Feder­weißer: des Zechers heitere Wonne.

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Die Luft in den Weindörfern zwischen dem Bodensee und der Ahr, entlang Mosel, Rhein, Main und Neckar sowie in den sächsi­schen Reben­gärten ist jetzt getränkt vom hefigen Duft des jungen Weins. Der Riesling hängt noch an den Stöcken, als spätrei­fende Edelsorte giert er nach Herbst­sonne. Aber früh reifende Trauben wie Ortega, Gutedel, Bacchus, die Huxelrebe & Co werden bereits geerntet. Das ist die Stunde des deutschen Feder­weißen, des halbsüßen Babyweins. Die durch den Gärprozess frei werdenden Aromen dringen nun wie Parfum durch alle Keller­luken ins Freie, so dass man schon vom Einatmen beschwipst wird. Und der Weinfreund leckt sich die Lippen wie Kater, die Käse riechen, denn der munter säuselnde, milchig­weiße Feder­weiße ist die erste flüssige Gabe des Herbstes. Er schmeckt süßlich, hefig, betont nach Kohlen­säure – und am besten direkt vom Fass gezapft in den Weinan­bau­ge­bieten. 

Im Gegensatz zu den sogenannten Primeur-Kreszenzen aus Frank­reich oder Italien ist der Feder­weiße gärender Most. Der Beaujolais Primeur oder der legendäre öster­rei­chische Heurige sind hingegen fertig ausge­baute Weine, wenngleich der Reife­prozess bei diesen Weinen mit Hilfe der Technik forciert wird und innerhalb weniger Wochen wie im Zeitraffer abläuft. Die Primeurs werden in der Novem­ber­mitte in Flaschen gefüllt, sie sind durch­ge­goren und in der Regel trocken im Geschmack, während der Feder­weiße noch mittendrin im Sturm & Drang der Gärung steckt und am besten schmeckt, wenn er dezent traubig-süßlich ist. Praktisch gesehen ist der milchig­weiße Feder­weiße ein Most auf dem Weg zum Wein. Bei diesem Prozess wird der Frucht­zucker der Traube in Alkohol und Kohlen­säure umgewandelt. Die Gärung läuft im Normalfall wenige Tage bis etwa eine Woche lang und je nachdem, wann man den Feder­weißen aus dem Tank oder vom Fass zapft, schmeckt er süß bis trocken in allen Schat­tie­rungen.

Im ersten Stadium, wenn die aktiven Hefepilze gerade mit der Aufspaltung des Zuckers begonnen haben, ist der Most von Natur aus noch recht süß, gleich­zeitig alkoholarm und nur sachte moussierend. “Er bitzelt“, sagen die Keller­meister, und so nennt man den Feder­weißen in dieser frühen Phase auch Bitzler. Eigentlich ist er dann mehr Traubensaft als Wein. Idealer­weise trinkt man den neuen Wein auf dem halben Weg vom Traubensaft zum Wein, wenn sich Süße, Alkohol und Frucht­säure in guter Balance befinden. Zu diesem Zeitpunkt weist er einen Alkohol­gehalt von etwa fünf Prozent auf. Im weiteren Verlauf der Gärung weicht die anfänglich verfüh­re­rische Süße nach und nach dem Alkohol und verleiht dem Feder­weißen eine zunehmend herbe Note. Schreitet die Gärung fort, wird der Most alkoho­li­scher und zugleich immer herber, bis er schließlich am Ende, wenn jeglicher Zucker bis auf einen Schamrest von vielleicht ein, zwei Gramm verar­beitet worden ist, in die Kategorie trocken einge­stuft wird.

So weit sollte man es beim Feder­weißen freilich nicht kommen lassen. Ist die Gärung komplett durch, schmeckt der Most ziemlich bitter. Er ist dann kein Feder­weißer mehr, aber auch noch kein Wein, was heißt: Es fehlt diesem unfer­tigen Getränk sowohl der Charme der Jugend als auch die Reife des Alters. Am besten schmeckt der Feder­weiße in der zweiten Gärhälfte, wenn der Most noch eine leckere, hefig unter­legte Fruchtsüße hat, alkoho­lisch bereits etwas durch­woben ist und fröhlich perlt. Hält man das Glas ans Ohr, muss ein Säuseln zu hören sein: es klingt wie fernes Meeres­rau­schen. Je nach Region wird der Feder­weiße deshalb auch “Süßkrätzer“, “Rauscher“, “Sauser“, “Suser“, “Brauser“ oder – wie in Öster­reich – “Sturm“ genannt. 

Letzteres ist Name und zugleich Programm, denn die wilde Gärung kann sich im Körper fortsetzen. Das lässt sich positiv als verdau­ungs­för­dernd bewerten. Mediziner loben jeden­falls den gesund­heit­lichen Wert des Feder­weißen. Auf dem Höhepunkt der Gärung enthält der Babywein bioche­misch aktive Hefezellen und Milch­säu­re­bak­terien, ferner Mineralien und speziell Vitamine der wichtigen B‑Gruppe. Schließlich soll der Feder­weiße blutrei­nigend und entschla­ckend wirken. Die volle thera­peu­tische Wirkung ergibt sich aller­dings nur, sofern der Jungwein lebt und nicht, wie es tausendfach geschieht, mit techni­schen Methoden steril gemacht worden ist. Einem Großteil des fernab von Weinre­gionen vermark­teten Feder­weißen, zumal den Säften aus mediter­ranen Zonen, die bereits angeboten werden, wenn die deutschen Trauben noch am Rebstock hängen, ist die Hefe entzogen worden oder man hat sie abgetötet. 

Das belässt dem Babywein zwar die begehrte Süße, nimmt ihm jedoch die Hefe, sein Lebens­elixier. Solcherart kastrierte Feder­weiße, um es ungnädig auszu­drücken, wird der Liebhaber meiden. Er kauft entweder im renom­mierten Fachge­schäft, wo er sicher sein kann, vollwer­tigen Feder­weißen zu erhalten, oder er fährt in die Anbau­ge­biete, wo ihm beim Winzer oder in den Dorfschänken der “Neue“ direkt aus dem Fass gezogen wird. Die Lust am Feder­weißen ist übrigens alt, es gibt Zeugnisse, wonach sich Genießer aller Stände schon in früheren Jahrhun­derten an diesem jüngfer­lichen Wein erfreut haben.

Nach dem Einkauf empfiehlt es sich, den Feder­weißen zu probieren. Ist er noch zu süß, kann man ihn bei Zimmer­tem­pe­ratur in Gärung kommen lassen und regel­mäßig – möglichst einmal pro Tag – verkosten. Wenn er einem schließlich richtig gut schmeckt, heißt es: sofort genießen und, sollte die Flasche nicht leer getrunken werden, ab in den Kühlschrank damit, denn die Kälte stoppt den Gärungs­prozess und verlängert so den Genuss. Verbunden mit einem Stück Speck, gerös­teten Eßkas­tanien, frischen Walnüssen, gebut­tertem Laugen­gebäck, Lauch­torte, Zwiebel­kuchen und ähnlich köstlichen Rusti­ka­li­täten erinnert uns der Feder­weiße daran, dass wieder einmal ein Sommer zu Ende geht. Aber sein Aroma tröstet uns zugleich über das Zerrinnen hinweg, indem wir einen Vorge­schmack auf den nächsten Wein bekommen. Der Feder­weiße ist nämlich auch so etwas wie der Finger­ab­druck des neuen Jahrgangs – und der ist durchaus verhei­ßungsvoll.

Zum Feder­weißer paßt natürlich perfekt Zwiebel­kuchen.

kfl

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