Irlands Destil­lerien auf neuen Wegen

21.12.2023
Christian Ruemmelein

Lesedauer: 12 Minuten

Jan. / Feb. 2018

Die jahrhun­der­tealte Tradition kleinerer Destil­lerien – vor 200 Jahren waren es noch Tausende, meist illegale – war nach der Prohi­bition und Weltwirt­schafts­krise im Haupt-Export­markt USA Opfer der Konso­li­dierung geworden. Fortan bestimmten einige wenige Brenne­reien den Markt, und in den letzten Jahrzehnten hatten die irischen Destillate den trendigen schot­ti­schen Malts außer seinem milden Charakter wenig Origi­na­lität entge­gen­zu­setzen. Doch nachdem in den letzten 15 Jahren in Schottland zahlreiche Brenne­reien neu oder wieder eröffnet wurden, verbreitet sich auch in Irland eine Aufbruch­stimmung, die immer weiter und schneller voran­schreitet. 

Die inter­na­tionale Nachfrage macht irischen Whiskey nun plötzlich zum Gewinner des weltweiten Spiri­tuo­sen­marktes. Kein Wunder also, dass überall neue Brenne­reien aus dem Boden zu schießen scheinen.

Doch ganz so schnell destil­lieren auch die Iren nicht, obwohl die kreativen Ideen überall gedeihen. Das Interesse am Whiskey von der Grünen Insel ist vielmehr so universell, dass die vielen Nachrichten über neue Brenne­reien, Marken und Produkte den Eindruck erwecken, als würde überall bereits destil­liert und verkauft. Das Internet ist hier mit seinen Blogs und Foren oft vorschnell, und Missver­ständ­nisse sind die Folge. Zwar darf irischer Whiskey nach dem Gesetz „drei Jahre und einen Tag“ nach der Einla­gerung im Fass auf den Markt gebracht werden. Fast alle neuen Brenne­reien haben aber gerade erst angefangen, und so stammen die derzeit verkauften Produkte im Markt gar nicht aus den Brenn­blasen der neuen Anlagen, sondern sind Vertrags­de­stillate aus den großen etablierten Unter­nehmen, die nach Vorgabe der neuen Kollegen destil­lieren und fasslagern. Einige neue Destil­lerien, die noch nicht einmal die Pot Stills für den Whiskey instal­liert haben, verkaufen bereits Produkte, die für diese Marke von anderen Brenne­reien herge­stellt werden. Das schafft Verwirrung im Markt, ist jedoch schlicht und einfach der Dynamik geschuldet, die auf der Grünen Insel herrscht. Per Herbst 2017 produ­zieren 16 Destil­lerien und weitere 13 sind in Planung! Und damit nicht genug: Sie alle versuchen, sich möglichst deutlich von den anderen zu unter­scheiden. Tradi­tio­neller Irish Whiskey, Single Pot Still, Single Malt, Single Grain, Gin oder Poitin – Zeit für eine Einordnung der irischen Whiskeys vor dem Hinter­grund einer sehr spannenden Geschichte!

Poitin, Whiskey und Co – Teil der irischen Geschichte

Bei der Diskussion, ob die Schotten oder die Iren den ersten Whisk(e)y brannten, haben die Iren die Nase seit jeher vorn, auch wenn es wenige Belege gibt. Sie nutzen jedoch einen Marken-Vorteil, der wahrscheinlich aus der Bewahrung der gälischen Sprache herstammt, die sich in Irland umfas­sender halten konnte als in Großbri­tannien. Das Gälische (auf der Insel sagt man „Irish“) ist offizielle und besonders in den als „Gaeltacht“ bezeich­neten Gebieten erste Landes­sprache. Seit 2007 ist Gälisch auch in der EU Amtssprache. Vor diesem Hinter­grund ist es nicht verwun­derlich, dass sich ein Name erhalten hat, der synonym für Schwarz­brand steht, in Irland lange berüchtigt war und nun legendär ist: „Poitin“ – der kleine Topf der Schwarz­brenner, in dem illegal und extrem hochpro­zentig gebrannt wurde. 

