Liebe SAVOIR-VIVRE-GenieĂźer,
frohes Neues erstmal. Das neue Jahr fängt ja bei vielen von uns mit mehr oder minder guten Vorsätzen an. Weniger Alkohol, weniger Kalorien, mehr Sport und dergleichen. Das freut vor allem „Brigitte“, „Freundin“ oder ähnliche Hunger-Diät-SchmonÂzetten, oder es fördert das muskelÂbeÂpackte Geschreibsel von „Men´s Health“ bis „Fit For Fun“. Und blöderÂweise schadet es vor allem der heimiÂschen Brau- und Wein-Wirtschaft!
Anders sieht es mit den groĂźen gesellÂschaftÂlichen Fragen aus. Dort beginnen VeränÂdeÂrungen nicht am 1.1. eines Jahres, sondern sind Folgen einer langsamen Entwicklung, bestenÂfalls als Fortschritt in der Lösung einer wichtigen Frage der Zukunft. Einige dieser Fragen beschäfÂtigen mittlerÂweile auch den geĂĽbten SchnaÂbuÂlierer und GaumenÂprofi, denn wenn es ums Essen geht sind die Dinge alles andere als ideoloÂgieÂbeÂfreit. Und das hat absolut gute GrĂĽnde: Es ist ziemlich klar, dass unsere Art des Konsums sich verändern muss und wird. Im Jahr 2050 werden sich etwa 10 MilliÂarden Menschen auf der Erde tummeln, die alle mindestens satt werden wollen oder – besser, weil gerechter – sie werden den gleichen Anspruch auf Genuss und LebensÂfreude einklagen. Das wird allerÂdings z. B. mit einem FleischÂkonsum von rund 60 kg pro Kopf pro Jahr – den wir in Deutschland spielend erreichen – nicht funktioÂnieren. Abgesehen von der CO2-Bilanz: Die EutroÂphierung deutscher FlĂĽsse hat uns die erste Klage der EU eingeÂbracht, weil die hiesigen WasserÂwerke die gesetzÂlichen NitratÂwerte kaum oder nicht mehr einhalten können, und es geht dabei nicht um ein paar AusnahÂmeÂreÂgionen, sondern um flächenÂdeÂckende VerseuÂchung dank groĂźer Tiermasten. Und da habe ich gerade einmal angefangen, denn genauso könnte ich ĂĽber multiÂreÂsisÂtente Keime reden, die sich auf fast jedem Landwirt finden lassen, oder ĂĽber das InsekÂtenÂsterben auf den Ă„ckern bis hin zu dem sĂĽchtig-machenden Dreck, den uns die NahrungsÂmitÂtelÂinÂdustrie als Essen verkauft, und, und, und … „Aber Herr Sudhoff“, hör ich es aus der wohlfeilen Komfortzone stöhnen, „das hier ist ein GenieÂĂźerÂmaÂgazin, was hat denn diese ökoloÂgische SchwarzÂmaÂlerei bitteÂschön in diesem Heft verloren?“
Quinoa, Superfood und ideoloÂgische Verbrämtheit
Tja, wenn ich auf manche Teller der Ideologen schaue, die fĂĽr eine bessere Welt streiten, muss ich leider zugeben: Mit Genuss hat das mal gar nix zu tun. Man fragt sich unwillÂkĂĽrlich: Muss ich DAS wirklich essen fĂĽr eine bessere Welt? Da suppt die Rote Bete totgeÂkocht in der Ecke eines Tellers neben trockenem Quinoa-Buchweizen-Quell-Salat. Und irgendÂwelche getrockÂneten Gräser, also geschmacksÂtumber grĂĽner Staub, wird in irgendÂwelche schleiÂmigen Shakes gerĂĽhrt, und das Ganze wird eupheÂmisÂtisch auch noch „Superfood“ genannt. Leute, da ist wirklich absolut nichts super dran – auĂźer fĂĽr den, der irgendÂwelchen Trotteln dies Zeugs verkauft, der verdient nämlich super Geld. Zu meinem SelbstÂversuch: Nach ein paar Tagen veganer TrostÂloÂsigkeit in entspreÂchend ideoloÂgieÂverÂbrämten RestauÂrants hatte ich erschreÂckend schnell die Lust an einer besseren Welt verloren. Und die Mengen Alkohol, mit denen ich mir das schön saufen musste, waren garanÂtiert keine bessere Welt fĂĽr meine Leber. Man könnte also annehmen, die Welt der GenieĂźer und derjeÂnigen, die den Planeten retten wollen, könnten nicht weiter voneinÂander entfernt sein.
