Frühling

14.03.2025
Karl-F. Lietz

Lesedauer: 4 Minuten

Eine kleine Hommage an die grüne Magie der Natur und wie Jahrhun­dertkoch Eckhart Witzigmann zu Bärlauch fand.

Er kommt leise, auf Zehen­spitzen und meist über Nacht. Noch nie ist es einem Menschen gelungen, ihn zu ertappen. Auf einmal ist er da, man riecht ihn und fühlt ihn: IHN, den Frühling, den herzlich willkom­menen Erneuerer des Jahres und der Sinne. Die Erdkruste beginnt sich zu erwärmen und die Gefühle dehnen sich. Die Körper­chemie verändert sich mit der Folge, dass die schwere Braten­pfanne weggelegt wird und die Lust auf heitere, ja frivole Weißweine die auf kapitale Rote zumindest zeitweilig überwiegt.

Der Mensch geht, wie von einem geheim­nis­vollen Trieb bewegt, auf den Markt, in den Garten oder in die Natur, wo zartwürzige Kräuter, sich skurill sprei­zender Löwenzahn, Bärlauch und junger Knoblauch ahnungsvoll nach der neuen Saison duften. Man muss kein dickes Kräuter­le­xikon studiert haben, um zu wissen, dass die grünende Natur eine große Apotheke ist und der wunder­barste Selbst­be­die­nungs­markt für gesund­heits­be­wusste Feinschmecker. Ein paar Grund­kennt­nisse, ein offenes Auge und ein Taschen­messer genügen, um im Frühling und Sommer bei Spazier­gängen über Wiesen und durch Wälder essbare Wildpflanzen zu ernten. Gesät hat der liebe Gott: Brenn­nessel, Bärlauch, Löwenzahn, Gänse­blümchen, Brunnen­kresse, Sauer­ampfer, Wiesen­kerbel, Spitz­we­gerich &Co.

Bärlauch

Allein schon der Bärlauch verdient eine Hymne. An ihm, dem vor wenigen Jahren noch Vernach­läs­sigten, kommt heute kein Koch mehr vorbei; auf den Märkten wird er bündel­weise gepriesen wie das Wunder­kraut schlechthin. Was ist das Geheimnis dieser Karriere? Im Gegensatz zu Zitro­nengras und anderen asiati­schen Würzmitteln, die ebenfalls seit Jahren küchen­po­li­tisch populär sind, aber nach den ersten modischen Erfolgs­wellen in der Gunst des Publikums langsam an Reiz einbüßen, wird dem Bärlauch jedes Jahr aufs Neue mit Pomp gehuldigt. Von der Creme­suppe bis zum Sorbet – in diesen Wochen gibt es kein Entrinnen, der Bärlauch ist schon da!

Bärlauchöl

Man nehme sechs Hände voll Bärlauch­blätter, eventuell ergänzt um einige Bärlauch­zwiebeln, schneide alles in grobe Stücke, schichte es in ein großes Glas, fülle großzügig mit etwa einem Liter Olivenöl auf, verschließe das Gefäß und laß es an kühlem und dunklem Ort stehen; nach persön­lichem Geschmacks­emp­finden kann man etwas klein gezupften Rosmarin oder Oregano hinzu fügen. Nach ungefähr einem Monat ist das Bärlauch-Aroma ins Öl überge­gangen. Nun kann man es – inklusive der Kräuter oder abgeseiht – in dunkle Flaschen umfüllen. Es eignet sich ideal zum Aroma­ti­sieren von Marinaden, Saucen und Suppen.

Dank des milden Winters ist das Kraut mit dem zwar deutlich wahrnehm­baren, doch insgesamt doch eher diskreten Knoblauch-Aroma schon früh zu haben. Der Bärlauch ist tatsächlich ziemlich universal einsetzbar. Bärlauch gefällt als Suppe, macht Salate und Aufläufe pikanter. Er schmeckt auch herrlich pur, grob gehackt und großmütig aufs Butterbrot drapiert oder, angerei­chert mit Sahne, als Suppe.

Bärlauch-Pesto ist schnell selbst gemacht

Reizvoll gibt er sich als Pesto und als Aufstrich. Letzteres wird so herge­stellt: 100 Gramm Butter schaumig streichen und mit 400 Gramm Quark glatt rühren, dann 200 Gramm fein geschnit­tenen Bärlauch behutsam darin verrühren, mit Salz, Pfeffer und Zitro­nensaft abschmecken. Das Ganze dann der Optik wegen mit gehacktem Bärlauch bestreuen und aufs Schwarzbrot streichen.