Die Geschichte des Destil­lierens in Irland geht zurück auf Mönche, die das Verfahren aus dem Nahen Osten mitbrachten oder überliefert bekamen. Mit der Zeit wurde mit den verschie­densten Zutaten experi­men­tiert, vor allem mit Getreide und Obst, später mit Kartoffeln und Zucker­rüben. Während der Herrschaft der Engländer wurde im Jahr 1643 das Destil­lieren besteuert, was die meisten Brenne­reien in die Illega­lität trieb. Das Brennen von Poitin florierte vor allem im Verbor­genen, und die Spiri­tuose wurde ein Teil der irischen Folklore. Wegen der unzäh­ligen Schwarz­brenner und der schwie­rigen Besteuerung wurde Poitin im Jahr 1661 offiziell verboten (was das Schwarz­brennen noch beför­derte) und erst 1997 wieder zugelassen. 

Das Poitin-Brennen war eine gefähr­liche Angele­genheit und viele der Laien­brenner fielen der Leiden­schaft zum Opfer, denn es wurde oft zu hochpro­zentig konsu­miert und beim Destil­lieren häufig mehr als nur der hochwertige „Middle Cut“ behalten, auch die schäd­lichen Bestand­teile (Head & Tail) kamen in Krüge und Flaschen. 

Es gibt in Irland heute noch die Sitte, Verstorbene mehrere Tage in deren Haus aufzu­bahren, damit Freunde und Verwandte Abschied nehmen können. Diese Tradition iegt histo­risch unter anderem in dem Phänomen begründet, dass immer wieder Totge­glaubte noch nach Tagen plötzlich erwachten. Sie erlitten Poitin-Vergif­tungen, die zu einem Koma mit extrem schwachem Atem und Puls führten, bis das Gift aus dem Körper entwichen war. Im 2014 eröff­neten Irish Whiskey Museum im Herzen Dublins ist daher auch ein Sarg in einem nachge­bil­deten Raum eines Verstor­benen zu sehen …

Auf dem Weg zum typisch irischen Whiskey

Auf dem Weg vom Poitin zum Whiskey – der Unter­schied liegt im Wesent­lichen in der besseren Qualität des Destillats und der Fassreife – wurde die Nutzung gemälzter Gerste ähnlich wie in Schottland zur Regel und später zum Gesetz. Legale Brenne­reien konnten in größeren Pot Stills effek­tiver destil­lieren. Die Pioniere dieser ersten großen kommer­zi­ellen Anbieter waren John Jameson, James Power und George Roe.

Im 18. Jahrhundert wurde dann die sogenannte „Malt Tax“ einge­führt, die gemälzte Gerste besteuert. In ihrer Not fanden die irischen Brenner heraus, dass die Whiskey-Herstellung auch mit bis zu 50 % ungemälzter Gerste funktio­niert, was durch dreifaches Destil­lieren begünstigt wurde. Dieser „Pure Pot Still Whiskey“ ist noch heute der Inbegriff irischen Whiskeys! Ausnahmen bilden die zweifach destil­lierten Bushmills und die zu Cooley gehörende Marke „Connemara“. Dieser ist der erste und (noch) einzige getorfte Whiskey Irlands, der im Lande aller­dings wenig populär ist. Neben dem „Pure Pot Still“ haben in der jüngeren Geschichte zunächst die Single Malts nach schot­ti­schem Vorbild Einzug in das Portfolio der irischen Destil­lerien gehalten. Daneben wird Single Grain Whiskey produ­ziert, meist aus Mais, und konse­quen­ter­weise dann auch oft ein Blend. Da ein irischer Whiskey mindestens 3 Jahre im Holzfass (Eiche ist nicht vorge­schrieben) lagern muss – und meist auch länger sollte, – haben viele neue Start-ups ähnlich wie in Schottland den Gin als schnelle Geldquelle entdeckt, der häufig in den effek­ti­veren Column Stills gebrannt wird und danach gleich abgefüllt und verkauft werden kann.

Dabei hat man ja den Poitin – nun hochwertig gebrannt – als Alter­native mit natio­naler Tradition und bräuchte den Gin eigentlich nicht, wäre da nicht der Boom dieses Getränkes, dem man sich schwer entziehen kann. Für den modernen Poitin werden meist Getreide, Zucker­rüben und Kartoffeln verwendet. Als Gersten­brand ist er aber technisch gesehen nichts anderes als ein „New Make Spirit“ der Whiskey-Destil­lation. 

