Der Mensch, angetrieben vom Applaus der Gesellschaft, von Profit, Eitelkeit und der Lust an der Herausforderung, ist längst zum Mond geflogen, er zertrümmert die Atome und pfuscht der Natur mit genetischen Basteleien ins Handwerk. Überall stößt man auf übertriebenen Ausdruck, in der Kunst, in der Mode, in der Werbung sowieso, aber auch im Alltag und in der Gastronomie, wo es alberner Brauch ist, den Linseneintopf mit Hummer anzurichten und den Kartoffelsalat mit einem Klacks Kaviar zu servieren, damit der Wirt 50 Euro für die Portion verlangen kann. Die Superlative triumphieren oft über das Einfache, das Übersehene, das Stille, das nicht wahrgenommen wird.
Es ist also Zeit, höchste Zeit für eine Hymne auf das gute alte Butterbrot, zumal so eine Eloge auf den wohl traditionsreichsten Klassiker deutscher Eßkultur bestens in die Zeit paßt, denn am 25. September feiern Bäcker und Liebhaber der klassischen Stulle den Tag des Butterbrots – wie übrigens jeden letzten Freitag im September seit 1999. Erfunden hat den Gedenktag die Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, kurz CMA genannt, mit dem Ziel, Getreidebauern und Bäcker gegen die anhaltende McDonaldisierung (das Butterbrot ist tot, es lebe der Bagel, tönte es aus der Fastfood-Ecke) und die Überflutung mit Pizza, Sandwich, & Co werblich zu wappnen. Nach der Auflösung der CMA führt eine höchst agile Fangemeinde mit Unterstützung von Brot-und-Butter-Firmen den Tag des Butterbrots fort.
Da fügt es sich gut, daß es zurzeit so aussieht, als erlebe das Bemme eine gloriose Renaissance. Zwar türmen sich in den Auslagen der Bäckereien immer noch Schinkencroissants und Pizza-Ecken, flankiert von dünnem Fladenbrot mit Thunfisch. Fragt man in Bahnhöfen nach einem belegten Brot, schauen die Verkäufer am Bäckereistand oft verständnislos. Der Reisende wird in der Regel mit einem öltriefenden Ciabatta oder einem Käse-Gurken-Tomaten-Mayo-Baguette konfrontiert, vielleicht auch mit einem neumodischen Fitnessbrötchen. »Das hat Ballaststoffe und kein Cholesterin«, flötet die Verkäuferin. Aber das voreilig totgesagte Butterbrot lebt, zur kleinen, aber hartnäckigen Fangemeinde gesellen sich zunehmend auch junge Liebhaber einer belegten Bodenständigkeit.
Zumal in städtischem Milieu erblühen Bakerys – wie Aran (www.aran.de), La Maison du Pain (www.lamaisondupain.de), Le Pain Quotidien (www.lepainquotidien.com) sowie Manufactum mit seiner „brot & butter“-Linie – , die sich auf Natursauerbrote mit Aufstrichen spezialisieren.
In Hamburg schmieren Jannis und Mehmet in ihrem kleinen Laden in der Holstenstrasse Vollkorn-Brote und servieren Kaffee und Säfte. Vegetarisch, vegan oder mit Fisch.
Café NOLOSO – „Komm ins Café, wir müssen reden…“
HOLSTENSTRASSE 175, 22765 HAMBURG
Öffnungszeiten:
Mo – So: 10.00 – 18.00 Uhr
Feiertage: 11.00 – 17.00 Uhr
Und bitte: man nehme eine Scheibe vom herzhaften Bauernbrot, beschmiere die dick mit hocharomatischer Rohmilchbutter und streue kristallines Fleur de Sel darüber – ein Genuß! Als Schöpfer der kommerziell institutionalisierten Butterbrotkultur im deutschsprachigen Raum gilt übrigens Francisek Trzesniewski, der 1902 unter seinem Namen in der Wiener Innenstadt eine Imbißstube eröffnet hatte. Die Legende lebt, im Stammhaus in der Dorotheergasse 1 werden täglich 21 gleichermaßen köstlich belegte wie ästhetisch geschmierte Brotvarianten angeboten (www.trzesniewski.at).
Diese Edelbrote haben zwar nichts mit den selbstgeschmierten Butterbroten gemein, jenen spärlich bebutterten und mit Wurst, Schinken oder Käse belegten Scheiben, die, als Doppeldecker angelegt und in der Mitte vertikal durchgeschnitten, lange Jahre die klassische Pausennahrung unzähliger Schülergenerationen sowie – in Blechdosen verpackt – von Werktätigen waren. („Wenn Du Dein Pausenbrot nicht ißt und wegwirfst, verhungern in Indien Kinder“, drohten Grundschullehrer und sorgten für schlechtes Gewissen“.)
