Quer durch Kanada in einem Zug

05.03.2024
Horst-Dieter Ebert

Lesedauer: 4 Minuten

Jan. / Feb. 2018

Um neun Uhr abends sollen wir an Bord gehen, um zehn soll der Zug starten. Nein, das Restaurant sei dann schon geschlossen, erklärt der bärtige Service Manager Dan, doch es gebe eine Begrü­ßungs­party mit „Champagner und Häppchen“. Es wird dann doch um einiges später. Und kaum sind wir einge­stiegen, rollt der Zug los, von dem im Dunkel der Nacht kaum etwas zu sehen ist. Der erste Eindruck von unserer Kabine ist das Erschrecken, wie klein sie ist: Die beiden „Stock­betten“ sind bereits gemacht, davor ein schmaler Gang mit dem in die Wand einge­las­senen Wasch­becken und der Tür zur Toilette. Zwei Erwachsene haben Mühe, anein­ander vorbei­zu­kommen. Dabei haben wir noch Glück gehabt. Von den sechs Doppel­ka­binen des Wagens (A bis F) ist F einen Fuß größer als die anderen, wie mir Dan anderntags erklärt.

Die Gäste, die nach und nach zur Begrü­ßungs­party eintrudeln, sind höchst aufge­kratzt. Es ist eine Klientel wie auf einem Kreuz­fahrt­schiff der teureren Art: Eher Sechzig- als Fünfzig-Plus, vornehmlich Ehepaare, die Mehrzahl der Herren in kurzen Hosen und T‑Shirt, Freizeit-Amerika, wie es sommers lebt und leibt. Immer wieder Ausrufe der Begeis­terung: „What a gorgeous train!“ (Obwohl doch eigentlich noch niemand so richtig was von ihm gesehen hat.) „What a nice party!“ – „What a beautiful day!“ 

Die große Mehrheit der Passa­giere bilden natur­gemäß Kanadier und US-Ameri­kaner, deren Begeis­te­rungs­fä­higkeit ja immer wieder bewun­dernswert ist. Sie verbreiten damit eine (scheinbare oder wirkliche?) gute Laune, die ja so manchen europäi­schen Kreuz­fahrer schon inspi­riert hat, vorzugs­weise auf einem US-Schiff „mit den immer fröhlichen Amis“ zu fahren.

Schlafen wie Marilyn Monroe

„Der legendäre Canadian“, wie er ab jetzt in allen Ansagen genannt wird, ist schon ein absolutes Unikat. Nicht nur, weil er eine der längsten Strecken der Welt fährt (von Toronto bis Vancouver 4439 Kilometer), er ist auch ganz anders einge­richtet als andere berühmte Züge, wie zum Beispiel Orient-Express, Rovos Rail oder Blue Train. Er hat als einziger nicht nur eine einzige Luxus­klasse, sondern zumindest drei, und niemand muss die ganze Strecke (fünf Tage und vier Nächte) fahren, sondern jeder Passagier kann an einem der Bahnhöfe ein- oder aussteigen, an denen der Zug anhält und die Türen öffnet (Hornpayne, Winnipeg, Edmonton, Jasper).

An der Spitze unseres Zuges, an dem hinter den zwei potenten Diesel­lo­ko­mo­tiven ein mehrfach renovierter Wagenpark aus den fünfziger Jahren hängt, befindet sich die Economic Class: Beför­derung wie in einem deutschen Regional Express auf 136 Sitzplätzen. Das Gegenteil am Ende des Zuges: Die sogenannte Prestige Class besteht nur aus drei Wagen mit dreizehn höchst luxuriösen Kabinen (Betten auf einer Ebene, Holzfur­niere, Leder, Flach­bild­schirm, Minibar, Roomservice, all-inclusive); sie sind alle belegt.

Und wir sind irgendwo dazwi­schen, quasi die Business Class des Canadian mit knapp 300 Betten, die hier „Sleeper Class“ heißt. Und die wiederum offeriert etliche Varianten. Da sind einmal die doppel­stö­ckigen Betten hinter einem Vorhang, wie man sie aus „Some like it Hot“ kennt, wo Marilyn Monroe darin mit ihren Bandkol­le­ginnen immer noch mal einen fröhlichen Drink nahm. Dann gibt es Einzel­ab­teile („Roomettes“), in denen erst am Abend das Bett herun­ter­ge­lassen wird.

