Sudhoffs Seiten­wechsel – Dienst an der Front …

22.12.2023
Tobias Sudhoff

Lesedauer: 4 Minuten

Mär. / Apr. 2018

Liebe SAVOIR-VIVRE-Genießer,

seit vielen Jahren schreibe und kommen­tiere ich rund um das Thema „Essen und Genuss“, sei es auf der Bühne, sei es an der Hochschule oder in meinen Kochbü­chern und Artikeln – immer wieder beleuchte ich dabei die Rolle, die Deutsch­lands Köche spielen. Und ja, natürlich spare ich nicht an Kritik, wenn mir Entwick­lungen auf hiesigen Tellern missfallen. Sicherlich wird auch manch einer der tapferen Herdkrieger unserer Republik den ein oder anderen Seitenhieb, den ich vom Schreib­tisch aus dann mal wieder ausge­teilt habe, persönlich nehmen. Ja, der Sudhoff, der hat gut reden, sitzt mit einem Glas Wein gemütlich vor seinem PC und meckert, während die Köche jeden Tag den Kampf an der Front aufnehmen. Dann nölt er wieder rum über Teller­sym­metrie, während im richtigen Leben in der Restau­rant­küche ein Koch gerade verzweifelt, weil ein Teller wegen Selle­rie­un­ver­träg­lichkeit oder Nussall­ergie (oder noch besser: beides!) komplett – und zwar sofort! – neu gemacht werden muss („oops, haben wir total vergessen Ihnen zu sagen!“). Oder weil wieder die Eltern, die trotz Ehekrise mit der ganzen Familie heute Abend genau dort essen gehen müssen und vor lauter schlechter Stimmung vergessen haben, dass ihr Junge absolut keine Schalen­tiere verträgt – der jetzt röchelnd zusam­men­bricht. Aha, da fährt schon das Blaulicht an der Küche vorbei, der Koch hat aber keine Zeit, die Situation zu begleiten, weil soeben der 8er-Tisch das Menü modifi­zieren möchte – jeder indivi­duell, logisch, weil der eine „keine Maronen mag“, der nächste sich „gerade lacto­sefrei ernährt“, während die Frau mit der extremen adipösen Vorhut als Bauch daneben „abends keine Kohlen­hy­drate mehr essen will“, während das klapper­dürre Frollein Rotten­meier gegenüber sich sicher ist, dass „Gluten ihre Darmflora zerstört hat, ganz klar!“ – dabei weiß der Koch beim ersten Blick auf ihr starr­sinns­fal­tiges Gesicht sofort, dass in Wirklichkeit Moralin­säure diese Frau von innen seit vielen Jahren zerfrisst! Während also der Sudhoff fernab jeder Küchen­rea­lität über Sous-vide-Methode und Gar-Grade daher­schmon­zettelt, kommen die Teller vom Tisch mit den Gymna­si­al­päd­agogen zurück, die wollten schließlich ihr „Rinder­filet durch! Durch hatten wir gesagt, ausdrücklich! Herrgott, das ist doch nicht so schwer zu verstehen oder hören Sie nicht zu, wenn ein Kunde mal einen Wunsch äußert?!?“. Der Senio­ren­tisch daneben beschwert sich im gleichen Moment beim Personal, dass er schon seit 8 Minuten auf den nächsten Gang wartet – gut, hier hat der Koch Verständnis, die sind wirklich schon sehr alt, da zählt jede verblei­bende Minute. 

Seiten­wechsel an die Front

Ja, ich habe volles Verständnis, wenn Köche sich darum über die schrei­bende Zunft mokieren. Nun habe ich im Zuge meiner Koch-Shows trotz der Berufs­be­zeichnung „Musiker und Kabarettist“ dann doch schon etliche Küchen von innen gesehen und dort zusammen mit der Küchencrew den Kochlöffel geschwungen, aber das hat tatsächlich nichts zu tun mit dem, was ein Koch in einem Gourmet­re­staurant erlebt. Ich ahnte das bis vor kurzem, und seit zwei Monaten weiß ich es definitiv. Denn, liebe Köche – ich darf Euch von nun an Kollegen nennen. Und das ist mir eine große Ehre. Tatsächlich bin ich dank einiger Umstände, die man wohl als „ziemlich crazy“ bezeichnen könnte, dem großen Mut und der Innova­ti­ons­kraft des Betreiber-Ehepaares Alexander und Susanne Breitung und der Unter­stützung des Sterne-Kollegen René Kalobius plötzlich an seiner Seite zweiter Küchenchef in einem außer­ge­wöhn­lichen Haus geworden – der Surenburg. Wahrlich nicht irgendein Haus, sondern ein Haus mit einer magischen Atmosphäre und einem Michelin-Stern. Zack! Von einem Moment auf den anderen stehe ich jetzt auch an der Front. Und schwitze mit meinen Kollegen in der Küche, wenn die Entenhaut nach Sous-vide-Garen sich nicht vernünftig parieren lässt. Wenn das Möhren­grün­pestozu sauer scheint oder die Rotkohl­essenz aus dem Rotati­ons­ver­dampfer irgendwas Seifiges hat. 