Die neue irische Whiskey-Landschaft

Ähnlich wie in Schottland ist auch in Irland hinter den Kulissen der Destil­lerien und Marken­namen eine dynamische Entwicklung von Übernahmen und Neugrün­dungen im Gange, jedoch komplet­tiert durch Vertrags­brände, die bei den Neugrün­dungen die Zeit bis zur Markt­reife der eigenen Destillate überbrücken sollen. 

Nachdem bereits im Juli 2014 die bekannte Marke „Tullamore Dew“durch die neuen Besitzer W. Grant & Sons mit einer neuen Destil­lerie in den Ort Tullamore zurück­geholt wurde, kamen Ende des gleichen Jahres einige neue Projekte hinzu und verdop­pelten so die Anzahl der Brenne­reien. 

In Dublin begannen Stephen und Jack Teeling 2014 mit dem Bau einer Destil­lerie, nachdem die Familie die Firma Cooley an Jim Beam verkauft hatte. Bereits 1782 hatte ein Vorfahr eine Destil­lerie in den „Liberties“ von Dublin gegründet, weshalb sich der Phoenix als Wappentier der Brennerei anbot. 

In der Grafschaft Carlow wurde 2016 die Walsh Distillery gegründet, in Nordirland die Echlin­ville Distillery und im Südwesten die kleine Destil­lerie von Dingle sowie die West Cork Distillers. Und das war nur der Start­schuss für weitere ambitio­nierte Projekte, von denen ich hier einige näher vorstellen möchte.

The Liberties – Dublins alter Brennerei-Bezirk erwacht zu neuem Leben 

Während der Dublin-Besucher bis vor kurzem auf den Besuch einer produ­zie­renden Destil­lerie verzichten und sich mit dem „Museum“ der alten Jameson-Brennerei begnügen musste, hat sich nunmehr das Gebiet der „Liberties“ im Südosten des Stadt­zen­trums seinen alten Ruf als Stamm­platz der Destil­lerien zurück­er­obert. Teeling machte den Anfang und eröffnete vor zwei Jahren seine neue Wirkungs­stätte, ausge­stattet mit 16.000 Fässern aus den Cooley-Beständen. Der Phoenix im Wappen dokumen­tiert das Revival der Destil­lier­kunst. Das Start-Angebot umfasste einen Small Batch Irish Whiskey, einen Single Malt und einen ungewöhn­lichen „Single Grain“ , der durch Reifung im kalifor­ni­schen Rotweinfass eine attraktive Note bekommt. Neben älteren Single Malts und Cask Finishes ist inzwi­schen auch Poitin – der „Spirit of Dublin“ – im Angebot. 

Nicht weit entfernt und ebenfalls in Nachbar­schaft der Guinness-Brauerei eröffnete im Spätsommer in einer renovierten Kirche der Unter­nehmer Pearse Lyons seine gleich­namige Destil­lerie. An dem Platz, wo bereits seine Vorfahren auf einem uralten Friedhof ruhen, baute er in der ehema­ligen Kirche von St. James seine außer­ge­wöhn­liche Brennerei. Er holte aus Kentucky zwei Pot Stills – ungewöhnlich genug für die Bourbon-Herstellung – und ließ zunächst außerhalb Dublins in Carlow destil­lieren, bis nun die renovierte Kirche ihr neues Zuhause wurde. Neben den Brenn­blasen ist auch deren Zahl – nur zwei – und die Nutzung frischer Bourbon-Fässer – also nicht neu ausge­kohlter – eine Beson­derheit der Pearse-Lyons-Marke. Auch hier plant man, wie bei Teeling, die erste Charge aus der eigenen neuen Destil­lerie für nächstes Jahr – solange wird aus einge­kauften bzw. vorab gebrannten Destil­laten abgefüllt. Der Charakter der Whiskeys aus der St. James Destil­lerie ist überra­schend fruchtig, bis auf den Reserve Malt, der komplett aus Kentucky-Beständen stammt. 