Die SterneÂgeÂneräle der HerdreÂvoÂlution
Doch in Wirklichkeit stimmt genau das Gegenteil, wenn auch vor den TĂĽren unserer GourmetÂtempel meist ziemlich umweltÂfeindÂliche NobelÂkaÂrossen stehen, denen nicht selten Typen entsteigen, denen ihre CO2-Bilanz ziemlich schnurz ist, so findet ausgeÂrechnet in diesen Häusern eine Revolution statt. Während schafsÂwollene Bio-Rhetorik noch nach Lösungen fĂĽr die NahrungsÂmitÂtelÂwende sucht, leben viele SterneÂköche und Gault-Millau-Helden diese längst vor. Ich wage darum hier in der ersten Ausgabe 2018 in der SAVOIR-VIVRE mal eine ganz steile These: Die SterneÂköche sind eines der wenigen Beispiele, in denen die Eliten nicht Wasser predigen und Wein trinken, sondern tatsächlich vorbildlich voranÂschreiten im Wandel unseres VerständÂnisses von unseren LebensÂmitteln. Und sie beweisen dabei: Wasser muss gar nicht sein, es funktioÂniert nämlich bestens mit Wein!
Wer heutzutage bei den Top-Köchen mal genau hinschaut, der muss feststellen: Die Zeit der FleischÂberge ist lange vorbei, selten bekommt man in sieben Gängen noch mehr als 80 g Fisch oder Fleisch (insgesamt!), und Filet war ebenfalls gestern – Stichwort Nose to Tail. Und, oh Wunder, die zufrieÂdenen Gäste vermissen gar nix! Und wenn schon Fleisch, dann stammt es auch sicher nicht aus der GroĂźmast. Meist wird es regional bei vertrauten ProduÂzenten direkt ab Hof geholt. Von glĂĽckÂlichen KĂĽhen und Schweinen. Ăśberhaupt RegioÂnaÂlität: Häuser wie das Nobelhart&Schmutzig oder RĂĽssels Landhaus haben sich radikal diesem Grundsatz verpflichtet. GemĂĽse ist der Star moderner Köche, in ElverÂfelds Aqua oder in BĂĽhners La Vie ist der Umgang mit GrĂĽnzeugs in all seinen Millionen GeschmacksÂfaÂcetten samt RotatiÂonsÂverÂdampÂferÂmeÂthode fein analyÂsierter Standard. KonseÂquente Hingabe zum Handwerk und zu vielen TradiÂtionen, wie sie ein Antoniewicz predigt, sind heute wichtige Zutaten fĂĽr beides: guten Geschmack und NachhalÂtigkeit. Und wer den Garten des Noma mal gesehen hat, weiĂź wie man richtig bio produÂziert – und zwar um des Aromas willen.
Revolution auf den GeschmacksÂknospen
Als vor knapp 50 Jahren in FrankÂreich die Nouvelle Cuisine begann, ahnte niemand, dass dies eine Revolution werden wĂĽrde. Omas komplett eingeÂweckter Garten, der noch aus den KriegsÂjahren stammte, wurde eingeÂtauscht gegen frische Produkte, kurze Garzeiten, und statt der groĂźen Auflauf-Pampe und dem SonntagsÂbraten gab es KonzenÂtration auf das Produkt und seine Qualität. Hinzu kamen bald die segensÂreichen EinflĂĽsse der asiatiÂschen KĂĽche. Angefangen hatte das alles – jetzt aufgeÂpasst! – in den besten Häusern FrankÂreichs! Eckart Witzigmann brachte es dann in unsere Republik und fortan kochte man auch hier immer frischer und, ganz nebenbei, gesĂĽnder. Was bei Eliten anfing, landete bald auf den Tellern des Normalos, der bis in die 60er noch nie etwas von einer Aubergine oder von ZitroÂnengras gehört hatte, Ende der 80er aber seinen Wok und selbstÂgeÂmachte Antipasti in seiner WG-KĂĽche freudig begrĂĽĂźte. Ich habe diesen radikalen Wandel als Kind in meiner Familie selbst miterlebt und ich bin dafĂĽr sehr dankbar. Was ich in jener Zeit schon nicht verstanden hatte: Warum kauten schon damals die WeltverÂbesÂserer (zu denen ich mich doch eigentlich auch zähle!) auf ihrem zähen MĂĽsli rum statt diese Revolution mit zu feiern? Und warum springen heute die Ă–kologen nicht begeistert auf den Zug der aktuellen KĂĽchenÂreÂvoÂlution mit auf statt grĂĽnen Schleim zu saufen? Denn wenn es ein unschlagÂbares Argument fĂĽr diese Revolution in unseren KĂĽchen geben kann, dann doch sicherlich dieses: Es schmeckt einfach fantasÂtisch! Auf diese Weise macht es uns glĂĽcklich. Es erhöht unsere LebensÂquaÂlität. Wenn es dann noch hilft, die Welt zu retten – tja, wer soll bitte was dagegen haben? Guten Appetit wĂĽnscht den Savoir- Vivre-Lesern
Euer Tobias Sudhof