Küchen­klas­siker: Gulasch – ein Gericht der Entschleu­nigung

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 5 Minuten

Gerechten der Kochkunst kommen die Tränen, wenn sie erleben, was deutsche Köche als Gulasch anbieten. Anstelle eines herzhaft dick einge­kö­chelten, tiefdun­kel­roten Fleisch-Zwiebel-Saftes, der undurch­sichtig und so standfest ist, daß ein Zweieu­ro­stück, darauf gelegt, nicht einsinkt, wird meist ein hellröt­liches Sößchen serviert, durch­scheinend bis auf den Teller­boden. Das Fleisch, in aller Regel Schwein, selten Rind und noch seltener Kalb, entstammt der Reste­ver­wertung, und das Ganze wird im Schnell­ver­fahren gegart. Schlimmer kann man einen Klassiker der Kochkultur nicht malträ­tieren, denn abgesehen davon, dass es beim Gulasch auf die Wahl des richtigen Fleisches ankommt, die Zwiebeln nicht in tollheißem Fett angedünstet werden sollen und das edelsüße Papri­ka­pulver keines­falls mitge­röstet werden darf, heißt die Losung: Tempo rausnehmen.

Forcierte Hitze ist verpönt, das Gulasch ist ein Gericht der Entschleu­nigung!

Die Misere beginnt schon beim Fleisch, einem der beiden Haupt­zu­taten. Wer beim Metzger undif­fe­ren­ziert „ein Kilo Gulasch­fleisch“ bestellt, ist, wenn es sich nicht um einen Fleischer seines Vertrauens handelt, bereits angeschmiert, denn er wird Abfall bekommen. Damit kann kein Meisterwerk gelingen. Weiter geht es mit der zweiten Haupt­zutat, der Zwiebel. Die endlosen Diskus­sionen, ob es gleich viel Zwiebeln wie Fleisch sein muß, ob die würfelig gehackt oder in Streifen geschnitten werden und welchen Farbton zwischen Goldgelb bis Dunkel­braun sie am Ende des Röstpro­zesses haben sollen, muß man nicht gar so ernst nehmen. Wichtiger sind Entschei­dungen, ob Schmalz oder Butterfett die wahre Schmiere ist, Tomaten und Papri­ka­schoten mitge­schmort werden dürfen oder Rosen­pa­prika nebst Kümmel und Majoran, eventuell ergänzt um Wachol­der­beeren, Lorbeer sowie ein wenig Zitro­nen­zesten, als einzig wahre Würze gelten.

Goulash á la Montal­bánPepe Carvalho, erschaffen von Manuel Vázquez Montalbán, rühmt im Krimi „Ich tötete Kennedy“ die aphro­di­sie­rende Wirkung: „…Wir aßen in Gilber’s House ein exzel­lentes Gulasch. Später ließ sich Nancy drei Straßen­blöcke von ihrem Haus entfernt die Bluse aufknöpfen…“

Derart eroti­sie­renden Effekt erzeugten 300 g Kalbfleisch, in kleine Stücke geschnitten, bestäubt mit etwas Mehl, gewürzt mit jeweils eineinhalb El süßem und scharfem Papri­ka­pulver, Salz, Pfeffer, Kümmel, in Öl „gebraten, bis das Fleisch braun ist“. Im selben Öl zwei fein gehackte Zwiebeln anrösten, das Fleisch, drei El Tomaten­püree, einen halben Liter Weißwein und Hühner­brühe sowie Kräuter hinzu­fügen, alles eine Dreivier­tel­stunde einkö­cheln lassen.

Das sind einfache Fragen, doch die Antworten entscheiden über die Qualität. Einig sind sich die Experten, das als Fleisch nur der auch Rinder­hesse genannte Wadschinken in Betracht kommt. Dieser Teil des hinteren Unter­schenkels von Rind und Kalb ist von Sehnen durch­zogen, in denen viel Aroma steckt und die sich während des langen Schmor­pro­zesses auflösen, dabei das Gulasch schön sämig werden lassen. Dank deren gelie­render Kraft wird die Sauce gestärkt; die dabei frei werdende Gelatine hat zudem eine bindende Wirkung, weshalb schon aus diesem Grund auf Mehl gänzlich verzichtet werden kann. Idealer­weise werden mit dem Fleisch auch einige ganze Beinscheiben, also mit Knochen und, ganz wichtig: dem Mark, mitge­schmort – und nach dem stunden­langen Garprozeß heraus­ge­fischt. Die Knochen und vor allem das Mark verleihen der Sauce eine besonders dichte Konsistenz.