Und es soll noch weiter­gehen in Dublin’s „Liberties“, denn eine weitere Geschichte wird fortge­schrieben: Etwas östlich der Pearse Lyons Distillery erhebt sich der Turm einer uralten Windmühle, bekannt als „St. Patrick’s Tower“. Hier wurde für die Thomas Street Distillery von George Roe Gerste gemahlen, der dort bereits 1757 seine Brennerei eröffnete. Die Mühle, heute ihrer Flügel aus Sicher­heits­gründen beraubt, konnte auf acht Mahlsteinen 1500 Fässer Getreide mahlen, und sechs Brenn­blasen sorgten für reichlich Destillat. In der Konso­li­die­rungs­phase Ende des 19. Jahrhun­derts, als zunehmend günstige schot­tische Blends den Markt eroberten, schloss man sich mit Jameson und anderen zusammen. In den frühen Jahren des letzten Jahhun­derts sorgten Unabhän­gig­keits­krieg und die ameri­ka­nische Prohi­bition dafür, dass 1923 Schluss war. Die Vorräte reichten noch weitere 20 Jahre. Inzwi­schen gibt es aber wieder einen „Roe & Co.“ – als Blended Irish vom Diageo-Konzern. Nur eine Reminiszenz? Keineswegs! Denn rund um den alten Turm ist bereits geplant, die alte „Roe“-Destillerie wieder­erstehen zu lassen. Irgendwann in 2019 sollen bereits wieder die Brenn­blasen am St. James Gate in Betrieb gehen. 

Einen guten Blick auf die Arbeiten wird man wahrscheinlich von der „Gravity Bar“ des Guinness Store­house bekommen. Hier, in der berühmten Stout-Brauerei –, passen­der­weise ebenfalls in Diageo-Besitz – kann der Liebhaber des klassi­schen Draught-Biers aus der besonders dunkel gerös­teten Gerste auf sieben Stock­werken alles über die Ikone des irischen Biers erfahren: vom Gründer Arthur Guinness über das Röstver­fahren und die Unter­schiede zwischen dem einzig­ar­tigen Draught Stout, das mit Hilfe von Stick­stoff seine einzig­artige Crema bekommt, und dem „Extra Stout“ aus der Flasche bis hin zur Kunst des Zapfens eines Guinness Draught, das übrigens ziemlich kühl bei ca. 7 °C ausge­schenkt werden sollte. 

Begeben wir uns nun vor die Tore Dublins, nachdem wir uns noch im Irish Whiskey Museum umgesehen bzw. eine Führung mitge­macht haben. Hier wird nicht noch einmal Whiskey-Technik vermittelt, sondern ein inter­es­santer Einblick in die Geschichte gewährt. An der neuen Bar gibt es u.a. Tasting Flights, der Shop ist umfang­reich, aber mit stolzen Preisen versehen.

 

Das Boyne Valley rockt und destil­liert 

Eine Autostunde nördlich bzw. 45 Minuten vom Flughafen liegt das schöne und sehr geschichts­trächtige Boyne Valley geprägt von prähis­to­ri­schen Stätten bis zum Schlachtfeld des „Battle of the Boyne“ 1690. Der Hügel wurde bereits in der Vorzeit benutzt, und im 18. Jahrundert wurde von der Familie der Grafen Cunnyngham der Ort Slane gegenüber des Slane Castle entworfen. Dies ist vor allem bekannt durch die seit 1981 statt­fin­denden Rock-Konzerte auf der Schloss­wiese. 1991 wurde es durch einen Brand verwüstet, dessen Spuren noch heute an einigen Stellen im Interieur sichtbar sind. 

Seit diesem Sommer sind im unteren Bereich ein nobles Restaurant und ein schönes Café unter­ge­bracht. Der ganze Stolz von Slane Castle ist jedoch die im Herbst eröffnete „Slane Distillery“, aus deren Brenn­blasen bei Veröf­fent­li­chung dieser Ausgabe der erste „New Make Spirit“ fließen dürfte. 

