Es gibt Speisen, die wecken angenehme Erinnerungen an vergangene Zeiten. Ein besonders leckerer Schlüssel zur Kindheit ist beispielsweise der mit Puderzucker hübsch weiß gesprenkelte Bratapfel. Schon der erste aus dem Bratrohr dringende Duft läßt einen an Ofenwärme und behagliches Seelenbaumeln denken. Geschichtliche Reminiszenzen lösen Gerichte aus, die berühmten Frauen und Männern gewidmet sind: Tournedos Rossini animieren zu Arien aus dem Barbier von Sevilla, beim Bismarckhering denkt man an Reichskanzlermacht, das Filet Wellington erinnert an Napoleon und Schlachtenlärm. Aber die süßesten Gedanken kommen einem bei Desserts mit Vergangenheit.
Pfirsich Melba
Legendär ist der Pfirsich Melba, nur: Wer heißt heute noch so, wer oder was war Melba? Nellie Melba (1861–1931), so nannte sich – nach ihrer Geburtsstadt Melbourne – die Sängerin namens Helen Porter Mitchell, auch bekannt als die australische Nachtigall. Als die Künstlerin 1892 in London gastierte, fand die Premierenfeier zu „Lohengrin“ im noblen „Savoy“ statt, wo Auguste Escoffier, einer der größten Köche aller Zeiten, wirkte. Escoffier, musikbegeistert und galant, verehrte „der Melba“ eine Süßspeise, die unsterblich wurde: „Pêches Melba“ aus geschälten und halbierten weißen Pfirsichen, die, in Läuterzucker gedünstet, in einer Sektschale auf zwei Kugeln Vanilleeis angerichtet, mit Himbeerpüree übergossen, mit Mandelsplittern bestreut und mit etwas Schlagsahne verziert werden.
Erdbeeren Patti
Im „Bildnis des Dorian Gray“ schwärmt Oscar Wilde von Adelina Patti (1843–1919), die „göttlich gesungen“ habe. In einer Kritik vom 28. März 1866 hieß es, mit „Frl. Patti sollte immer nur der erste Akt von ‚La Traviata’ gespielt werden, der bis jetzt zu den wunderbarsten Blüten ihrer Krone zählt. Der erste Akt ist wie ein Rausch: Sie singt mit einer vollkommenen Brillanz, jugendlichem Überschwang und luxuriöser Fioritur…“ Diesem Star der italienischen Oper, der weltweit höchste Gagen kassierte, im Privatzug mit 50 Koffern nebst Haustieren und eigenem Koch reiste, sind die „Erdbeeren Patti“ gewidmet: die Früchte werden in einer Liaison aus Zucker und Kirschwasser mariniert, danach auf einem sahnigen Schokoladeneis angerichtet und schließlich mit vanillierter Schlagsahne beträufelt.
Crêpes Suzettes
Romantische Geschichten ranken sich um die „Crêpes Suzettes“, die legendären, mit Orangenlikör aromatisierten Pfannkuchen, gefaltet, flambiert und heiß aufgetischt. In beiden Versionen spielt der Prince of Wales eine Rolle, in der Familie “Bertie“ genannt, jener Dandy und spätere Edward VII. (1841–1910), der die lange Wartezeit auf den von seiner Mutter Victoria besetzten englischen Thron bis zu seiner Krönung 1901 als Lebemann durchstand, trinkend, spielend, tanzend und schönen Frauen huldigend. Im Pariser „Maxim›s“ war der prinzliche Playboy, der übrigens die Nachlässigkeit, den untersten Westenknopf offen zu lassen, zur Mode hochstilisierte, ebenso Stammgast wie im „Café de Paris“ in Monte Carlo.
Beide Lokale rühmen sich denn auch der Patenschaft für die „Crêpes Suzettes“. Laut der im „Maxim’s“ kolportierten Schmonzette hatte der Prinz ein amouröses Abenteuer mit einer hübschen, doch offenbar naiven Tänzerin – Stichwort: wenig Geist, viel Tanz – bei einem Souper eröffnet. Als die Frage des Nachtischs erörtert wurde und der Ober einen Kanon exquisiter Desserts herunterbetete, verneinte das liebe Kind und begehrte schlicht nur „Pfannkuchen mit Marmelade“. Der Maitre war entsetzt – Pfannkuchen im „Maxim’s“! – ‚doch der Prinz war schließlich nicht irgendwer und so erfand der Patissier die nach der Tänzerin benannten „Crêpes Suzettes“.
