18.05.2023
Sanjin

Lesedauer: 3 Minuten

Sep./Okt. 2020

Rubus idaeus – was wie der Titel eines litur­gi­schen Sprech­ge­sangs klingt, das ist der wissen­schaft­liche Begriff für eine der köstlichsten Früchte: die Himbeere.

Vermutlich geht der Name auf den griechi­schen Arzt Krateuas zurück, der um 100 v. Chr. lebte und die Beere mit dem kreti­schen Berg „Ida“ verband, der zudem als Geburtsort von Zeus gilt, dem weisesten und mächtigsten aller Götter. Einer anderen, eher weltlichen These zufolge soll sich der Name vom türki­schen Gebirgszug „Ida“ ableiten, der ebenfalls mit den Göttern eng verknüpft ist – hier hat Hera den Zeus verführt – und an dessen Hängen bereits in antiker Zeit die zu den Rosen­ge­wächsen (Rubus) gehörenden Himbeeren geerntet worden sind. Das deutsche Himbeere entstammt dem althoch­deut­schen Hintperi und heißt so viel wie „Beere der Hirschkuh“; die Tiere haben sich angeblich am liebsten in Himbeer­sträu­chern versteckt.

Ein göttliches Aroma

Jeden­falls haben Himbeeren, genauer: Waldhim­beeren, das göttlichste Aroma aller Früchte. Diese kleinen roten Beeren sind in ihrer Ästhetik und dem herrlich dichten Aroma von makel­loser Harmonie. Erst wird das Auge entzückt, danach der Gaumen. Ob sie roh genascht wird, ob püriert als Fruchtmark verwendet, ob zu Sirup, Gelee, Kompott oder Marmelade verar­beitet, ob sie die Rote Grütze adelt, einem Champagner-Cocktail den entschei­denden Geschmack verleiht, Saucen sowie Salate zum Erblühen bringt oder in gebrannter Form als Waldhim­beer­schnaps den Geist beflügelt: die Beere ist kulina­risch omnipotent – und gesund obendrein, denn sie enthält reichlich Vitamine sowie Mineralien und sogenannte Antioxi­dantien, weshalb sie früher von den Mönchen vor allem wegen ihrer Heilkraft angebaut worden ist.

Den Feinschmecker erfreut die Botschaft, dass Himbeeren gut fürs Herz sind und Entzün­dungen hemmen, dass die hübschen Kerne die Verdauung anregen, zudem für schönes Haar, feste Nägel und glatte Haut sorgen. Gesund und wohlschme­ckend ist eine ideale Kombi­nation.

Umso inniger wird er sich seinen eigenen Himbeer­essig brauen:

300 g unver­letzte Himbeeren mit einem Liter feinsten Weißwein- oder Rotwein­essig in ein Gefäß füllen, gut verschließen, zwei Wochen lang an einem warmen Ort stehen lassen, des öfteren gut durch­schütteln. Danach die Flüssigkeit durch ein engma­schiges Sieb oder ein Leinentuch filtern und aufkochen – nach Gusto angerei­chert mit Ingwer oder Rosmarin, Minze sowie etwas Zucker oder Honig. Den solcherart parfü­mierten Essig abkühlen lassen, erneut über die Beeren gießen, in Flaschen füllen und kühl lagern (alter­nativ die Beeren mitsamt dem Essig behutsam durch ein Haarsieb streichen).

So ein Himbeer­essig, den es freilich auch fertig zu kaufen gibt, schmeckt tropfen­weise pur über Fleisch­pas­teten geträufelt oder als Ingre­dienz für eine Sauce zu Gemüse, Kalbs­leber, Nieren, Enten­braten und Wildge­richten. Delikat ist eine „Blanc Manger“, eine Mandelsulz auf einer mit Kirschen verfei­nerten Himbeer­sauce. Pürierte, durch ein Sieb gestri­chene und mit etwas Himbeer­geist (4 cl) angerei­cherte Himbeeren (500 g) sind, gekühlt und mit Champagner oder bestem Sekt aufge­füllt, ein herrlicher Aperitif für zwölf Personen. Apropos: der klassische Kir Royal (Crème de Cassis aufge­füllt mit Champagner) gewinnt ungemein an Finesse und auch Charakter, wenn man die Gläser zuvor großzügig mit Himbeer­schnaps ausschwenkt.

Neben den Sommer­him­beeren gibt es übrigens die bis in den Oktober hinein tragenden Herbst­him­beeren. Die Früchte eignen sich besonders gut zum Backen, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Beeren selbst im Ofen ihr feines Aroma nicht verlieren. Außerdem lassen sie sich gut einfrieren, so daß die einge­fangene Sonnensüße auch im Winter verfügbar ist.

Ein weltbe­rühmtes Dessert

Und daraus läßt sich beispiels­weise ein weltbe­rühmtes Dessert zaubern, die Pfirsich Melba, korrekt „Pêche Melba“ genannt: Die Welt lag der austra­li­schen Sängerin Nellie Melba (eigentlich Dame Helen Porter Mitchell, 1861–1931) zu Füßen und so war es nur eine Frage der Zeit, bis ihr Auguste Escoffier, der größte Koch seiner Zeit (1846–1935), 1892 im Londoner Hotel Savoy, wo die Diva nach ihren Auftritten in Covent Garden residierte, ein Gericht kompo­nierte: Zwei zarte weiße Pfirsiche werden in Zucker­sirup mitsamt einer halben Vanil­le­stange und etwas Zitro­nensaft kurz blanchiert (so lange, bis die Spitze einer feinen Fleisch­gabel ohne Wider­stand bis zum Stein durch­dringt), danach geschält, halbiert, leicht gezuckert, auf Vanille-Eis gesetzt und mit Waldhim­beermark übergossen. Escoffier hatte die Speise mit einem Schleier aus gespon­nenem Zucker bedeckt und in Silber­be­chern angerichtet, die zwischen den Flügeln eines aus Eis geschla­genen Schwans standen. Der Schwan war keine Laune des Kochs, sondern Symbol, denn Nellie Melba kam von der Premiere der Wagner-Oper Lohengrin…

kafl

Ähnliche Beiträge

Histo­rische Desserts: Melba, Suzette & Co
Histo­rische Desserts: Melba, Suzette & Co
Die süßesten Gedanken kommen einem bei Desserts mit Vergangenheit.
WARUM WIR SAVOIR VIVRE MACHEN
WARUM WIR SAVOIR VIVRE MACHEN
Wie Edelpilze schießen Luxusshops mit Premiumangeboten aus dem Boden und ...
Abonnement – 6 Ausgaben EUR 48,-
Wenn Sie SAVOIR-VIVRE regelmäßig lesen möchten, empfehlen wir ein ...
SAVOIR-VIVRE Gewinn­spiel
SAVOIR-VIVRE Gewinn­spiel
Antwortcoupon : Bitte setzen Sie das Lösungswort oder die Aktionskennung, ...