Jede Zeit hat ihre Moden. Noch vor fünfzehn Jahren, als die „beautiful people“ in den einschlägigen Szenelokalen tropische Longdrinks und ähnlichen Trinkfummel, reich an Farben und Zucker, doch arm an Persönlichkeit, bevorzugten, standen Bowlen im gesellschaftlichen Out. Sie waren ungefähr so zeitgeistig wie Saurier. Aber wie das halt so ist im Leben: Die wirklich guten Dinge überdauern alle modischen Berg- und Talfahrten. Und so erleben wir die gloriose Wiederkehr der Bowlen. Zumal die Sommerbowle ist von einem bestrickenden Charme und dem Reiz der ewigen Jugend umgeben.
Ihrem Charakter nach sind gute Bowlen eigentlich Cocktails, nur halt in einem etwas größeren Gefäß.
Ihren Ursprung hat die Bowle wohl in jenen Zeiten, als man Wein – wie schon in der Antike – mit Kräutern, Honig, Gewürzen, Blüten und Früchten anreicherte beziehungsweise aufwertete, weil purer Alkohol verpönt war, doch andererseits Wein damals oft nur ein kleiner Säuerling war, dem mehr Geschmack hinzugefügt werden mußte. Diese ersten Bowlen sind in Amphoren aufgetischt worden, die Umsiedlung in die Glasschale erfolgte in der Renaissance. Im 18. Jahrhundert gehörte es zum guten Ton, seine Gäste mit einer Bowle zu bewirten; damals bekam das Mixgetränk auch seinen Namen, angelehnt an das englische „Bowl“ für Napf oder Schüssel. Das erste dokumentierte Bowlenrezept findet sich in einer Schrift von 1417, einzusehen in der Klosterbibliothek zu Fulda. Darin wird ein Getränk aus Wein, Rosenblüten, Fichtennadeln und Honig beschrieben, serviert in einem Bowle-ähnlichen Gefäß.
Von Haus aus sind Bowlen eine klare Sache. Zucker hat eigentlich nichts in ihnen verloren, es sei denn, man nimmt sehr herben Wein oder hat ein starkes Bedürfnis nach Lieblichkeit. Aber bitte, gut und schön ist, was gefällt. Auch die Zugabe von Cognac, Rum, Arrak oder Likören, wie in manchen Rezepturen empfohlen, ist Geschmackssache.
Alkohol vermag der Bowle etwas „Feuer“ zu geben, macht sie aber auch schwerer und härter. Schaumweine vermitteln der Bowle eine heitere Spritzigkeit, hingegen sollte mit Mineralwasser sowie Eiswürfeln sehr diskret umgegangen werden. Wasser zum Wein ist eine vernünftige Kombination, Wasser im Wein hingegen überflüssig. Die Bowle soll Wein bleiben!
Klassische Sommerbowlen werden mit Früchten der Saison zubereitet, also in der Regel mit Erdbeeren, Himbeeren, Pfirsich, Johannisbeeren, Sauerkirschen und so weiter. Man kann Bowlen mit Melonen inszenieren, mit Rosen, Ananas, Gurken, Kiwi, Veilchen, Holunder und sogar mit Sellerie. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt, ausgenommen jene des guten Geschmacks.
Köstlich schmeckt und zudem schön anzuschauen ist eine Himbeer-Rosenblüten-Bowle: Ein halbes Kilo Himbeeren mit der Blüte einer großen, ungespritzten Duftrose und drei Eßlöffel Zucker vermengen, eine halbe Flasche Rosé-Wein darüber gießen, gut eine Stunde ziehen lassen und schließlich vollenden mit der zweiten Weinhälfte sowie einer Flasche weißem Sekt oder Champagner.
