18.05.2023
Sanjin

Lesedauer: 4 Minuten

Der Mensch, angetrieben vom Applaus der Gesell­schaft, von Profit, Eitelkeit und der Lust an der Heraus­for­derung, ist längst zum Mond geflogen, er zertrümmert die Atome und pfuscht der Natur mit geneti­schen Baste­leien ins Handwerk. Überall stößt man auf übertrie­benen Ausdruck, in der Kunst, in der Mode, in der Werbung sowieso, aber auch im Alltag und in der Gastro­nomie, wo es alberner Brauch ist, den Linsen­eintopf mit Hummer anzurichten und den Kartof­fel­salat mit einem Klacks Kaviar zu servieren, damit der Wirt 50 Euro für die Portion verlangen kann. Die Super­lative trium­phieren oft über das Einfache, das Übersehene, das Stille, das nicht wahrge­nommen wird.

Es ist also Zeit, höchste Zeit für eine Hymne auf das gute alte Butterbrot, zumal so eine Eloge auf den wohl tradi­ti­ons­reichsten Klassiker deutscher Eßkultur bestens in die Zeit paßt, denn am 25. September feiern Bäcker und Liebhaber der klassi­schen Stulle den Tag des Butter­brots – wie übrigens jeden letzten Freitag im September seit 1999. Erfunden hat den Gedenktag die Marke­ting­ge­sell­schaft der deutschen Agrar­wirt­schaft, kurz CMA genannt, mit dem Ziel, Getrei­de­bauern und Bäcker gegen die anhal­tende McDonal­di­sierung (das Butterbrot ist tot, es lebe der Bagel, tönte es aus der Fastfood-Ecke) und die Überflutung mit Pizza, Sandwich, & Co werblich zu wappnen. Nach der Auflösung der CMA führt eine höchst agile Fange­meinde mit Unter­stützung von Brot-und-Butter-Firmen den Tag des Butter­brots fort.

Da fügt es sich gut, daß es zurzeit so aussieht, als erlebe das Bemme eine gloriose Renais­sance. Zwar türmen sich in den Auslagen der Bäcke­reien immer noch Schin­ken­crois­sants und Pizza-Ecken, flankiert von dünnem Fladenbrot mit Thunfisch. Fragt man in Bahnhöfen nach einem belegten Brot, schauen die Verkäufer am Bäcke­rei­stand oft verständ­nislos. Der Reisende wird in der Regel mit einem öltrie­fenden Ciabatta oder einem Käse-Gurken-Tomaten-Mayo-Baguette konfron­tiert, vielleicht auch mit einem neumo­di­schen Fitness­brötchen. »Das hat Ballast­stoffe und kein Chole­sterin«, flötet die Verkäu­ferin. Aber das voreilig totge­sagte Butterbrot lebt, zur kleinen, aber hartnä­ckigen Fange­meinde gesellen sich zunehmend auch junge Liebhaber einer belegten Boden­stän­digkeit.

Zumal in städti­schem Milieu erblühen Bakerys – wie Aran (www.aran.de), La Maison du Pain (www.lamaisondupain.de), Le Pain Quotidien (www.lepainquotidien.com) sowie Manufactum mit seiner „brot & butter“-Linie – , die sich auf Natur­sauer­brote mit Aufstrichen spezia­li­sieren.

In Hamburg schmieren Jannis und Mehmet in ihrem kleinen Laden in der Holsten­strasse Vollkorn-Brote und servieren Kaffee und Säfte. Vegeta­risch, vegan oder mit Fisch.

Café NOLOSO – „Komm ins Café, wir müssen reden…“
HOLSTEN­STRASSE 175, 22765 HAMBURG
Öffnungs­zeiten:
Mo – So: 10.00 – 18.00 Uhr
Feiertage: 11.00 – 17.00 Uhr

Und bitte: man nehme eine Scheibe vom herzhaften Bauernbrot, beschmiere die dick mit hocharo­ma­ti­scher Rohmilch­butter und streue kristal­lines Fleur de Sel darüber – ein Genuß! Als Schöpfer der kommer­ziell insti­tu­tio­na­li­sierten Butter­brot­kultur im deutsch­spra­chigen Raum gilt übrigens Francisek Trzes­niewski, der 1902 unter seinem Namen in der Wiener Innen­stadt eine Imbiß­stube eröffnet hatte. Die Legende lebt, im Stammhaus in der Dorotheer­gasse 1 werden täglich 21 gleicher­maßen köstlich belegte wie ästhe­tisch geschmierte Brotva­ri­anten angeboten (www.trzesniewski.at).

Diese Edelbrote haben zwar nichts mit den selbst­ge­schmierten Butter­broten gemein, jenen spärlich bebut­terten und mit Wurst, Schinken oder Käse belegten Scheiben, die, als Doppel­decker angelegt und in der Mitte vertikal durch­ge­schnitten, lange Jahre die klassische Pausen­nahrung unzäh­liger Schüler­ge­nera­tionen sowie – in Blech­dosen verpackt – von Werktä­tigen waren. („Wenn Du Dein Pausenbrot nicht ißt und wegwirfst, verhungern in Indien Kinder“, drohten Grund­schul­lehrer und sorgten für schlechtes Gewissen“.)

