel aus dem Ofenrohr

Das leckerste Apfel­ge­richt ist zugleich das duftigste und es löst vollau­to­ma­tisch wonnige Erinne­rungen an die Kindheit aus: Großmutters Bratapfel aus dem Ofenrohr. Die Rezep­turen für diesen Klassiker variieren stark, jede Familie hat ihr eigenes kleines Geheimnis. Allen Rezepten gemeinsam ist, dass man das Kernge­häuse aussticht, die Öffnung füllt, die Äpfel zuckert und in einer großzügig gebut­terten Auflaufform ins heiße Rohr schiebt. Voraus­setzung für Genuß sind saftige Äpfel, beispiels­weise Reinette, Boskop, Glocken­apfel, Jonagold, Cox-Orange. Als Bratfond – sofern man es nicht bei der Butter als Grundlage beläßt – eignet sich eine Mischung aus etwas Apfelsaft nebst einem Spritzer Zitrone, einem Stück Zimtrinde, Sternanis, ungespritzten Orangen- und Zitro­nen­schalen sowie eine aufge­schlitzte Vanil­le­schote. Die Füllung ist eine Geschmacks- und Glaubens­frage. Manche lassen den Apfel mit Stiel und Kernen, nur gezuckert, im Ofen braten, bis er außen krustig und innen weich ist; sie essen ihn mit Rahm und Johan­nis­beer­gelee. Die einen füllen den Apfel mit Früch­te­gelee (sehr gut: Johan­nis­beere, Himbeere, Weich­sel­kirsche, Zwetschge), andere nur mit Butter und Rosinen (mariniert in einer Liaison aus 2/3 schwarzem Tee und 1/3 Rum) sowie einem Schuß Portwein. Die einen wollen unbedingt Mandeln in der Füllung haben, vielleicht auch geriebene Walnüsse oder Hasel­nüsse, Zimt, Krokant und Zitro­nen­schale. Anderen genügt eine Masse aus Butter und Zucker, befeuchtet mit etwas Weißwein, Kirsch­wasser, Apfelmost oder Calvados. Finesse bieten Mandeln, Rosinen und Dörrzwetschgen, gehackt und mit Honig sowie Zitro­nensaft vermengt.

Bratapfel-Rezept tradi­tionell und flambiert (für vier Personen) 

Zutaten:

vier große Äpfel (bevorzugt Boskop, Cox Orange); Zitro­nensaft, ca. 50 Gramm Rosinen oder/und Korinthen), möglichst ungeschwefelt; ca. 50 Gramm gehackte Mandeln und Nüsse (wahlweise Hasel- oder Walnüsse); ca. 200 Gramm Johan­nis­beer­kon­fitüre oder Apfel­gelee oder Quitten­gelee; Zucker; echter Karibik-Rum (alter­nativ: Calvados, Apfel­brand); Zimt.

Die Füllung läßt sich selbst­ver­ständlich nach dem liberalen Motto „schön ist, was gefällt“ variieren, beispiels­weise mit Marzipan, Kokos­raspeln, Dörrzwetschgen, zerbrö­selte Makronen. Anstelle der Konfitüre kann man Honig nehmen.

Für die Dekoration:

Mandel­stifte oder Nußkerne, Puder­zucker, eventuell Minze­blättchen.

Zubereitung:

Äpfel waschen, trocken reiben, jeweils einen Deckel abschneiden, die Öffnung kreuz­weise einschneiden und das Kernge­häuse großzügig entfernen. Die so entstandene Höhlung innen mit Zitro­nensaft beträufeln. Die Rosinen, Korinthen, gehackten Mandeln sowie Nüsse und die Konfitüre mit etwas Butter, einem bis zwei Eßlöffel Rum und einer Brise Zimt cremig mischen, damit den Apfel bis zum Überquellen füllen, die Deckel locker drauf­setzen. Nun eine feuer­feste Form gleich­mäßig mit Butter bestreichen, darauf die Äpfel neben­ein­ander platzieren und mit einigen Butter­flöckchen belegen. Falls Füllung übrig bleibt, die rund um die Äpfel verteilen. Im vorge­heizten Backofen bei etwa 200 Grad ungefähr 20 bis 30 Minuten backen. Anschließend die Äpfel leicht mit Puder­zucker bestreuen und mit Mandel­stiften oder Nußkernen dekorieren. Nach Geschmack einen Klacks geschlagene Sahne dazu geben. Dazu paßt entweder eine Vanil­le­sauce oder Eis (Vanille, Apfel, Zitrone…)

