Die Revoluzzer dieser Gesell­schaft stehen am Herd!

21.12.2023
Tobias Sudhoff

Lesedauer: 4 Minuten

Jan./Feb. 2018

Liebe SAVOIR-VIVRE-GenieĂźer,

frohes Neues erstmal. Das neue Jahr fängt ja bei vielen von uns mit mehr oder minder guten Vorsätzen an. Weniger Alkohol, weniger Kalorien, mehr Sport und dergleichen. Das freut vor allem „Brigitte“, „Freundin“ oder ähnliche Hunger-Diät-Schmon­zetten, oder es fördert das muskel­be­packte Geschreibsel von „Men´s Health“ bis „Fit For Fun“. Und blöder­weise schadet es vor allem der heimi­schen Brau- und Wein-Wirtschaft!

Anders sieht es mit den großen gesell­schaft­lichen Fragen aus. Dort beginnen Verän­de­rungen nicht am 1.1. eines Jahres, sondern sind Folgen einer langsamen Entwicklung, besten­falls als Fortschritt in der Lösung einer wichtigen Frage der Zukunft. Einige dieser Fragen beschäf­tigen mittler­weile auch den geübten Schna­bu­lierer und Gaumen­profi, denn wenn es ums Essen geht sind die Dinge alles andere als ideolo­gie­be­freit. Und das hat absolut gute Gründe: Es ist ziemlich klar, dass unsere Art des Konsums sich verändern muss und wird. Im Jahr 2050 werden sich etwa 10 Milli­arden Menschen auf der Erde tummeln, die alle mindestens satt werden wollen oder – besser, weil gerechter – sie werden den gleichen Anspruch auf Genuss und Lebens­freude einklagen. Das wird aller­dings z. B. mit einem Fleisch­konsum von rund 60 kg pro Kopf pro Jahr – den wir in Deutschland spielend erreichen – nicht funktio­nieren. Abgesehen von der CO2-Bilanz: Die Eutro­phierung deutscher Flüsse hat uns die erste Klage der EU einge­bracht, weil die hiesigen Wasser­werke die gesetz­lichen Nitrat­werte kaum oder nicht mehr einhalten können, und es geht dabei nicht um ein paar Ausnah­me­re­gionen, sondern um flächen­de­ckende Verseu­chung dank großer Tiermasten. Und da habe ich gerade einmal angefangen, denn genauso könnte ich über multi­re­sis­tente Keime reden, die sich auf fast jedem Landwirt finden lassen, oder über das Insek­ten­sterben auf den Äckern bis hin zu dem süchtig-machenden Dreck, den uns die Nahrungs­mit­tel­in­dustrie als Essen verkauft, und, und, und … „Aber Herr Sudhoff“, hör ich es aus der wohlfeilen Komfortzone stöhnen, „das hier ist ein Genie­ßer­ma­gazin, was hat denn diese ökolo­gische Schwarz­ma­lerei bitte­schön in diesem Heft verloren?“

Quinoa, Superfood und ideolo­gische Verbrämtheit

Tja, wenn ich auf manche Teller der Ideologen schaue, die für eine bessere Welt streiten, muss ich leider zugeben: Mit Genuss hat das mal gar nix zu tun. Man fragt sich unwill­kürlich: Muss ich DAS wirklich essen für eine bessere Welt? Da suppt die Rote Bete totge­kocht in der Ecke eines Tellers neben trockenem Quinoa-Buchweizen-Quell-Salat. Und irgend­welche getrock­neten Gräser, also geschmacks­tumber grüner Staub, wird in irgend­welche schlei­migen Shakes gerührt, und das Ganze wird euphe­mis­tisch auch noch „Superfood“ genannt. Leute, da ist wirklich absolut nichts super dran – außer für den, der irgend­welchen Trotteln dies Zeugs verkauft, der verdient nämlich super Geld. Zu meinem Selbst­versuch: Nach ein paar Tagen veganer Trost­lo­sigkeit in entspre­chend ideolo­gie­ver­brämten Restau­rants hatte ich erschre­ckend schnell die Lust an einer besseren Welt verloren. Und die Mengen Alkohol, mit denen ich mir das schön saufen musste, waren garan­tiert keine bessere Welt für meine Leber. Man könnte also annehmen, die Welt der Genießer und derje­nigen, die den Planeten retten wollen, könnten nicht weiter vonein­ander entfernt sein.

Die Sterne­ge­neräle der Herdre­vo­lution

Doch in Wirklichkeit stimmt genau das Gegenteil, wenn auch vor den TĂĽren unserer Gourmet­tempel meist ziemlich umwelt­feind­liche Nobel­ka­rossen stehen, denen nicht selten Typen entsteigen, denen ihre CO2-Bilanz ziemlich schnurz ist, so findet ausge­rechnet in diesen Häusern eine Revolution statt. Während schafs­wollene Bio-Rhetorik noch nach Lösungen fĂĽr die Nahrungs­mit­tel­wende sucht, leben viele Sterne­köche und Gault-Millau-Helden diese längst vor. Ich wage darum hier in der ersten Ausgabe 2018 in der SAVOIR-VIVRE mal eine ganz steile These: Die Sterne­köche sind eines der wenigen Beispiele, in denen die Eliten nicht Wasser predigen und Wein trinken, sondern tatsächlich vorbildlich voran­schreiten im Wandel unseres Verständ­nisses von unseren Lebens­mitteln. Und sie beweisen dabei: Wasser muss gar nicht sein, es funktio­niert nämlich bestens mit Wein! 

