Carpaccio: Teller­poesie aus Fleisch, Fisch oder Gemüse

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Wann genau und durch wen es über den Alpen­hauptkamm nach Deutschland kam, weiß man nicht, aber in den Siebzigern des letzten Jarhun­derts war es auf einmal da und jeder wollte es essen: das Carpaccio.

Klassisch wird es aus Rindfleisch zubereitet, doch mittler­weile pflegt nahezu jeder Koch seine spezielle Variante. Im „Landhaus Bacher“ in der Wachau hat Lisl Wagner, die geniale Köchin, ihre Gäste sogar mit einem Austern-Carpaccio entzückt, hauchdünn geschnitten, wie es sich gehört. Die Phantasie darf ja mitspielen, nur: Ein Carpaccio muss immer zart bleiben, immer mehr Poesie als Prosa sein; wer es überwürzt oder gar mit Beilagen befrachtet, missver­steht die Idee des Carpaccios.

Entstanden ist dieses delikate Hors d’oevre 1950 in Venedig, in „Harry’s Bar“. Wie so oft, wenn Großes sich entwi­ckelt, spielt der Zufall mit. Giuseppe Cipriano, der Chef von „Harry’s Bar“ und Gentleman-Wirt der alten Schule, hat es erfunden, ohne sich viel dabei zu denken. Weil die Contessa Amalia Nani-Mocenigo, ein Stammgast und übrigens eine erstklassige Contessa mit Dogen unter den Ahnen, einen sensiblen Magen hatte und laut ärztlichem Rat im Rahmen ihrer Diät kein gekochtes Fleisch essen durfte, servierte ihr Signore Cipriani feinst­blättrig geschnit­tenes Ochsen­filet, beträufelt mit einer pikanten Tunke, die immer vorrätig war und den klang­vollen Namen „Salsa universale“ hatte. Das ist eine Mayon­naise, angerei­chert mit etwas Worces­ter­shiresauce, Milch, Zitro­nensaft, Salz, weißem Pfeffer sowie – nach persön­lichem Geschmack – einem guten Spritzer Cognac.

Das Ur-Carpaccio ist demnach als diäte­ti­scher Gaumen­letzen auf die Welt gekommen. Am feinsten lässt sich das Fleisch schneiden, wenn es leicht angefroren ist – wie überhaupt jedes fischige oder fleischige Produkt, aus dem ein Carpaccio werden soll, gerade so lange ins Tiefkühlfach kommt, bis es genügend angehärtet ist. Es empfiehlt sich, das Fleisch mit Zitro­nensaft, Meersalz und weißem Pfeffer ein wenig zu marinieren, bevor man die “Salsa universale“ darüber träufelt, kreuz und quer, spira­len­förmig oder wie es einem gefällt. Anstelle der Mayon­naise kann man selbst­ver­ständlich auch eine Vinai­grette aus feinstem Weinessig und Olivenöl nehmen.

Salsa Carpaccio
Das authen­tische Rezept von Arrigo Cipriani (für etwa einen Viertel­liter):
185 ml Mayon­naise in einer Schüssel mit 1 bis 2 Tl Worces­ter­shiresauce sowie einem Tl frisch gepreßtem Zitro­nensaft gut durch­mi­schen. Mit 2 bis 3 El Milch so weit verdünnen, daß die Sauce gerade mal den Löffel­rücken samten überzieht. Schließlich mit Salz, frisch gemah­lenem weißem Pfeffer, Worces­ter­shiresauc oder Zitro­nensaft abschmecken. Ein Schuß Cognac gehört nicht zum origi­nalen Rezept, kann die Sauce freilich geschmacklich anrei­chern.


Weil außer der Contessa immer mehr Gäste an dem frugalen Gericht ihren Gefallen hatten, setzte Cipriani es auf die Speise­karte. Nun musste ein Name her. Wieder spielte der Zufall sein Solo. Im Dogen­palast ist damals eine große Ausstellung von Carpaccio gezeigt worden. Jener Vittore Carpaccio (cirka 1465 bis 1525), als dessen Spezia­lität große Bildfolgen mit erzäh­lendem Charakter gelten, soll von Bellini malerisch beein­flusst worden sein. Und einen „Bellini“ gab es in “Harry’s Bar“ bereits; es war der Haustrunk aus Pfirsichsaft mit Sekt oder Champagner. Also wurde das marinierte Contre­filet – so nennen Gastro­nomen das Roastbeef – zum Carpaccio.
Heute verstehen Köche unter “Carpaccio“ auch eine vom Erstlingswerk unabhängige Art der Zubereitung. Im kulina­ri­schen Lexikon “Die Sprache der Küche“ definiert Herbert Birle das Carpaccio bereits neutral als “hauchdünn geschnittene Scheiben von Fleisch oder Fisch in einer leicht sauren Marinade oder mit einer Sauce“. In diesem Sinne können kreative Köche ihren Einfalls­reichtum beweisen. In der modernen Küchen­li­te­ratur finden sich Gerichte „à la carpaccio“ mit Spargel, Gänse­leber, Hirsch­kalbs­rücken, Langus­tinen, Wolfs­barsch, Steinbutt und so weiter.

Sinnen­be­törend schmeckt beispiels­weise das Steinpilz-Carpaccio von Helmut Öster­reicher: Feinblättrig geschnittene Stein­pilze werden auf blanchierte Würfelchen von Sellerie, Karotten und gelben Rüben gelegt, gewürzt mit Olivenöl, Salz und gemah­lenem Kümmel. Die Pilze dann mit einer dünn angelegten Sauce hollan­daise plus Peter­silie, Estragon, Trüffelöl und ein wenig Fenchel­kraut begießen, mit Sesam bestreuen und kurz im Rohr überbacken. Rühmenswert ist das Carpaccio von der Jakobs­mu­schel, das der geniale Heinz Winkler in seiner „Residenz“ zu Aschau im Chiemgau nebst Sauerrahm mit einem anstän­digen Klacks Kaviar auf einer Kartoffel der edlen Rasse namens La Ratte (Kipfler oder Bamberger bzw. Pfälzer Hörnchen im Deutschen) würzt. 

Das sind Kompo­si­tionen, die es verdienen, nach einem Mann der venezia­ni­schen Renais­sance­ma­lerei benannt zu werden. Proble­ma­tisch wird‘s bei einem Erbsen-Carpaccio, an dem ein bekannter Koch seit langem tüftelt. Fällt ebenfalls eher ins surreale Küchenfach.

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