Auch hier gilt das verwir­rende Momentum irischer Start-ups: Es gibt bereits zwei Slane Whiskeys! Der inzwi­schen vergriffene „Slane Castle“ Whiskey wurde im Auftrags der Cunnynghams von Cooleys herge­stellt. Im Jahr 2012, nach dem Verkauf von Cooleys, wurden jedoch Auftrags­ab­fül­lungen einge­stellt. Was von Jim Beam als Maßnahme zur Volumen­si­cherung für die Eigen­marken gedacht war, erwies sich als Schub für neue Destil­lerie-Projekte im ganzen Land. Die Cunnynghams suchten nach Inves­toren und fanden die US-Firma Brown-Forman. Einen Steinwurf vom Schloss, in den ehema­ligen Stallungen für Rennpferde, schlum­merte auch bereits die ideale Location für die neue Slane Destillery. Unter hohem Aufwand und Bewahrung von möglichst viel alter Bausub­stanz wurde um den großen Innenhof ein sehr sehens­wertes Whiskey-Projekt geschaffen. Der komischer­weise bereits erhält­liche „Slane Whiskey“ stammt natürlich noch aus anderen Beständen oder Verträgen. Also muss auch hier noch bis mindestens Herbst 2020 auf den „echten“ Whiskey aus den Stills von Slane gewartet werden …

„Irish Whiskey“ neu definiert

Auf einer Reise zu Irlands Newcomer-Brenne­reien in 2017 setzt sich diese Beobachtung durchaus fort. Anderer­seits zeigt jeder Besuch, wie sorgfältig sich jede einzelne Neugründung von den Kollegen abgrenzt und eigen­ständige Ideen präsen­tiert. Wir werden uns also daran gewöhnen müssen, dass „Irish Whiskey“ als Sammel­be­griff für einen dreifach destil­lierten Pot Still mit gemälzter und ungemälzter Gerste bald ausge­dient hat. Der Irish Whiskey Association könnte man empfehlen, für diesen Stil eine eigene Marke zu setzen. Nichts­des­to­we­niger können wir uns über die kommende Vielfalt freuen, die mit den Rezep­turen von Teeling und anderen Vorreitern bereits begonnen hat. 

Im beschau­lichen, wenn auch touris­ti­schen Dingle wird in der gleich­na­migen Destil­lerie auch Wodka und Gin produ­ziert. 2012 wurden die Brenn­blasen zum ersten Mal befüllt, und ein erster Whiskey ist erhältlich. Als Single Malt dekla­riert, leidet er aber noch unter dem geringen Alter und ist für seinen Stil noch recht dünn. Weitere Varianten sind aber in Kürze zu erwarten. Das inter­es­sante an der Destil­lerie ist, dass die gesamte Produktion in einer großen Halle ohne Trenn­wände statt­findet, so lassen sich alle Produk­ti­ons­schritte gut überblicken. 

Im Nordwesten der Grünen Insel herrscht ebenfalls rege Betrieb­samkeit, auch wenn zum Beispiel die geplante Nephin Distillery am Lough Conn neben einem Küfer-Shop gegenüber der geplanten Brennerei erst den Baugrund vorweisen kann. Nach den üblichen Verzö­ge­rungen soll es 2018 mit dem Bau losgehen, die angeb­liche Bauzeit von einem Jahr kann großzügig inter­pre­tiert werden. Im dreifachen Destil­lier­ver­fahren soll klassisch produ­ziert werden, aller­dings mit stark getorfter Gerste. Bei Nephin argumen­tiert man mit der Geschichte, da der histo­rische Brenn­stoff für die Trocknung eben der Torf war. Kleine Fässer, „Quarter Casks“ ‚sollen den Whiskey schneller reifen lassen. Der im Info-Point aus einem neuen 3‑l-Fass ausge­schenkte Wodka soll spiele­risch den Whiskey-Inter­es­senten die Wichtigkeit der Fassreife verdeut­lichen.

Viel Neues im Nordwesten

Unweit vom Nephin-Projekt liegt die Connacht Distillery. Die ist nicht nur bereits in Produktion, sondern mit einem sehr großen Angebot – von Irish Pot Still über Gin und Poitin bis hin zu Wodka – bereits im Geschäft. Der Whiskey selbst ist – Déjà-vu – dann wahrscheinlich ab Ende 2018 erhältlich.