Aber bitte: auch mit Lachs, Curryhuhn, Avocadocreme, Wachtelei und dergleichen Delikatessen graziös dekorierte Schnitten sind erklärtermaßen Butterbrote! Daß sich das Butterbrot, auch Bemme, Stulle, Schnitte, Bütterken und Knifte genannt, gegen die internationalen Attacken von Ciabatta, Sandwich, Tramezzino, belegtem Baguette, Croissant, Bagel, Burger & Kebab, letztlich nicht nur gut gehalten hat, sondern einen Höhenflug erlebt, verdankt es wohl vor allem einem Umstand: Es ist ein Stück schmackhafte deutsche Identität, die bürgerliche Alternative zum amerikanischen Fastfood-Wahn und sogar protestantisch geweiht, seit Martin Luther 1525 in einer Epistel über die „Putterpomme“ das Butterbrot als Nahrung auch für Kinder rühmte.
Höheren Gourmet-Segen hat es von Alfred Walterspiel (1883–1961) erhalten, der deutschen Kochlegende: „Eine Scheibe ofenfrisches Bauernbrot, mit leicht gesalzener Butter bestrichen, dazu ein spritziger Riesling und eine Handvoll junger Haselnüsse. Etwas besseres gibt es nicht.“ Gegenüber solch kulinarischem Purismus erblaßt das neumodische Fitneßbrötchen, das, unerotisch belegt mit Salatblatt, Gurkenscheibe, säuerlicher Kräuterremoulade und gehackter Petersilie, auf der neuen Stullenwelle mitsurfen will. Nie altbacken ist der „Stramme Max“, diese deutsche Spezialität aus gebuttertem Brot mit Schinken und Spiegelei – opulent, aber ein ehrenwertes Mitglied der großen Butterbrotfamilie. Raffinierte Kreationen finden sich im Internet unter dem flehentlich-kämpferischen Titel „Rettet das Butterbrot“ (www.butterbrot.de), wo Stullenfans ihre teils surreal angelegten Rezepte preisgeben.
Geröstetes Weißbrot mit Gänseleber und Zucchini
(von Harald Wohlfahrt komponiert für vier Stück)
Zutaten:
20g Gänseleber
8 dünne Scheiben Zucchini (jeweils 3 mm dick)
Olivenöl
4 Scheiben Weißbrot
1 El Bitterorangenmarmelade
frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
Zubereitung:
1. Je ein Viertel der Gänseleber zwischen 2 Zucchinischeiben geben. Die Scheiben mit etwas Olivenöl bestreichen und von beiden Seiten je 3 Minuten grillen.
2. Die Weißbrotscheiben rösten. Jeweils mit etwas Marmelade bestreichen und je 1 Päckchen Zucchini darauf setzen. Mit Pfeffer übermahlen und sofort servieren.
Hier erfährt man beispielsweise auch, dass in deutschen Landen seit rund 700 Jahren die Butter aufs Brot geschmiert wird. Aufs Brot kam die Butter übrigens dank neuer Konservierungsmethoden: gesalzene Butter, die Handelsschiffe aus Skandinavien und den Niederlanden fassweise in die deutschen Städte brachten, blieb das ganze Jahr über schmackhaft und streichfest. Ein weiterer Grund für den Siegeszug des Butterbrotes war das in der gewerblich tätigen Bevölkerung im Spätmittelalter entstehende Bedürfnis nach Zwischenmahlzeiten, da die langen Arbeitstage und die anstrengende und meist eintönige Arbeit mit nur zwei Hauptmahlzeiten kaum durchzustehen waren. Damit stieg die Nachfrage nach sättigenden Brotspeisen. Das konnten die alten Getreidebreie sein, aber zunehmend beliebter wurden die mit Butter bestrichenen Brotschnitten. Diese Butterbrote konnten leicht mit Käse, Wurst, Schinken, Fisch oder auch – wie ab dem 18.Jahrhundert – mit Marmelade aufgewertet werden und taugten so als ambulante Imbisse.
Mystisch umwabert war lange die Geschichte vom Butterbrot im freien Fall. Einem Sprichwort zufolge landet es glückhaft auf der Butterseite. Der britische Physiker Robert Matthews hat das Phänomen wissenschaftlich untersucht und kam zu folgendem Ergebnis: fällt das Butterbrot von einem Tisch, dreht es sich bei dieser Fallhöhe genau um 180 Grad und landet verkehrt herum. Wirft man das Ding hingegen in die Luft, landet es angeblich genauso häufig auf der nackten wie der gebutterten Seite. Dem Brot wird das ziemlich wurscht sein, denn ob man es puristisch anlegt und wirklich nur mit Butter bestreicht, ob man es buttert und schlicht mit Wurst, Schinken, Käse, Ei, Kresse, Speck oder Schnittlauch, Knoblauch & Co belegt, süß mit Marmelade und Schokolade oder etwas exaltiert mit Vitello Tonnato, Kaviar und derlei Delikatessen: So ein Butterbrot ist in jedem Fall ein Triumph der einfachen Gaumenfreude, ein köstliches Stück deutscher Esskultur.
Kafl