Histo­rische Desserts: Melba, Suzette & Co

09.06.2024
Karl-F. Lietz

Lesedauer: 4 Minuten

Es gibt Speisen, die wecken angenehme Erinne­rungen an vergangene Zeiten. Ein besonders leckerer Schlüssel zur Kindheit ist beispiels­weise der mit Puder­zucker hübsch weiß gespren­kelte Bratapfel. Schon der erste aus dem Bratrohr dringende Duft läßt einen an Ofenwärme und behag­liches Seelen­baumeln denken. Geschicht­liche Reminis­zenzen lösen Gerichte aus, die berühmten Frauen und Männern gewidmet sind: Tournedos Rossini animieren zu Arien aus dem Barbier von Sevilla, beim Bismarck­hering denkt man an Reichs­kanz­ler­macht, das Filet Wellington erinnert an Napoleon und Schlach­tenlärm. Aber die süßesten Gedanken kommen einem bei Desserts mit Vergan­genheit.

Pfirsich Melba

Legendär ist der Pfirsich Melba, nur: Wer heißt heute noch so, wer oder was war Melba? Nellie Melba (1861–1931), so nannte sich – nach ihrer Geburts­stadt Melbourne – die Sängerin namens Helen Porter Mitchell, auch bekannt als die austra­lische Nachtigall. Als die Künst­lerin 1892 in London gastierte, fand die Premie­ren­feier zu „Lohengrin“ im noblen „Savoy“ statt, wo Auguste Escoffier, einer der größten Köche aller Zeiten, wirkte. Escoffier, musik­be­geistert und galant, verehrte „der Melba“ eine Süßspeise, die unsterblich wurde: „Pêches Melba“ aus geschälten und halbierten weißen Pfirsichen, die, in Läuter­zucker gedünstet, in einer Sektschale auf zwei Kugeln Vanil­leeis angerichtet, mit Himbeer­püree übergossen, mit Mandel­splittern bestreut und mit etwas Schlag­sahne verziert werden.

Erdbeeren Patti

Im „Bildnis des Dorian Gray“ schwärmt Oscar Wilde von Adelina Patti (1843–1919), die „göttlich gesungen“ habe. In einer Kritik vom 28. März 1866 hieß es, mit „Frl. Patti sollte immer nur der erste Akt von ‚La Traviata’ gespielt werden, der bis jetzt zu den wunder­barsten Blüten ihrer Krone zählt. Der erste Akt ist wie ein Rausch: Sie singt mit einer vollkom­menen Brillanz, jugend­lichem Überschwang und luxuriöser Fioritur…“ Diesem Star der italie­ni­schen Oper, der weltweit höchste Gagen kassierte, im Privatzug mit 50 Koffern nebst Haustieren und eigenem Koch reiste, sind die „Erdbeeren Patti“ gewidmet: die Früchte werden in einer Liaison aus Zucker und Kirsch­wasser mariniert, danach auf einem sahnigen Schoko­la­deneis angerichtet und schließlich mit vanil­lierter Schlag­sahne beträufelt.

Crêpes Suzettes

Roman­tische Geschichten ranken sich um die „Crêpes Suzettes“, die legen­dären, mit Orangen­likör aroma­ti­sierten Pfann­kuchen, gefaltet, flambiert und heiß aufge­tischt. In beiden Versionen spielt der Prince of Wales eine Rolle, in der Familie “Bertie“ genannt, jener Dandy und spätere Edward VII. (1841–1910), der die lange Wartezeit auf den von seiner Mutter Victoria besetzten engli­schen Thron bis zu seiner Krönung 1901 als Lebemann durch­stand, trinkend, spielend, tanzend und schönen Frauen huldigend. Im Pariser „Maxim›s“ war der prinz­liche Playboy, der übrigens die Nachläs­sigkeit, den untersten Westen­knopf offen zu lassen, zur Mode hochsti­li­sierte, ebenso Stammgast wie im „Café de Paris“ in Monte Carlo.

Beide Lokale rühmen sich denn auch der Paten­schaft für die „Crêpes Suzettes“. Laut der im „Maxim’s“ kolpor­tierten Schmon­zette hatte der Prinz ein amouröses Abenteuer mit einer hübschen, doch offenbar naiven Tänzerin – Stichwort: wenig Geist, viel Tanz – bei einem Souper eröffnet. Als die Frage des Nachtischs erörtert wurde und der Ober einen Kanon exqui­siter Desserts herun­ter­betete, verneinte das liebe Kind und begehrte schlicht nur „Pfann­kuchen mit Marmelade“. Der Maitre war entsetzt – Pfann­kuchen im „Maxim’s“! – ‚doch der Prinz war schließlich nicht irgendwer und so erfand der Patissier die nach der Tänzerin benannten „Crêpes Suzettes“.

