Picknick: das fröhliche Tafeln im Freien

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 4 Minuten

Die Engel spielen Mozart statt Bach:

Wenn der Sommer in grellen Farben aufglüht und der Himmel im Lichte kommender Zärtlich­keiten erstrahlt, gibt es nichts Schöneres als ein Essen im Freien. Die Rosen duften mit dem Thymian und dem Lavendel um die Wette, Grillen zirpen, Mücken fliegen ihre Hochzeits­tänze. Jeder kennt diese Sinfonie der Sinnlichkeit. Man räkelt sich dem Himmel entgegen und genießt die Schmau­serei im Grünen mit der Wiese als natür­lichem Eßtisch. Es scheint, dass die Lust am Genuss im Grünen in Zeiten sozialer und wirtschaft­licher Spannungen besonders stark ausge­prägt ist. Mag sein, dass der aktuelle Picknick-Trend auch mit der zuneh­menden Verstäd­terung der Natur und der daraus resul­tie­renden Sehnsucht nach heiler Umwelt zu tun hat.

Na und, sagen jetzt die Biergar­ten­geher im Verein mit Weinlau­ben­ho­ckern und Grill­meistern, na und, das erleben wir ständig. Gewiß, so reizvoll eine Maß Bier unter Kastanien ist, so amüsant es ist, in einem der inner­städ­ti­schen Trottoir-Cafés das Leute-beobachten-Spiel zu prakti­zieren, aber das Essen und Trinken auf der Wiese hat seine eigenen Gesetze. Man fühlt anders als in einem geschlos­senen Raum. Tauscht man die Wände gegen den nach oben hin offenen Horizont, muss man eventuell gewisse atmosphä­rische Widrig­keiten billigend in Kauf nehmen wie etwa säuselnden Wind, ins Glas fallende Blätter oder ungebetene Insekten. Zudem hat die frische Luft, auch wenn sie lau ist, eine besondere Chemie, die schon mal filtrierend auf die Sinnes­organe wirken kann. Draußen erfasst man die Raffi­nesse einer Küche oder die grazilen Nuancen eines großen Weins nicht so detail­liert wie drinnen.

Doch Picknicken hat seine spezi­fi­schen Reize, trotz Insekten und der Tatsache, dass ein Essen im Freien natürlich anders schmeckt als im Restaurant. Picknicken ist mehr als bloße Nahrungs­auf­nahme unter freiem Himmel. Die in einem öffent­lichen Park verzehrte Wurst­semmel oder das Jausenbrot mit Tee aus der Thermos­kanne im Rucksack des Wanderers haben nichts mit Picknick zu tun – obwohl sich das Wort, wie Sprach­for­scher versi­chern, von „pick a nic“ herleitet, was soviel bedeutet wie: “Schnapp dir eine Kleinigkeit.“ Gepflegtes Picknicken, also eines mit Stil, erfordert neben der Idee und Raffi­nesse bei der Planung auch Unerschro­ckenheit bei der Durch­führung, Wetter­fes­tigkeit inklusive.

Schließlich geht es darum, im Freien ein Maximum an Essens­kultur zu arran­gieren.

Ideen für das perfekte Picknick

Bei der Verwirk­li­chung hat die Phantasie großen Spielraum. Schinken gehört nebst Würsten, Käse (vielleicht ein Potpourri aus cremigem “Brie de Meaux“, etwas Ziege, altem Gouda und Parmi­giano Reggiano), Oliven, Tomaten, Essig­gurken, hart gekochten Eiern, Räucher­lachs, Butter und diversen Brotsorten zum Standard­pro­gramm eines Picknicks. Die einfache Variante mit Frika­dellen und Kartof­fel­salat ist gleich­be­rechtigt der schick­lichen mit Thermos­kanne und Streu­sel­kuchen sowie der eleganten mit Pasteten, Meeres­früchten und Champagner oder der rusti­kalen Version in Form einer Barbecue-Party im Park oder am Strand.

Die Lust am Essen aus dem Korb eint die Menschen über alle sozialen Grenzen hinweg, nur die Formen, der Ablauf des Rituals und die Speisen nebst den Getränken sind Zeit und Mode unter­worfen, freilich auch abhängig von dem zur Verfügung stehenden Geld. Grund­sätzlich hängt die Insze­nierung von Appetit, Geschmack und finan­zi­ellem Potential ab. Darf es etwas nobler sein, so ist eine getrüf­felte Gänse­le­ber­terrine keine schlechte Wahl. Auch Kaviar aus der großen Blechdose vermag ein Picknick mit einem aparten Hauch von Luxus zu erfüllen. Anderer­seits ist ein kaltes Wiener Schnitzel mit Kartof­fel­salat ein Erlebnis der besonders herzhaften Art. Salate, bereits zu Hause angemacht, berei­chern das Mahl im Grünen ebenso wie Wildpastete mit Preisel­beer­kompott, Tafel­spitz­sülze mit Schnitt­lauch­sauce, erkaltete Braten­stücke, Ziegenkäse mit Quitten­gelee und derlei köstliche Vulga­ri­täten.