Die derzeit nordwest­lichste Destil­lerie Irlands liegt an den höchsten Klippen des Landes oder – halt, ich muss natürlich das Futur benutzen – wird dort liegen. Denn obwohl es bereits einen „Silky“ genannten Whiskey und seit Oktober einen Gin gibt, steht auch hier der Bau der eigent­lichen Brennerei noch bevor. Die kleine Gin-Anlage steht in einem unschein­baren Gebäude am Rande von Carrick in der Nähe der Cliffs von Slieve League, und heißt – wir sind schließlich im Gaeltacht – wie diese Küstenline auf irisch “Shliabh Liag“. Aufgrund vieler Falsch­mel­dungen verirren sich immer wieder Reisende und sogar Whisky-Händler hierher in der Annahme, hier werde bereits Whiskey produ­ziert. Doch der „Silky“ ist ein Auftragswerk für das Unter­nehmen, was Gründer James Doherty nicht müde wird zu betonen. Wie bei den Kollegen anderenorts wird man sehr leicht verwirrt, da im Sinne des „irischen Futur II“ bereits Marken und Whiskey-Namen auf der Website einer künftig zu bauenden Destil­lerie auftauchen, die es bei genauerem Lesen noch gar nicht gibt. Erleichtert sind James und seine Frau, nun endlich zumindest den „An Dúlamán“ Irish Maritime Gin anbieten zu können, dessen Name „Seetang-Ernter“ auf die vielen Zutaten von der heimi­schen Küste hinweist, von denen einige aufgrund besonders niedriger Tide angeblich nur bei Vollmond geerntet werden können. Diese und andere Beson­der­heiten, welche die leiden­schaft­lichen Entre­pre­neure hervor­heben, erinnern unwill­kürlich an die Gaben irischer Geschich­ten­er­zähler. 

Und gute Geschichten gibt es reichlich. Dazu gehören auch die um die Produk­ti­onsorte des Poitin, welche so zahlreich und natürlich illegal waren, dass James Doherty plant, eine virtuelle Karte der allein an den Slieve League Cliffs versteckten, histo­risch überlie­ferten Schwarz­brenner-Verstecke zu erstellen. Und das waren viele – meist so atembe­raubend in den steilen Klippen gelegen, dass sich kein Zollbe­amter dorthin wagte. Auch James’ Großvater brannte noch Poitin, ihm ist der – Pardon – ihm wird der „Beal Boch“ Poitin gewidmet sein, wenn dann die neue Destil­lerie einmal steht. Im Raum der kleinen Gin-Produktion hängen schon einmal die schönen Pläne für die Anlage. 

Vom „Tradi­tional Irish“ zu Vielfalt und Kreati­vität

Was für den Nordwesten gilt, lässt sich auf den Südosten übertragen. Dort ist nur eine Destil­lerie wirklich lange im Geschäft, und das ist Midleton mit seiner Jameson Destil­lerie und vielen anderen bekannten Marken wie Redbreast, Powers und weiteren. Nahe Dublin ist immerhin schon die Walsh Destil­lerie in Betrieb, die als Unter­nehmen mit der Produktion von Whisky-Likören anfing und seit 2015 in Carlow ihre Produktion von Whiskey aufge­nommen hat. Ein anderer faszi­nie­render und vor allem im Marketing sehr geschickter Akteur ist Glend­a­lough. Noch wird der Whiskey nahe Newcastle produ­ziert, aber im nächsten Jahr soll nahe des Glend­a­lough (Tal der zwei Seen) die eigent­liche neue Destil­lerie eröffnen. Das Werbe­video jeden­falls ist schon einmal genial und lockt in das wunder­schöne Tal, das aller­dings so beliebt ist, dass man am besten frühmorgens bzw. in Frühjahr oder Herbst einen Besuch plant, am besten kombi­niert mit einem Kochkurs und einem Besuch der dann hoffentlich eröff­neten neuen Glend­a­lough Destil­lerie – Sankt Kevin hilf !