 

Heinz Winkler liebte Bärlauch zu Lamm

 

Heinz Winkler, der große Koch aus Aschau („Ich liebe Bärlauch“), verwendete zu Lebzeiten den klassi­schen Frühlings­blüher, kurz in Butter geschwenkt, als Beilage zu Lammbraten.

Und Eckart Witzigmann, der Grand­sei­gneur der Gastro-Kultur und 1979 als erster Koch in Deutschland mit den drei Sternen vom „Micheln“ geadelt, erzählt gerne die Geschichte, wie er zufällig zum Bärlauch fand. Er spazierte mit Henri Levy, seinem Berliner Kollegen, durch den Engli­schen Garten in München, als sein Hund sich plötzlich merkwürdig verhielt, bellte und aufgeregt an Blättern schnup­perte, die Maiglöck­chengrün glichen.

Komisch, es roch nach Knoblauch, was mochte das sein? Levy nahm einige Blätter nach Berlin mit, ließ sie im Botani­schen Institut unter­suchen und meldete seinem Freund, es sei Bärlauch. Bärlauch? Witzigmann: „Sofort wälzte ich alte Kochbücher und begann, mit dieser in Verges­senheit geratenen Pflanze zu experi­men­tieren.“

Das war vor 40 Jahren, heute wird Bärlauch in der trendigen Regio­nal­küche so selbst­ver­ständlich genutzt wie Schnitt­lauch oder eben Knoblauch, sein olfak­to­ri­scher Verwandter. Die Germanen rühmten den Bärlauch als Kraut, das die Macht des Winters bricht. Einer Legende zufolge war das „Lauch des Bären“ sogar die erste Pflanze, mit der sich die namen­ge­benden Tiere nach dem Winter­schlaf gestärkt haben sollen. Genau wie seine botani­schen Verwandten kann Bärlauch als Gemüse‑, Gewürz- und Heilpflanze genutzt werden. In der Volks­me­dizin nutzt man Bärlauch als Heilpflanze gegen Magen- und Darmbe­schwerden, er soll den Blutdruck senken und vorbeugend gegen Herzin­farkt wirken. Sein hoher Gehalt an schwe­fel­hal­tigen Verbin­dungen macht ihn ähnlich wirksam wie Knoblauch, ohne dass er proble­ma­ti­schen Atem verur­sacht. Das Kraut ist reich an Vitamin C, an Eisen, Magnesium und Mangan. Wer sich selber auf die Frühlings­pirsch begibt, um wilden Bärlauch zu pflücken, sollte aller­dings auf der Hut sein, denn es gibt zwei todes­ge­fähr­liche Verwechs­lungs­kan­di­daten: das Maiglöckchen sowie die Herbst­zeitlose.

Gänse­blümchen, Löwenzahn & Co.

Gänse­blümchen schmücken und würzen Kartof­fel­suppen. Der Löwenzahn mit dem edelbit­teren Aroma macht sich auch gut mit lauwarm angerich­teten Kartof­fel­salat, dem ein Schuß Rindsup­pen­essenz die rechte Würze verleiht. Die jungen, zarten Blätter des Sauer­ampfers berei­chern Salate, Suppen, Saucen. Kleine Brennessel sind delikat als Gemüse (wie Spinat), vermitteln aber auch, klein gehackt, Suppen und Salaten ihr spezi­elles Aroma. Brunnen­kresse: prickelnde Würze zu Salaten, für Quark, Kartoffeln, hellen Saucen – obendrein sehr gesund, weil reich an Vitaminen, Eisen, Jod. Außerdem soll dieses gesam­melte Grün, wie es in einem Kräuterbuch aus dem 16. Jahrhundert verhei­ßungsvoll heißt, selbst notorische Zecher am Morgen danach „munter und wacker“ machen. Wie schön! Das ist die Magie des Grünen und der Blüten, die uns jedes Jahr aufs Neue erfasst. Die Winter­schlacke löst sich, die Seele öffnet sich und aus der Küche künden 1001 Aromen vom Frühling, dem großen Charmeur.

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