Den Brauch an stivollem Essen im Freien gab es schon in der Antike

Im 19. Jahrhundert glich ein Picknick der engli­schen Oberschicht einem feudalen Essen. Wie Mrs. Beeton in ihrem 1861 erschie­nenen “Book of Household Management“ beispiels­weise vorschlägt, hatte ein Picknick mindestens aus sechs Stück Hummer, zwei Enten, Lammschultern, Tauben-Pasteten, einigen Kalbs­köpfen in Aspik, Roastbeef, Salaten und ähnlichen Delika­tessen zu bestehen. Pasteten, Sandwiches und der unver­meid­liche Pudding sind heute noch unver­zichtbare Ingre­di­enzien eines briti­schen Pickni­ckers.

Der Brauch, draußen im Freien ein Tuch auszu­breiten und sich an mitge­brachten Näsche­reien zu delek­tieren, entstand bereits in der Antike. Die Griechen nannten das Essen im Grünen „Eranos“, die Römer wiederum „Prantium“. Beliebt war das Picknicken in der Zeit des Minne­sangs, und in der Renais­sance galt das Speisen inmitten ländlichen Idylls als große Mode. Der Adel spielte Schäfer und Schäferin, man vergnügte sich auf Wiesen und Waldhainen, selbst­ver­ständlich rundum versorgt von der Diener­schaft mit Körben voll Obst, Fleisch, Brot und Wein.

Leiden­schaftlich dem Picknick zugetan war Maximilian II. von Bayern (1811–1864). In seiner Zeit war das Essen im Freien ein beliebter Zeitver­treib des Adels und des reichen Bürgertums. Wenn der König “sur l’herbe“ irgendwo in der Landschaft speisen wollte, glichen Vorbe­reitung und Durch­führung einem Staatsakt. Leibkoch war der berühmte Johann Rotten­höfer, und der kochte dann in irgend­einer nahen Bauern­küche neben Suppe und Forelle dreierlei Fisch, zwei Desserts, Früchte und Konfekt, wozu es Champagner gab und hinterher eine feine Havanna-Zigarre. Gegessen wurde von silbernen Tellern, getrunken aus silbernen Reise­be­chern.

Ohne Korb und Wein geht es nicht

Ob das Picknick nun als legere, heiter impro­vi­sierte Mahlzeit auf der Wiese angelegt oder penibel als gastro­no­mische Insze­nierung unter offenem Horizont geplant wird: Ohne Korb geht nichts, will man stilvoll sein. Die Bandbreite ist groß, sie reicht von Plastikware “made in China“ (für ca. 35 Euro) bis zum luxuriösen Lunch-Case von Louis Vuitton, bestückt mit Porzellan und Silber und um die 5 000 Euro teuer. Im Fachhandel sind Weiden­körbe, gefüllt mit Geschirr, Gläsern, Servi­etten, Besteck und Windlichtern, für zwei bis sechs Personen zu Preisen zwischen 100 und 2 500 Euro zu bekommen. Unerlässlich ist die Decke, auf der man sitzt und die gleich­zeitig als Tischtuch dient. Robust muss sie sein, möglichst aus Wolle und sinnvol­ler­weise mit gummierter Unter­seite zum Schutz vor Feuch­tigkeit.

Wein darf natürlich nicht fehlen. Passend ist ein herzhaftes Gewächs, ein Wein, zu dem man nicht Sie sagt, sondern der als Duzbruder bei sich willkommen geheißen wird. Das kann ein Riesling sein, ein Sauvignon blanc, Grüner Veltliner, auch ein Rosé oder Silvaner. Überhaupt nichts ist gegen Champagner einzu­wenden. Wichtig ist nur, dass die Gläser nicht leer bleiben. Das würde nämlich auch bei einem Picknick, wo Kultur gewis­ser­maßen auf Natur trifft, den Sinn des Ästheten für Vollkom­menheit verletzen.

Wenn sich die Gefühle wohlig dehnen, weißt Du: Man sitzt und genießt sozusagen näher bei den Engeln, die, weil der liebe Gott gerade nicht zuhört, Mozart anstelle von Bach spielen.

 

 

 

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