Sommer­bowlen: glorioses Comeback als High Bowl mit pikanten Näsche­reien.

23.05.2024
Karl-F. Lietz

Lesedauer: 4 Minuten

Jede Zeit hat ihre Moden. Noch vor fünfzehn Jahren, als die „beautiful people“ in den einschlä­gigen Szene­lo­kalen tropische Longdrinks und ähnlichen Trink­fummel, reich an Farben und Zucker, doch arm an Persön­lichkeit, bevor­zugten, standen Bowlen im gesell­schaft­lichen Out. Sie waren ungefähr so zeitgeistig wie Saurier. Aber wie das halt so ist im Leben: Die wirklich guten Dinge überdauern alle modischen Berg- und Talfahrten. Und so erleben wir die gloriose Wiederkehr der Bowlen. Zumal die Sommer­bowle ist von einem bestri­ckenden Charme und dem Reiz der ewigen Jugend umgeben.

Ihrem Charakter nach sind gute Bowlen eigentlich Cocktails, nur halt in einem etwas größeren Gefäß.

Ihren Ursprung hat die Bowle wohl in jenen Zeiten, als man Wein – wie schon in der Antike – mit Kräutern, Honig, Gewürzen, Blüten und Früchten anrei­cherte bezie­hungs­weise aufwertete, weil purer Alkohol verpönt war, doch anderer­seits Wein damals oft nur ein kleiner Säuerling war, dem mehr Geschmack hinzu­gefügt werden mußte. Diese ersten Bowlen sind in Amphoren aufge­tischt worden, die Umsiedlung in die Glasschale erfolgte in der Renais­sance. Im 18. Jahrhundert gehörte es zum guten Ton, seine Gäste mit einer Bowle zu bewirten; damals bekam das Mixge­tränk auch seinen Namen, angelehnt an das englische „Bowl“ für Napf oder Schüssel. Das erste dokumen­tierte Bowlen­rezept findet sich in einer Schrift von 1417, einzu­sehen in der Kloster­bi­bliothek zu Fulda. Darin wird ein Getränk aus Wein, Rosen­blüten, Fichten­nadeln und Honig beschrieben, serviert in einem Bowle-ähnlichen Gefäß.

Von Haus aus sind Bowlen eine klare Sache. Zucker hat eigentlich nichts in ihnen verloren, es sei denn, man nimmt sehr herben Wein oder hat ein starkes Bedürfnis nach Lieblichkeit. Aber bitte, gut und schön ist, was gefällt. Auch die Zugabe von Cognac, Rum, Arrak oder Likören, wie in manchen Rezep­turen empfohlen, ist Geschmacks­sache.

Alkohol vermag der Bowle etwas „Feuer“ zu geben, macht sie aber auch schwerer und härter. Schaum­weine vermitteln der Bowle eine heitere Sprit­zigkeit, hingegen sollte mit Mineral­wasser sowie Eiswürfeln sehr diskret umgegangen werden. Wasser zum Wein ist eine vernünftige Kombi­nation, Wasser im Wein hingegen überflüssig. Die Bowle soll Wein bleiben!

Klassische Sommer­bowlen werden mit Früchten der Saison zubereitet, also in der Regel mit Erdbeeren, Himbeeren, Pfirsich, Johan­nis­beeren, Sauer­kir­schen und so weiter. Man kann Bowlen mit Melonen insze­nieren, mit Rosen, Ananas, Gurken, Kiwi, Veilchen, Holunder und sogar mit Sellerie. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt, ausge­nommen jene des guten Geschmacks.

Köstlich schmeckt und zudem schön anzuschauen ist eine Himbeer-Rosen­blüten-Bowle: Ein halbes Kilo Himbeeren mit der Blüte einer großen, ungespritzten Duftrose und drei Eßlöffel Zucker vermengen, eine halbe Flasche Rosé-Wein darüber gießen, gut eine Stunde ziehen lassen und schließlich vollenden mit der zweiten Weinhälfte sowie einer Flasche weißem Sekt oder Champagner.