Vom „Triple Distilled“ zu innova­tiver Vielfalt

Insgesamt ist die Vielfalt, in der die neuen Destil­lerien in Irland entstehen, absolut beein­dru­ckend. Allein Form, Größe und Art der Stills sind dermaßen unter­schiedlich, dass die schot­ti­schen Single-Malt-Brenne­reien dagegen in der Gleich­för­migkeit der Pot Stills recht langweilig wirken. Ein wenig verwirrend für den Besucher sind also die jewei­ligen Brenn­blasen und Verfahren der Iren, sie bilden eine Heraus­for­derung für die Guides auf den Führungen. Im Gegenzug erhält der Liebhaber des Lebens­wassers eine Vielfalt von Spiri­tuosen, von diversen Inter­pre­ta­tionen des Poitin über Pure Pot Still und Single Grain sowie zwei- oder dreifach destil­lierten Single Malt Irish Whiskey bis hin zu typisch irischen Gins und sogar Wodka. 

Ach ja … irish Vodka – was für ein Spleen, sollte man meinen. Vor allem ich, der ich bislang auch deutschen Single Malts aus kultur­his­to­ri­schen Gründen recht ignorant gegen­über­stehe. Auf einer Messe wurde mir dann ein irischer Wodka kredenzt, vierfach im Pot-Still-Verfahren destil­liert aus Gerste und – recht untypisch für Wodka – mit einer erstaun­lichen weichen Kremigkeit und Komple­xität. Im Auftrag eines kleinen Unter­nehmens wird der „Kalak“ von den innova­tiven West Cork Distillers herge­stellt, die bereits seit 2008 in Skibbereen ganz im Südwesten destil­lieren und neben zahlreichen eigenen Kreationen auch vom Brennen bis zum Abfüllen für andere Destil­lerien tätig sind. Gebrannt wird nur mit irischer Gerste, reinem Quell­wasser und im Pot-Still-Verfahren mit nur halb gefüllten Brenn­blasen. Rein technisch gesehen könnte man beim irischen Wodka auch „Poitin“ auf das Etikett schreiben. Aber dagegen sprechen sicher nicht nur Marke­ting­gründe – Poitin machen ja nun die meisten irischen Whiskey-Brenne­reien, das ist auch äußerst einfach, wo es sich dabei im Grunde um einen New Make Spirit vor der Fassla­gerung handelt. Aber ein vierfaches Destillat mit einem besonders eleganten und weichen Geschmacks­profil entspricht wohl auch nicht dem etwas rauhen, urtüm­lichen Profil eines Destillats mit verwe­gener Schwarz­brenner-Vergan­genheit. Und natürlich bleibt es spannend. Abseits der Destil­lerien wird nicht nur aller­orten Craft Beer gebraut; Met aus Früchten oder Cider bietet Abwechslung in Restau­rants und Bars, und ob ein Guinness-basierter Kochkurs oder ein geführter Ernte­ausflug an den Strand des „Wild Atlantic Way“ mit anschlie­ßendem Sea Weed Dinner – Irland erfindet sich nicht nur bei den Destil­laten neu. In jedem Fall findet sich für eine innovative Küche, ob beim Besuch auf der Grünen Insel oder im heimi­schen Esszimmer, eine ganz neue Vielfalt des irischen Whiskeys und seiner Verwandten. 

Sláinte! Christian Rümmelein

Ähnliche Beiträge

Sommer­bowlen: glorioses Comeback als High Bowl mit pikanten Näsche­reien.
Sommer­bowlen: glorioses Comeback als High Bowl mit pikanten Näsche­reien.
Jede Zeit hat ihre Moden. Noch vor fünfzehn Jahren, als die „beautiful people“ ...
Kurz vorge­stellt
Kurz vorge­stellt
Neuheiten, Interessantes für Geniesser. In jeder Ausgabe des Gourmet- & ...
Wein und Kirche: Die Bibel ist voller Weinzitate – und Meßwein ist meist weiß
Wein und Kirche: Die Bibel ist voller Weinzitate – und Meßwein ist meist weiß
Man weiß nicht, was sich Martin Luther dachte, als er sprachgewaltig die Bibel ...
Drinkidee: Japani­scher Frühling im Glas
Drinkidee: Japani­scher Frühling im Glas
Der Roku Hanami Fizz ist eine Abwandlung des klassischen Gin-Fizz-Cocktails, ...