Wer heutzutage bei den Top-Köchen mal genau hinschaut, der muss feststellen: Die Zeit der Fleisch­berge ist lange vorbei, selten bekommt man in sieben Gängen noch mehr als 80 g Fisch oder Fleisch (insgesamt!), und Filet war ebenfalls gestern – Stichwort Nose to Tail. Und, oh Wunder, die zufrie­denen Gäste vermissen gar nix! Und wenn schon Fleisch, dann stammt es auch sicher nicht aus der Großmast. Meist wird es regional bei vertrauten Produ­zenten direkt ab Hof geholt. Von glück­lichen Kühen und Schweinen. Überhaupt Regio­na­lität: Häuser wie das Nobelhart&Schmutzig oder Rüssels Landhaus haben sich radikal diesem Grundsatz verpflichtet. Gemüse ist der Star moderner Köche, in Elver­felds Aqua oder in Bühners La Vie ist der Umgang mit Grünzeugs in all seinen Millionen Geschmacks­fa­cetten samt Rotati­ons­ver­damp­fer­me­thode fein analy­sierter Standard. Konse­quente Hingabe zum Handwerk und zu vielen Tradi­tionen, wie sie ein Antoniewicz predigt, sind heute wichtige Zutaten für beides: guten Geschmack und Nachhal­tigkeit. Und wer den Garten des Noma mal gesehen hat, weiß wie man richtig bio produ­ziert – und zwar um des Aromas willen.

Revolution auf den Geschmacks­knospen

Als vor knapp 50 Jahren in Frank­reich die Nouvelle Cuisine begann, ahnte niemand, dass dies eine Revolution werden würde. Omas komplett einge­weckter Garten, der noch aus den Kriegs­jahren stammte, wurde einge­tauscht gegen frische Produkte, kurze Garzeiten, und statt der großen Auflauf-Pampe und dem Sonntags­braten gab es Konzen­tration auf das Produkt und seine Qualität. Hinzu kamen bald die segens­reichen Einflüsse der asiati­schen Küche. Angefangen hatte das alles – jetzt aufge­passt! – in den besten Häusern Frank­reichs! Eckart Witzigmann brachte es dann in unsere Republik und fortan kochte man auch hier immer frischer und, ganz nebenbei, gesünder. Was bei Eliten anfing, landete bald auf den Tellern des Normalos, der bis in die 60er noch nie etwas von einer Aubergine oder von Zitro­nengras gehört hatte, Ende der 80er aber seinen Wok und selbst­ge­machte Antipasti in seiner WG-Küche freudig begrüßte. Ich habe diesen radikalen Wandel als Kind in meiner Familie selbst miterlebt und ich bin dafür sehr dankbar. Was ich in jener Zeit schon nicht verstanden hatte: Warum kauten schon damals die Weltver­bes­serer (zu denen ich mich doch eigentlich auch zähle!) auf ihrem zähen Müsli rum statt diese Revolution mit zu feiern? Und warum springen heute die Ökologen nicht begeistert auf den Zug der aktuellen Küchen­re­vo­lution mit auf statt grünen Schleim zu saufen? Denn wenn es ein unschlag­bares Argument für diese Revolution in unseren Küchen geben kann, dann doch sicherlich dieses: Es schmeckt einfach fantas­tisch! Auf diese Weise macht es uns glücklich. Es erhöht unsere Lebens­qua­lität. Wenn es dann noch hilft, die Welt zu retten – tja, wer soll bitte was dagegen haben? Guten Appetit wünscht den Savoir- Vivre-Lesern

Euer Tobias Sudhof

Ähnliche Beiträge

Gourmet-Herbst Naturns 2 Videos Teil 1 – Teil 2
Gourmet-Herbst Naturns 2 Videos Teil 1 – Teil 2
In 60 Gläsern um die Welt Oder zumindest durch Südtirol. Genauer gesagt, ...
Nicolas Artl: Grenzenlos kochen – der Geschmack des Dreilän­derecks
Nicolas Artl: Grenzenlos kochen – der Geschmack des Dreilän­derecks
Nicolas Artl ist neuer Küchenchef im Hotel Karnerhof (Faaker See, Kärnten)
Histo­rische Desserts: Melba, Suzette & Co
Histo­rische Desserts: Melba, Suzette & Co
Die sĂĽĂźesten Gedanken kommen einem bei Desserts mit Vergangenheit.
Spargel­issimo: aphro­di­sisch und eine Schmei­chelei des Gaumens
Spargel­issimo: aphro­di­sisch und eine Schmei­chelei des Gaumens
Veronika, der Lenz ist da,
die Vöglein singen tralala, die ganze Welt ist ...