Die Zwiebeln, denen einige Knoblauch­zehen beigesellt werden, sollen nicht zu klein gewürfelt werden. Finger­na­gelgroß hackt sie Heinz Reitbauer, der Patron im noblen, mit zwei Michelin-Sternen geschmückten Wiener Restaurant „Steirereck“.

Zu feine Zwiebeln lassen zu viel Wasser austreten, außerdem würfelt der Chef sie erst kurz vor dem Anrösten – gehackte Zwiebeln, die, wie in vielen Küchen der unselige Brauch, zu lange stehen, werden bitter. Entscheidend ist auch die Größe des Topfes, Zwiebeln benötigen beim Rösten viel Oberfläche. Reitbauer: „Türmen sie sich höher als drei Zenti­meter, werden sie wässerig.“ Der Meister salzt ein wenig, denn das fördert die Farbe. Nach dem sehr heißen Andünsten wird bei mittlerer Hitze weiter gemacht. Während die Zwiebeln sich langsam vom Weiß ins Goldbraune verfärben, hat Reitbauer noch einen Trick auf Lager, das sogenannte „Aromat“: Er schmiert etwas Schwei­ne­schmalz auf ein Brett und zerreibt darauf Knoblauch und den Kümmel zu einer feinen Paste, die den geduldig vor sich hin schmo­renden Zwiebeln zum Abschluß zugesetzt wird, begleitet vom Papri­ka­pulver, das Reitbauer zuvor mit etwas Weinessig und einigen Löffeln Tomatenmark zu einem feuer­roten Brei verrührt hat. Gleich nach dieser würzenden Zugabe gießt Reitbauer das Zwiebel­ragout mit Rinds­brühe auf und fügt das in Würfel von vier mal vier Zenti­meter geschnittene Fleisch hinzu. Vom Anbraten, wie des öfteren empfohlen, weil dies angeblich Röstaromen ergibt, hält der Mann nichts, auch nicht vom Garen in Wasser: „Da verliert das Fleisch nur Substanz und Geschmack.“

Wichtig ist ihm das langsame Köcheln bei moderater Hitze, Gulasch „dauert lange, das kann man nicht à la minute kochen“. Norma­ler­weise sind Köche wie Heinz Reitbauer, die in einer gastro­no­mi­schen Champions League werkeln, nicht die rechten Ansprech­partner in Gulasch­fragen.

Künstler neigen dazu, jedem Gericht ihren persön­lichen Stempel aufzu­drücken, was beim Gulasch hieße, es zu verfäl­schen. Reitbauer hingegen hat als geborener Öster­reicher genügend Respekt vor diesem ehrsamen Klassiker der gutbür­ger­lichen Küche, um ihn nur gering­fügig zu verfeinern. Mehr ist seiner Ansicht schlicht „nicht notwendig“. Im Kanon erfah­rener Gulasch­brater finden sich noch folgende Regeln: Edelsüßer Paprika ist Pflicht, ebenso Kümmel und Majoran. Lorbeer, Wacholder und Zitro­nen­schale sind Kür, desgleichen ein Schuß feiner Weinessig. Tomatenmark darf sein, es sorgt für Farbe und Süße. Schwei­ne­schmalz wird anderen Fetten vorge­zogen (Olivenöl, wie mitunter vorge­schlagen, würde geschmacklich irritieren), Rindsuppe ist Wasser vorzu­ziehen.

So etwas wie ein ultima­tives Gulasch wird es nicht geben. Dagegen spricht einer­seits der von Lust und Ehrgeiz getragene Trieb der Köche, auch in alther­ge­brachte Speisen einzu­greifen und sich mit neuen Rezep­turen einen Namen zu machen. Vor allem jedoch ist das Ur-Gulasch derart simpel konzi­piert, daß sich eine Verfei­nerung anbot, ja nötig war, um aus einem sehr rusti­kalen Hirtenmahl ein inter­na­tional beliebtes Gericht zu machen.

Das erste Gulyás – das „s“ wird wie „sch“ gesprochen – hatten wohl nomadi­sie­rende Magyaren während der Völker­wan­derung in eisernem Kessel über offenem Feuer zusammen gerührt: Gulya heißt Rinder­herde, Gulyás ist der Hirt, Gulyás-hus die fertige Suppe, die gegen Ende des 18. Jahrhun­derts zum ungari­schen Natio­nal­ge­richt gekürt worden ist. Ursprünglich sind an der Sonne und bei Wind getrocknete Rindfleisch­streifen in Würfel geschnitten, mit Salz, Pfeffer sowie örtlichen Kräutern nebst Wurzelwerk gewürzt und in Wasser gekocht worden – Paprika gab es damals noch nicht, der kam nach Kolumbus erst viel später ins Spiel, um 1820 nach entspre­chenden Aufzeich­nungen, doch ist anzunehmen, daß Paprika bereits im 17. Jahrhundert als Gewürz bekannt war, nur unter dem Namen „Spani­scher Pfeffer“.

