Denk ich an Deutschland beim Abend­essen…

15.01.2024
Tobias Sudhoff

Lesedauer: 4 Minuten

Nov. / Dez. 2017

Liebe SAVOIR-VIVRE-Genießer,

lange Zeit galt Deutschland weltweit als kulina­rische Einöde. Und das im inter­na­tio­nalen Vergleich völlig zu Recht. Meine gastro­no­mische Jugend bestand aus Fleisch­bergen, die auf dem Teller die Physio­gnomie Helmut Kohls wider­spie­gelten, dazu zerkochtes Beilagen-Gemüse, das sich scheinbar selber in direkter Nachbar­schaft zu dem fetttrie­fenden toten Tier unwohl fühlte und als Krönung – unter einem Stärke­häutchen warmge­halten – Knorr-dunkle-Saucen-Extrakt. Das Ganze schmeckte genauso, wie unsere Wohnzimmer damals aussahen … Von solchen Irrwegen der Gastro­nomie musste sich mein Gaumen erst mal viele Jahre erholen. 

Doch wer in diesen Tagen durch dieses Land geht, findet ein ganz anderes Deutschland wieder. Food ist hier ein veritables Thema geworden. Menschen inter­es­sieren sich wieder für Essen und dessen Zubereitung. Davon zeugen nicht nur Magazine wie SAVOIR-VIVRE. Selbst an der Hochschule, an der ich die Zusam­men­hänge von Natur­wis­sen­schaften und Geschmack unter­richte, sitzen in meinen Seminaren immer weniger zukünftige Nestlé-Lebens­mit­tel­tech­no­logen als vielmehr geschmacks­be­geis­terte junge Menschen, die die Welt der Lebens­mittel verändern und mitge­stalten wollen. Handcraft, Regio­na­lität, Authen­ti­zität und Nachhal­tigkeit sind keine leeren Worthülsen mehr, sondern werden von Kreativen und herrlich Verrückten mit Inhalten gefüllt, die mitunter sehr schmackhaft sind.

Is(s) was?!

Dieses Quali­täts­be­wusstsein hat es sogar in die deutschen Küchen geschafft. Wer heute in einem bürger­lichen Restaurant essen geht, bekommt immer öfter ordent­liche, handge­machte Gerichte serviert. Und wer – wozu immer mehr Menschen bereit sind – ein wenig mehr Geld ausgibt, der bekommt nicht selten richtig gutes Essen serviert. In der Spitzen­gas­tro­nomie ziert unser Land eine Vielzahl von Sternen an den Eingangs­por­talen mancher Gourmet­tempel. Deutschland hat eine Reihe wirklich innova­tiver Köche, die ihren eigenen Weg gehen und die uns mit großar­tigem Handwerk und spannender Kreati­vität schlichtweg glücklich machen können. Wer hätte denn gedacht, dass ausge­rechnet im karni­vo­ri­schen Deutschland einmal ein Stephan Hentschel im Cookies Cream CO2-neutral großes Kino liefern würde? Dass ein Harald Rüssel in seiner Küche konse­quent nach Aspekten der Regio­na­lität erfolg­reich – und ausge­sprochen lecker! – seinen Stern vertei­digen könnte? Dass ein Stein­heuer irgendwo in der Provinz derart unkon­ven­tionell große Gerichte zaubert? Oder gar ein René Frank mit dem CODA ein reines Dessert-Restaurant eröffnet, in dem auch der verwöhnte Gaumen nach etlichen Gängen nicht einen Moment das Gefühl hat, zu viel Süße und zu wenig Umami geschmeckt zu haben, sondern sich dort vielmehr eine völlig neuartige, geniale Geschmackswelt selbst dem geübten Schna­bu­lierer auftut? Da sollte man doch eigentlich fragen: Is(s) was?