»Kalte Ente«, der deutsche Klassiker hieß ursprünglich »Kaltes Ende«

Ein Kapitel für sich ist die gute alte „Kalte Ente“, der deutsche Klassiker schlechthin: Die Schale von zwei ungespritzten Zitronen spira­len­förmig schälen, in ein Bowlen­gefäß hängen, mit drei gekühlten Flaschen Weißwein der spritzig-fruch­tigen Art – wie beispiels­weise einem „Möselchen“ – auffüllen und etwa zwei Stunden lang an kaltem Ort zugedeckt ziehen lassen. Dann mit zwei Flaschen bestem Sekt oder Champagner aufgießen und die Zitro­nen­schalen heraus­nehmen. Variieren läßt sich dieser Klassiker durch die Zugabe von einigen mit Zitrone beträu­felten Stückchen Würfel­zucker, eventuell auch durch ein paar Tröpfchen Angostura. Ursprünglich hieß diese Bowle übrigens „Kaltes Ende“ und war die Spezia­lität des Generals von Pape als sommer­liches kühles Finale nach einem Essen.

Wie man die Bowle nun im Detail anlegt, ist indivi­duelle Geschmacks­sache, unabän­derlich sind hingegen einige Grund­regeln:

  1. Verwende nur frische und reife Früchte mit dichtem Aroma. Unreife, gar verdorbene wie angefaulte Früchte verhunzen jedes Getränk.
  2. Je besser die Weine, desto feiner die Bowle. Töricht ist die Annahme, für die Bowle tauge auch minder­wer­tiger Wein. Das ergibt natur­gemäß eine minder­wertige Bowle. Ideal sind herbfruchtige Riesling­weine wie solche von der Mosel, dem Rheingau, der Nahe, aus Rhein­hessen und Sachsen. Will man die Bowle kräftiger, dann werden vollmun­digere Gewächse aus der Pfalz, dem Badischen und speziell der Wachau in Frage kommen. Für eine Rotwein­bowle eignet sich besonders gut Spätbur­gunder (Ahr, Rheingau, Baden, Burgenland).
  3. Wein und gegebe­nen­falls Sekt oder Champagner stets gut gekühlt verwenden. Den Schaumwein erst kurz vor dem Servieren dazu gießen. Niemals Eiswürfel in die Bowle geben, das stört die Reinheit.
  4. Laß’ Dir von guten Freunden bei der Zubereitung nicht drein­reden. Bowlen sind wohl einfach zu machen und doch eine Charak­ter­sache.

Erdbeer­bowle

Für eine Erdbeer­bowle nimmt man cirka ein Pfund Früchte auf drei Flaschen Wein. Die Erdbeeren sollen, angegossen mit etwas Wein und leicht gezuckert, eine halbe Stunde ziehen, bevor der restliche Wein dazuge­geben und schließlich mit ein bis zwei Bouteillen brutigem Schaumwein aufge­füllt wird. Für notorische Liebhaber von Rotwein eignen sich Erdbeeren vorzüglich für eine Rotwein­bowle. Bei der Himbeer­bowle empfiehlt es sich, die Früchte zu pürieren und das Ganze außerdem mit einem Schuß Himbeer­likör anzurei­chern. Die Pfirsisch­bowle wiederum gewinnt an Esprit durch die Zugabe von einigen Blättern Garten­minze. Generell ist anzumerken, daß die Bowle an Aroma zulegt, wenn man die Früchte, ob ganz gelassen, angequetscht oder fein gemust, bei Zimmer­tem­pe­ratur mit kleiner Weinmenge ziehen läßt, bevor mit gut gekühltem Wein vollendet wird.

Rosen­bowle

Blumig und ein wenig verspielt, dies jedoch auf grazile Weise, ist die Rosen­bowle. Dafür werden an die zehn bis zwanzig voll erblühte und herrlich duftende Köpfe entblättert, mit ein bißchen Weißwein – ideal: Traminer, gefolgt von Riesling oder Weißbur­gunder – nebst einer halben Stange Zimt sowie ein wenig Muskat­blüte und einer Zitro­nen­spirale angesetzt, ziehen gelassen und danach mit zwei Flaschen vom gleichen Wein plus einer Flasche Champagner aufge­füllt. Sehr apart ist es, die Bowle mit einer Rose zu dekorieren. Die Brombeer­bowle: Ein Kilo Früchte mit Sambuca-Likör angießen und zugedeckt wenigstens 24 Stunden ziehen lassen. Dann ein bis zwei Flaschen eisge­kühlten Rosé darüber gießen, im Kühlschrank oder Keller kurz durch­ziehen lassen und vor dem Genießen mit Sekt oder Champagner vervoll­kommnen, egal ob der weiß oder rosafarben ist.

Karl‑F.Lietz

 

 

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