Besser dokumen­tiert ist aller­dings die Geschichte im „Café de Paris“. Im Sommer 1895 aß der Prince of Wales dort mit Freunden, von denen einer seine kleine Tochter namens Suzette dabei hatte. Für das Mädchen als einzige weibliche Person der Runde wünschte sich der Prinz ein beson­deres Dessert, worauf der junge Henri Charpentier in der Küche zu basteln begann. Das war die Geburts­stunde einer der populärsten Süßspeisen. Kurios an der Sache ist, dass die aroma­tische Finesse der Sauce durch ein Malheur zustande kam, weil der Grand Marnier, mit dem der Koch das Gericht parfü­mieren wollte, zufällig Feuer fing, wodurch das Alkoho­lische verbrannte, das Aroma jedoch blieb.

Für Eckart Witzigmann, den genialen Koch, sind „Crêpes Suzette“ eine unwider­steh­liche Delika­tesse, angerichtet mit Walderd­beeren und einer Kugel Vanil­leeis. In den Glanz­zeiten der „Aubergine“, jenem Restaurant am Münchner Maximi­li­ans­platz, wo Witzigmann von 1978 bis 1994 mit großer Dreis­ter­ne­küche auftrumpfte, hat der Meister die „Crêpes Suzette“ nach folgendem Rezept gemacht, berechnet für vier Personen:

REZEPT Crêpes Suzette WITZIGMANN

Aus Milch (185 ml), Mehl (75 g), zwei Eiern, der abgerie­benen Schale einer Orange, einer Prise Salz, leicht gebräunter, geklärter Butter (75 g), neutralem Pflan­zenöl (25 ml) und Vanil­le­zucker dünne Crêpes machen und warm stellen.

Für die Sauce 100 Gramm Würfel­zucker an einer halben Zitrone und vier Orangen abreiben, wobei sich der Zucker leicht färbt und das Zitrus­aroma annimmt. Den Würfel­zucker mit 50 Gramm Butter in einem Topf hell karamel­li­sieren lassen, 200 ml Orangensaft und 20 ml Zitro­nensaft unter­rühren und alles auf ein Drittel einkochen lassen. Grand Marnier (35 ml) und Cointreau (15 ml) dazumi­schen, 50 Gramm eiskalte Butter­flocken unter­rühren. Sauce in eine Pfanne geben, die Crêpes darin wenden, zweimal nach klassi­scher Vorschrift falten, in eine ovale Kupferform oder flache Gratin­schüssel legen und mit roten Orangen­zesten garnieren.

 Den entschei­denden geschmack­lichen Effet bekommt das Gericht durch das Flambieren. Der Feuer­zauber ist ein theatra­li­scher Effekt, zugleich aber auch, sinnvoll einge­setzt und diskret gehandhabt, eine unver­zichtbare Aroma­ti­sie­rungs­me­thode, um aus Pfann­kuchen die „Crêpes Suzette“ zu machen. Flambiert wird am Tisch, indem man ein Glas Grand Marnier in einem kleinen Butter­pfännchen erwärmt, anzündet und elegant über die heißen Crêpes fließen lässt. Werden die Crêpes mit Powidl (Mus aus getrock­neten Pflaumen) bestrichen, gerollt, auf Crème fraiche angerichtet, mit Zimtzucker bestreut und mit Zwetsch­ge­n­schnaps flambiert, ergibt dies „Crêpes Thomalla“, eine von Witzigmann gebackene Hommage an den Schau­spieler.

Fürst-Pückler-Eisbombe

Ein delikates Denkmal zu Ehren des exzen­tri­schen Fürsten, Literaten („Tutti Frutti“), Garten­ar­chi­tekten und Schwe­re­nöters Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) hat der Lausitzer Konditor Schultz gebaut: die Fürst-Pückler-Eisbombe, dreifarbig schwarz-rot-gold zusam­men­ge­setzt aus Schoko­laden,- Erdbeer- und Vanil­leeis mit maraschi­no­ge­tränkten Makronen. Angeblich hat der Fürst die Kompo­sition angeregt. In einem Liebes­brief findet sich folgende Passage: „Nehmen Sie für gute Laune: Schokolade, körper­liches Wohlge­fallen: Zucker, Neugier: Himbeer­gelee, Reise­stimmung: Makronen, Lebenslust: Eis, Treue: Vanil­le­zucker, so haben Sie das Rezept für mein erst vor Tagen kompo­niertes Eis.“

 

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