Und Dollase meckert …

Ja. Da is‘ was. Etwas, das mich bei vielen, vor allem jüngeren Köchen irgendwie stört. Ich habe nämlich ziemlich oft das Gefühl, dass da schon wieder so etwas wie der „deutsche Einheits­teller“ entsteht. Immer „total trendig“, je nachdem welche Sau gerade durch das Gastrodorf getrieben wird. Und das geht für mich leider oft einher mit dem Verlust dessen, wofür ich eigentlich essen gehe – nämlich ein feiner, durch­dachter, gerne auch komplexer Geschmack. Da bekommen die Teller plötzlich Masern, dann wieder muss alles auf einer Seite – am liebsten auf erdfar­benem Unter­grund – angerichtet werden (und die leere Hälfte des Tellers starrt mich vorwurfsvoll beim Essen an), dann muss aus allem krampfhaft noch ein Schäumchen, ein paar Crumbles und ein Sponge serviert werden – nur weil „Sponge doch gerade alle anderen auch machen“. Nein, liebe Freunde, ich will keinen labbrigen Artischocken-Sponge, auf dem ein furzge­trock­neter Artischocken-Chip liegt. Nicht, wenn es gusta­to­risch schlicht keinen Sinn ergibt. Als Dollase vor kurzem seine Kritik an hiesigen Spitzen-Gastro­nomen äußerte (und dabei gewohnt Dollase-mäßig barock wenn nicht gar rokokoesk sich in seinen eigenen Wort-Wald begab …), da war das Erstaunen groß. Und viele meiner Gastro-Bekannten und Freunde wussten rein gar nichts damit anzufangen. Doch mich beschlich das Gefühl, dass er genau das gemeint haben könnte. Und in dem Fall gebe ich ihm recht.

Zwei Sterne für eine Zwiebel mit Hack – als Augen­öffner

Ich war vor gar nicht langer Zeit in einem Sterne-Haus im Piemont. Und was bekam ich da serviert? Eine Ofenzwiebel gefüllt mit feinem Hack und Trüffel­aromen. Bäm! Und was soll ich sagen? Es war derart unfassbar lecker, so subtil und ausge­wogen in den Aromen, handwerklich perfekt – ich bekam Gänsehaut ob dieses scheinbar schlichten Gusta­ti­ons­kunst­werkes. Das würde sich hier bei uns wohl kaum ein Sterne-Koch trauen. Und genau das war für mich ein Augen­öffner (respektive Zungen­öffner)!

So unmanie­riert geht kochen. Klar, der gleiche Koch beherrscht auch Matcha-Kaviar und jede Espuma-Konsistenz. Das ist die handwerk­liche Voraus­setzung. Aber er muss es mir nicht unbedingt auf jedem Teller zeigen. Was hier bei uns ein Stück weit schief­läuft, kann man ganz wunderbar in der Facebook­gruppe „Modern Cuisine“ sehen – da sind wahrlich genug große Talente darunter mit Riesen­po­tential. Aber die Teller bestehen zu guten Teilen aus genau jenem Einheits-Stil mit Blick auf handwerk­liche Angeberei, der die gehobenen Restau­rants aus meiner Sicht zu sehr prägt – und der Kreati­vität viel zu enge Grenzen setzt. Für mich als Musiker drängt sich der Vergleich auf: Die Teller sehen genau so aus, wie viele asiatische Musik­stu­denten klingen, wenn sie hier Klassik studieren – technisch brillant, aber völlig leblos. Und nicht wenige Küchen­kol­legen überschätzen sich dabei reichlich.

Was heißt das für die deutschen Köche? Ganz klar: Die deutsche Küche ist mittler­weile besser als ihr Ruf. Es verändert sich wirklich was auf deutschen Tellern, und es gibt viele auch junge, talen­tierte Köche, die auf der Suche sind nach Neuem, die als Kulinarien-Abenteurer auf perma­nenter Entde­ckungs­reise sind (und nicht selten entdeckt man dann auf der Suche nach Neuem so manches Alte wieder). Diese Kreati­vität ist spannend und macht Hunger auf mehr. Man möchte aber sehr vielen jungen Herdkriegern zurufen: Lernt zuallererst Schmecken, lernt im Sinne des Wortes, das wahrzu­nehmen, was ihr da nachher serviert, lernt erst einmal diese Alchimie des Gaumens, bevor ihr packojet­ver­schnur­beltes schwarzes Knoblauch-Eis ans Makre­le­nespuma legt. Denn ansonsten wirkt es mehr gewollt als gekonnt. Deutsch­lands Köche sollten einfach mehr Mut haben und sich von Aromen und Gerüchen statt von tollen Bildern und neuen Trends leiten lassen – dann freue ich mich nämlich noch viel mehr auf das, was dieses Land kulina­risch zu bieten hat … 

Guten Appetit wünscht den Savoir- Vivre-Lesern

Euer Tobias Sudhoff

 

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