Jeden­falls ist das Gulyás ein ungari­sches Kind, und es folgte eine ruhmreiche Reise durch die Zeiten und Länder. In Öster­reich, das sich als Gulasch-Nation begreift, wurde erstmals 1827 ein „Ungari­sches Kolasch­fleisch“ im „Großen Wiener Kochbuch“ von Anna Dorn erwähnt und in späteren Ausgaben als „Ungari­sches Gulyás­fleisch“ betitelt. Wenig später tauchte das Gulasch auch in deutschen Kochbü­chern auf, beispiels­weise bei der fleißigen Henriette Davidis. Unter Namen wie Gulasch, Gollasch, Goulasch oder Goulash (in Nordamerika, wo es sogar mit Ketchup gequält wird) eroberte sich die einstige Bauern­speise rasch die privaten Haushalte, die Restau­rants und speziell die Gasthäuser, wo diverse Arten von Gulasch angeboten werden, betitelt nach der jewei­ligen Haupt­zutat: Hirsch, Wurst, Kartoffel, Fisch, Kalb, Lamm, Gänse­leber, Bohnen, Pfifferlinge.Bei Karoly „Karl“ Gundel, dem ungari­schen Meisterkoch (1883–1956), der bei Cesar Ritz in Paris und später im Berliner Adlon gearbeitet hat und u.a. die Gundel-Palatschinke kreierte (gefüllt mit Rum, Rosinen, Walnüssen und Zitro­nen­zeste, serviert mit Schoko­la­den­sauce), gab es in dessen gleich­na­migem Restaurant in Budapest neben einem Gulasch aus Flußkrebsen auch ein „Magna­ten­gu­lasch“, zubereitet aus Rinds­filet. Sein klassi­sches Gulasch, in Ungarn Pörkölt genannt, hat er so angelegt: 400 Gramm Zwiebeln in 120 Gramm Schwei­ne­schmalz anrösten, drei gehackte Knoblauch­zehen und drei Löffel edelsüßes Papri­ka­pulver hinzu­fügen, mit je einem Viertel­liter Rinder­brühe, Papri­kamark und Tomatensaft aufgießen, danach eineinhalb Kilo Rindfleisch aus der Wade, Schulter oder Hals hinzu­fügen, mit vier Wachol­der­beeren sowie einem Eßlöffel getrock­netem Majoran, gemah­lenem Kümmel und Pfeffer würzen. Alles bei kleiner Hitze zugedeckt sanft schmoren lassen.

Das kann drei Stunden und länger dauern, je nach Art des Fleisches. Ist der Saft einge­kocht, notfalls ein bißchen Wasser dazu geben, mit scharfem Paprika schließlich nachwürzen. Freilich hat das, was heutzutage im deutsch­spra­chigen Mittel­europa als Gulasch fungiert, mit dem ungari­schen Gericht nur den Namen gemein. Darunter versteht der Magyare nämlich histo­rien­getreu eine gewürzige und nahrhafte Fleisch­suppe, je nach privatem Rezept angerei­chert mit Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln, Gemüse­pa­prika und vielleicht noch Eiert­eig­nudeln, wohin­gegen das deutsche Gulasch auf ungari­schen Speise­karten als Pörkölt aufscheint oder als „Paprikás“, wenn es mit Sahne zubereitet wird. Letzteres heißt in Wien Kaiser- oder Rahmgu­lasch und wird mit Fleisch von der Kalbs­stelze zubereitet.

Eine weitere spezielle Wiener Variante ist das Fiaker­gu­lasch: ein Saftgulasch, serviert mit einem Spiegelei plus einem Frank­furter Würstel, längs aufge­schnitten und gebraten, sowie einem fächer­förmig geschnitzten Essig­gür­kchen. Aus der Reihe tanzt auch das Szege­diner Gulasch, entstanden aus dem „Szeke­ly­gu­lasch“ und tradi­tionell zubereitet aus Schwei­nernem (halb Bauch, halb Stelze), gemischt mit Sauer­kraut und serviert mit einem ordent­lichen Klacks saurer Sahne.

Ein ewig gültiges Wort zum Wiener Gulasch hat Helmut Qualtinger, der Wiener Kabarettist, geprägt, als er, sich in einem Gasthaus an diesem typischen Gabel­früh­stück labend, den Spruch kreierte:

„Klein’s Gulasch, klein’s Bier, und es geht scho wieder!“

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