Aber bitte: auch mit Lachs, Curryhuhn, Avoca­do­creme, Wachtelei und dergleichen Delika­tessen graziös dekorierte Schnitten sind erklär­ter­maßen Butter­brote! Daß sich das Butterbrot, auch Bemme, Stulle, Schnitte, Bütterken und Knifte genannt, gegen die inter­na­tio­nalen Attacken von Ciabatta, Sandwich, Tramezzino, belegtem Baguette, Croissant, Bagel, Burger & Kebab, letztlich nicht nur gut gehalten hat, sondern einen Höhenflug erlebt, verdankt es wohl vor allem einem Umstand: Es ist ein Stück schmack­hafte deutsche Identität, die bürger­liche Alter­native zum ameri­ka­ni­schen Fastfood-Wahn und sogar protes­tan­tisch geweiht, seit Martin Luther 1525 in einer Epistel über die „Putter­pomme“ das Butterbrot als Nahrung auch für Kinder rühmte.

Höheren Gourmet-Segen hat es von Alfred Walter­spiel (1883–1961) erhalten, der deutschen Kochle­gende: „Eine Scheibe ofenfri­sches Bauernbrot, mit leicht gesal­zener Butter bestrichen, dazu ein sprit­ziger Riesling und eine Handvoll junger Hasel­nüsse. Etwas besseres gibt es nicht.“ Gegenüber solch kulina­ri­schem Purismus erblaßt das neumo­dische Fitneß­brötchen, das, unero­tisch belegt mit Salat­blatt, Gurken­scheibe, säuer­licher Kräuter­re­moulade und gehackter Peter­silie, auf der neuen Stullen­welle mitsurfen will. Nie altbacken ist der „Stramme Max“, diese deutsche Spezia­lität aus gebut­tertem Brot mit Schinken und Spiegelei – opulent, aber ein ehren­wertes Mitglied der großen Butter­brot­fa­milie. Raffi­nierte Kreationen finden sich im Internet unter dem flehentlich-kämpfe­ri­schen Titel „Rettet das Butterbrot“ (www.butterbrot.de), wo Stullenfans ihre teils surreal angelegten Rezepte preis­geben.

Gerös­tetes Weißbrot mit Gänse­leber und Zucchini
(von Harald Wohlfahrt kompo­niert für vier Stück)
Zutaten:
20g Gänse­leber
8 dünne Scheiben Zucchini (jeweils 3 mm dick)
Olivenöl
4 Scheiben Weißbrot
1 El Bitter­oran­gen­mar­melade
frisch gemah­lener schwarzer Pfeffer

Zubereitung:
1. Je ein Viertel der Gänse­leber zwischen 2 Zucchi­ni­scheiben geben. Die Scheiben mit etwas Olivenöl bestreichen und von beiden Seiten je 3 Minuten grillen.
2. Die Weißbrot­scheiben rösten. Jeweils mit etwas Marmelade bestreichen und je 1 Päckchen Zucchini darauf setzen. Mit Pfeffer übermahlen und sofort servieren.

Hier erfährt man beispiels­weise auch, dass in deutschen Landen seit rund 700 Jahren die Butter aufs Brot geschmiert wird. Aufs Brot kam die Butter übrigens dank neuer Konser­vie­rungs­me­thoden: gesalzene Butter, die Handels­schiffe aus Skandi­navien und den Nieder­landen fassweise in die deutschen Städte brachten, blieb das ganze Jahr über schmackhaft und streichfest. Ein weiterer Grund für den Siegeszug des Butter­brotes war das in der gewerblich tätigen Bevöl­kerung im Spätmit­tel­alter entste­hende Bedürfnis nach Zwischen­mahl­zeiten, da die langen Arbeitstage und die anstren­gende und meist eintönige Arbeit mit nur zwei Haupt­mahl­zeiten kaum durch­zu­stehen waren. Damit stieg die Nachfrage nach sätti­genden Brotspeisen. Das konnten die alten Getrei­de­breie sein, aber zunehmend beliebter wurden die mit Butter bestri­chenen Brotschnitten. Diese Butter­brote konnten leicht mit Käse, Wurst, Schinken, Fisch oder auch – wie ab dem 18.Jahrhundert – mit Marmelade aufge­wertet werden und taugten so als ambulante Imbisse.

Mystisch umwabert war lange die Geschichte vom Butterbrot im freien Fall. Einem Sprichwort zufolge landet es glückhaft auf der Butter­seite. Der britische Physiker Robert Matthews hat das Phänomen wissen­schaftlich unter­sucht und kam zu folgendem Ergebnis: fällt das Butterbrot von einem Tisch, dreht es sich bei dieser Fallhöhe genau um 180 Grad und landet verkehrt herum. Wirft man das Ding hingegen in die Luft, landet es angeblich genauso häufig auf der nackten wie der gebut­terten Seite. Dem Brot wird das ziemlich wurscht sein, denn ob man es puris­tisch anlegt und wirklich nur mit Butter bestreicht, ob man es buttert und schlicht mit Wurst, Schinken, Käse, Ei, Kresse, Speck oder Schnitt­lauch, Knoblauch & Co belegt, süß mit Marmelade und Schokolade oder etwas exaltiert mit Vitello Tonnato, Kaviar und derlei Delika­tessen: So ein Butterbrot ist in jedem Fall ein Triumph der einfachen Gaumen­freude, ein köstliches Stück deutscher Esskultur.

Kafl

 

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