Besser dokumentiert ist allerdings die Geschichte im „Café de Paris“. Im Sommer 1895 aß der Prince of Wales dort mit Freunden, von denen einer seine kleine Tochter namens Suzette dabei hatte. Für das Mädchen als einzige weibliche Person der Runde wünschte sich der Prinz ein besonderes Dessert, worauf der junge Henri Charpentier in der Küche zu basteln begann. Das war die Geburtsstunde einer der populärsten Süßspeisen. Kurios an der Sache ist, dass die aromatische Finesse der Sauce durch ein Malheur zustande kam, weil der Grand Marnier, mit dem der Koch das Gericht parfümieren wollte, zufällig Feuer fing, wodurch das Alkoholische verbrannte, das Aroma jedoch blieb.
Für Eckart Witzigmann, den genialen Koch, sind „Crêpes Suzette“ eine unwiderstehliche Delikatesse, angerichtet mit Walderdbeeren und einer Kugel Vanilleeis. In den Glanzzeiten der „Aubergine“, jenem Restaurant am Münchner Maximiliansplatz, wo Witzigmann von 1978 bis 1994 mit großer Dreisterneküche auftrumpfte, hat der Meister die „Crêpes Suzette“ nach folgendem Rezept gemacht, berechnet für vier Personen:
REZEPT Crêpes Suzette WITZIGMANN
Aus Milch (185 ml), Mehl (75 g), zwei Eiern, der abgeriebenen Schale einer Orange, einer Prise Salz, leicht gebräunter, geklärter Butter (75 g), neutralem Pflanzenöl (25 ml) und Vanillezucker dünne Crêpes machen und warm stellen.
Für die Sauce 100 Gramm Würfelzucker an einer halben Zitrone und vier Orangen abreiben, wobei sich der Zucker leicht färbt und das Zitrusaroma annimmt. Den Würfelzucker mit 50 Gramm Butter in einem Topf hell karamellisieren lassen, 200 ml Orangensaft und 20 ml Zitronensaft unterrühren und alles auf ein Drittel einkochen lassen. Grand Marnier (35 ml) und Cointreau (15 ml) dazumischen, 50 Gramm eiskalte Butterflocken unterrühren. Sauce in eine Pfanne geben, die Crêpes darin wenden, zweimal nach klassischer Vorschrift falten, in eine ovale Kupferform oder flache Gratinschüssel legen und mit roten Orangenzesten garnieren.
Den entscheidenden geschmacklichen Effet bekommt das Gericht durch das Flambieren. Der Feuerzauber ist ein theatralischer Effekt, zugleich aber auch, sinnvoll eingesetzt und diskret gehandhabt, eine unverzichtbare Aromatisierungsmethode, um aus Pfannkuchen die „Crêpes Suzette“ zu machen. Flambiert wird am Tisch, indem man ein Glas Grand Marnier in einem kleinen Butterpfännchen erwärmt, anzündet und elegant über die heißen Crêpes fließen lässt. Werden die Crêpes mit Powidl (Mus aus getrockneten Pflaumen) bestrichen, gerollt, auf Crème fraiche angerichtet, mit Zimtzucker bestreut und mit Zwetschgenschnaps flambiert, ergibt dies „Crêpes Thomalla“, eine von Witzigmann gebackene Hommage an den Schauspieler.
Fürst-Pückler-Eisbombe
Ein delikates Denkmal zu Ehren des exzentrischen Fürsten, Literaten („Tutti Frutti“), Gartenarchitekten und Schwerenöters Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) hat der Lausitzer Konditor Schultz gebaut: die Fürst-Pückler-Eisbombe, dreifarbig schwarz-rot-gold zusammengesetzt aus Schokoladen,- Erdbeer- und Vanilleeis mit maraschinogetränkten Makronen. Angeblich hat der Fürst die Komposition angeregt. In einem Liebesbrief findet sich folgende Passage: „Nehmen Sie für gute Laune: Schokolade, körperliches Wohlgefallen: Zucker, Neugier: Himbeergelee, Reisestimmung: Makronen, Lebenslust: Eis, Treue: Vanillezucker, so haben Sie das Rezept für mein erst vor Tagen komponiertes Eis.“