Und schließlich sind da die „Abteile für zwei“ wie das unsere: Am Tag werden zwei angenehme Lehnstühle aufgebaut, in einem Schlitz in der Wand hängen vier Bügel (das ist der Kleider­schrank), es gibt ein geradezu an Art déco erinnerndes Wasch­becken und eine winzige Toilette. Die Dusche des Waggons, mit einem Vorraum zum Umziehen befindet sich direkt vor der Tür unseres Abteils. Die Presti­ge­klasse würde weit mehr als doppelt so viel kosten.

Am nächsten Morgen fährt der Zug mit seinen fast 500 Plätzen, doch wohl nur halb so vielen Passa­gieren, bei leichtem Regen durch einen grünen, undurch­dring­lichen Wald, stundenlang zwischen den unzäh­ligen Seen Ontarios durch, mitunter nicht schneller als eine Radwan­de­rer­gruppe. Langschläfer haben es schwer: Frühstück gibt es nur bis 8:30 Uhr, dafür ist es aber von schönster ameri­ka­ni­scher Deftigkeit: Diverse Omeletts und Eier-Speisen mit reichlich Würsten und Schinken, mit denen auch die sirup­süßen Pancakes flankiert werden.

 

Hände­wa­schen nach Vorschrift

Mittags und abends stehen stets drei Haupt­ge­richte zur Wahl (Fleisch, Fisch und vegeta­risch), dazu Salat oder Suppe und schließlich übergroße Desserts mit viel Sahne und/oder Schokolade, für die das Wort Kalorien­bombe eine grobe Verharm­losung darstellt. Der Koch wird allgemein super­la­ti­visch gelobt („Amazing!“ – „Great Job!“ – „Super Food!“), tatsächlich ist es beein­dru­ckend, was er aus seiner kleinen Küche hervor­zaubert. Die jungen Atten­dants, wie sie hier heißen, servieren fröhlich und unbekümmert; gegen Zuzahlung kann man sich auch ein Glas Wein bestellen, drei weiße und drei Rote stehen zur Auswahl.

Doch am schönsten sind die Stunden oben im Dome Car unter dem fast ganz verglasten Himmel. Wenn die Sonne scheint wie in Manitoba am zweiten Tag und die Air-Condition ihre hier mitunter abschre­ckend arkti­sie­rende Wirkung mal vergisst, sieht man den Zugteil vor sich glitzernd durch Kurven in den Sonnen­un­tergang fahren – ein schön poeti­sches Bild.

„Und man kriegt doch ein Gefühl, wie groß Kanada wirklich ist“, sagt der drahtige ältere Mann aus Montreal, der diese Strecke in seinem Sport­wagen („aus Deutschland“) schon mehrfach gefahren ist und sie nun zum ersten Mal im Zug erlebt: „Was man da plötzlich alles sieht, ist unglaublich. Die totale Entschleu­nigung!“

In Winnipeg haben wir erstmals einen Stopp für über drei Stunden. Als wir dann zurück­kommen, müssen wir 40 Minuten darauf warten, wieder in den Zug steigen zu dürfen. So auch andernorts, etwa in Jasper: Wenn eine Stunde Aufenthalt angesagt ist, kommt keiner vor deren Ablauf zurück in sein Abteil. Es ist nicht die einzige Schrul­ligkeit: Auf den Toiletten hängt ein Plakat, das in Wort und Bild darüber belehrt, wie man sich die Hände wäscht („Effective Handwa­shing“). 

Kurz hinter Hinton fangen die Rockies an. Erst stehen sie noch recht unscharf am Horizont, dann – im wunder­baren Naturpark von Jasper – werden sie schärfer, grüner, mit ein paar weißen Schnee­flecken unter den Gipfeln. Der Zug, der in Edmonton noch einmal verlängert wurde und nun mit seinen 26 Waggons über 700 Meter lang ist, windet sich in weiten Kurven um die Berge. Die Fotografen drängeln sich oben im Dome-Wagen.

Vor Vancouver steht der Zug 40 Minuten, als er dann schließlich in den Bahnhof einfährt, ist es Mittag, etwa drei Stunden später als geplant. Aber das verargt dem „legen­dären Canadian“ eigentlich niemand. „Schade, dass es nicht noch ein bisschen später geworden ist“, scherzt, in ironi­scher Übertreibung, das launige Quartett aus Kalifornien, „ab drei Uhr nachmittags dürften wir in unser Hotel­zimmer!“ Von Amerika lernen heißt, auch negativen Überra­schungen positive Aussichten abzuge­winnen …

Horst-Dieter Ebert

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