Flambierte Äpfel:

Alter­nativ zur Vanil­le­sauce kann man die Bratäpfel flambieren, was sich als apartes Spektakel insze­nieren läßt. Dafür wird je ein Glas hochpro­zen­tiger Rum oder Apfel­brand in einem Topf stark erwärmt, über die Äpfel gegossen und angezündet. Ausbrennen lassen, dabei vielleicht das Licht ausschalten. Welche Füllung man auch wählt, wichtig ist, dass der Apfel gezuckert und die feuer­feste Form dick gebuttert wird, ehe man sie ins vorge­wärmte Backrohr schiebt. Der Apfel muß außen krustig schrumpeln und innen ganz weich sein, dabei saftig.

Alfred Walter­spiel, der große deutsche Koch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhun­derts, hat den Bratapfel geliebt und festge­stellt: „Man isst sich an diesem delikaten Gericht nie über.“

Bratapfel zur Weihnachtszeit

Rund um die Weihnachtszeit gibt es ein Gewürz, das ganz groß rauskommt: Zimt. Auch in unserem nächsten Rezept für gefüllte Bratäpfel wird mit Zimt verfeinert, veredelt und abgeschmeckt. Was passt aber auch besser zu dem Duft gebackener Äpfel und Nüsse? Und das zu zaubern, geht ganz einfach:

 Bratapfel mit Quittenmus

1 säuer­licher Apfel 25 g gemahlene Hasel­nüsse 1 EL Kleie 1 EL Milch 2 TL Quittenmus Zimt Die gemah­lenen Hasel­nüsse in einer Schüssel mit Kleie und Milch vermengen. Mit Quittenmus süßen und mit Zimt abschmecken. Apfel ausstechen, mit der Masse füllen und auf Backpapier setzen. Im vorge­heizten Ofen bei 180–200 °C 12–15 Minuten backen. Auch hierzu gibt es natürlich eine Alter­native: Bratapfel mit Rüben­kraut  1 säuer­licher Apfel 25 g gemahlene Hasel­nüsse 1 EL Kleie 1 EL Milch 1 TL Rüben­kraut Zimt Die gemah­lenen Hasel­nüsse in einer Schüssel mit Kleie und Milch vermengen. Mit Rüben­kraut süßen und mit Zimt abschmecken. Apfel ausstechen, mit der Masse füllen und auf Backpapier setzen. Im vorge­heizten Ofen bei 180–200 °C 12–15 Minuten backen.

Riesling paßt zu Bratapfel

Zum Gesamt­genußwerk wird ein Bratapfel in Begleitung eines Weines und das heißt vor allem: Riesling! Eine Auslese vom Rhein oder der Mosel ist eine gute Wahl, und wer’s noch edelsüßer mag, der wird mit einem älteren Tokajer, reifem Sauternes oder einem Ruster Ausbruch schon auf Erden eine Ahnung von Glück­se­ligkeit erleben.

Kafel

Verzeihen Sie, wenn ich störe!, rief ein Apfel aus der Röhre. Was ich erlebt, das glaubt man kaum – ich hing an einem Apfelbaum. Der Baum stand dicht vor einem Haus – dort wohnt der Bauer Nikolaus. Da sah ich nachts bei Mondes Schein, es stieg ein Dieb zum Fenster rein. Ich, um ihn zu vertreiben, fiel ab und pochte an die Scheiben. Der Dieb, der dachte sich: Oh-oh, der ließ das Geld im Stich und floh. So hab‘ ich Nikolaus beschützt – es hat mir aber nichts genützt. Mit grober Hand griff mich der Bauer, besah mich lang und sagte: Sauer. Nun muss ich hier im Topfe kochen, mir ist das Herz schon fast gebrochen. Das eine ist mir aber klar: Die Menschen sind oft undankbar. Joachim Ringelnatz

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