Wissen­schaft greift nach den Sternen

Die Rezepte werden zusammen mit dem food lab muenster entwi­ckelt. Denn das ist der einzig­artige Ansatz der Surenburg im Norden Westfalens, den in Deutschland auf diese Weise bisher noch keine Küche gewagt hat: Wir nutzen direkt die akade­mische Expertise, um Fragen, die bei der Rezept­ent­wicklung entstehen, dort zu beant­worten. Mit Köpfchen statt Rumpro­bieren. Studenten testen dann, ob die Idee umsetzbar ist, z.B. bei welcher Sous-vide-Tempe­ratur und ‑Dauer der Spargel optimal gart, welches Fett die richtige Konsistenz in der Paté ergibt oder ob der seifige Geschmack der Essenz aufgrund des Ph-Wertes sich durch Zugabe von Säure verbessert. Gleich­zeitig bekommt Nachhal­tigkeit ein ganz neues Gewicht, Stichwort Nose to tail, Speise­reste-Reduktion, alte Sorten und biolo­gische Produkte – denn auch das gehört zu unseren Schwer­punkten im food lab muenster.

Vom Elfen­beinturm an den Herd. Und schon nach wenigen Tagen verneige ich mich tief vor den Menschen, die jahrelang täglich beruflich etliche Stunden am Herd verbringen, um es den Gästen recht zu machen. Manch – naja, sagen wir mal euphe­mis­tisch – „sonder­lichen“ Wunsch zu erfüllen. Oder wieder einen freien Tag canceln, weil eine 20er Gruppe eines wichtigen Kunden sieben Gänge bestellt hat. Die Exaktheit, mit der das Uhrwerk Küche im Sterne­be­reich tickt, hatte ich mir so vorge­stellt, jetzt erlebe ich es live und in Farbe. Ich würde jedem Food-Journa­listen empfehlen, wenigstens einmal im Leben ein vierwö­chiges Praktikum in solch einer Küche zu machen. Nur um zu verstehen, was es bedeutet, am Pass viele Handgriffe korrekt, ästhe­tisch und schnell auszu­führen, damit die Teller warm am Tisch ankommen und jeder dem nächsten gleicht. In der Küche ist es ein Tanz auf dem Vulkan, immer kann etwas schief­gehen, man muss zig Dinge gleich­zeitig im Griff haben, die nachher auf dem Teller vereinigt plötzlich ein gusta­to­risch-olfak­to­risch-optisches Kunstwerk ergeben. Das bedeutet höchste Konzen­tration, Wille zur Perfektion und – vor allem – sehr sehr viel Arbeit.

Wertschätzung und Wertschöpfung

Und darum möchte ich mich heute mal denje­nigen widmen, die viel zu selten in den kriti­schen Fokus der Food-Journa­listen geraten. Nämlich den Kunden. Dem Gast im feinen Gourmet-Haus. Wir sprechen immer öfter von der Wertschätzung von Lebens­mitteln. Doch wenn es ans Zahlen geht, dann ist es mit der Wertschätzung schnell vorbei. Gäste, die mit einem Auto vorfahren, von dem sich andere eine Eigen­tums­wohnung kaufen würden, klagen darüber, dass das 7‑Gang-Menü „sooo teuer ist“. Da werden Gusta­ti­ons­kunst­werke von Geschäfts­leuten sinnlos in sich hinein­ge­stopft, ohne eine Sekunde hinzu­schmecken. Die Erwar­tungs­haltung vieler Kunden steht in einem krassen Missver­hältnis zu der Bereit­schaft, die Arbeit, die Kunst­fer­tigkeit und die Qualität der Rohstoffe wertzu­schätzen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und darum möchte ich Euch, den Genießern und SAVOIR-VIVRE-Lesern heute aus der Küche zurufen: Schmeckt hin, nutzt Eure Sinne, zollt Anerkennung und genießt! Und seid bereit, diesen Wert auch zu bezahlen! Ein Blick ins Nachbarland Frank­reich hilft – etwa ein Viertel mehr gibt man dort für Essen und für Besuche in feinen Restau­rants aus – und ich habe noch nie einen Franzosen im Restaurant über Preise disku­tieren gehört … 

In diesem Sinne: bon appétit wünscht Euch 

Euer Tobias Sudhoff 

 

 

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