»Kalte Ente«, der deutsche Klassiker hieß ursprünglich »Kaltes Ende«
Ein Kapitel für sich ist die gute alte „Kalte Ente“, der deutsche Klassiker schlechthin: Die Schale von zwei ungespritzten Zitronen spiralenförmig schälen, in ein Bowlengefäß hängen, mit drei gekühlten Flaschen Weißwein der spritzig-fruchtigen Art – wie beispielsweise einem „Möselchen“ – auffüllen und etwa zwei Stunden lang an kaltem Ort zugedeckt ziehen lassen. Dann mit zwei Flaschen bestem Sekt oder Champagner aufgießen und die Zitronenschalen herausnehmen. Variieren läßt sich dieser Klassiker durch die Zugabe von einigen mit Zitrone beträufelten Stückchen Würfelzucker, eventuell auch durch ein paar Tröpfchen Angostura. Ursprünglich hieß diese Bowle übrigens „Kaltes Ende“ und war die Spezialität des Generals von Pape als sommerliches kühles Finale nach einem Essen.
Wie man die Bowle nun im Detail anlegt, ist individuelle Geschmackssache, unabänderlich sind hingegen einige Grundregeln:
- Verwende nur frische und reife Früchte mit dichtem Aroma. Unreife, gar verdorbene wie angefaulte Früchte verhunzen jedes Getränk.
- Je besser die Weine, desto feiner die Bowle. Töricht ist die Annahme, für die Bowle tauge auch minderwertiger Wein. Das ergibt naturgemäß eine minderwertige Bowle. Ideal sind herbfruchtige Rieslingweine wie solche von der Mosel, dem Rheingau, der Nahe, aus Rheinhessen und Sachsen. Will man die Bowle kräftiger, dann werden vollmundigere Gewächse aus der Pfalz, dem Badischen und speziell der Wachau in Frage kommen. Für eine Rotweinbowle eignet sich besonders gut Spätburgunder (Ahr, Rheingau, Baden, Burgenland).
- Wein und gegebenenfalls Sekt oder Champagner stets gut gekühlt verwenden. Den Schaumwein erst kurz vor dem Servieren dazu gießen. Niemals Eiswürfel in die Bowle geben, das stört die Reinheit.
- Laß’ Dir von guten Freunden bei der Zubereitung nicht dreinreden. Bowlen sind wohl einfach zu machen und doch eine Charaktersache.
Erdbeerbowle
Für eine Erdbeerbowle nimmt man cirka ein Pfund Früchte auf drei Flaschen Wein. Die Erdbeeren sollen, angegossen mit etwas Wein und leicht gezuckert, eine halbe Stunde ziehen, bevor der restliche Wein dazugegeben und schließlich mit ein bis zwei Bouteillen brutigem Schaumwein aufgefüllt wird. Für notorische Liebhaber von Rotwein eignen sich Erdbeeren vorzüglich für eine Rotweinbowle. Bei der Himbeerbowle empfiehlt es sich, die Früchte zu pürieren und das Ganze außerdem mit einem Schuß Himbeerlikör anzureichern. Die Pfirsischbowle wiederum gewinnt an Esprit durch die Zugabe von einigen Blättern Gartenminze. Generell ist anzumerken, daß die Bowle an Aroma zulegt, wenn man die Früchte, ob ganz gelassen, angequetscht oder fein gemust, bei Zimmertemperatur mit kleiner Weinmenge ziehen läßt, bevor mit gut gekühltem Wein vollendet wird.
Rosenbowle
Blumig und ein wenig verspielt, dies jedoch auf grazile Weise, ist die Rosenbowle. Dafür werden an die zehn bis zwanzig voll erblühte und herrlich duftende Köpfe entblättert, mit ein bißchen Weißwein – ideal: Traminer, gefolgt von Riesling oder Weißburgunder – nebst einer halben Stange Zimt sowie ein wenig Muskatblüte und einer Zitronenspirale angesetzt, ziehen gelassen und danach mit zwei Flaschen vom gleichen Wein plus einer Flasche Champagner aufgefüllt. Sehr apart ist es, die Bowle mit einer Rose zu dekorieren. Die Brombeerbowle: Ein Kilo Früchte mit Sambuca-Likör angießen und zugedeckt wenigstens 24 Stunden ziehen lassen. Dann ein bis zwei Flaschen eisgekühlten Rosé darüber gießen, im Kühlschrank oder Keller kurz durchziehen lassen und vor dem Genießen mit Sekt oder Champagner vervollkommnen, egal ob der weiß oder rosafarben ist.
Karl‑F.Lietz