Zum Thema Aperitif hat der Franzose Fernand Point, ein genialer Koch und Wegbereiter der modernen Küche in seiner „Pyramide“ in Vienne, bereits in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts Richtungsweisendes gesagt: „Wer Whisky als Aperitif trinkt, dem kann man auch rote Tinte als Bordeaux verkaufen.“
Solches Donnerwort wird zwar keinen notorischen Whiskytrinker erschrecken, aber in der Sache lag F. Point nicht falsch, denn harte Drinks blockieren leicht die Zunge. Eiskaltes erschreckt, Parfümiertes gar Süßliches sättigt, allzu Würziges vernebelt, Hochprozentiges betäubt.
Die erste Pflicht des Aperitifs ist das Öffnen der Sinne für die Wohltaten aus Küche und Keller (die Vokabel stammt übrigens vom lateinischen „aperire“ und heißt ja öffnen). Dementsprechend soll der ideale Apero die Sinne nicht abstumpfen, sondern, im Gegenteil, sie wecken, den Gaumen netzen, ihn geschmeidig auf das Essen einstimmen und zugleich den möglicherweise stressigen Alltag vergessen machen. Hinzu kommt seine dienende Funktion als Brücke zwischen der Bestellung und dem Servieren der ersten Speise.
Zu den klassischen Aperitifs gehört ein herber Weißwein, beispielsweise ein Riesling, aber einer, der das säurig-ungestüme Temperament seiner Jugend bereits hinter sich hat (eine zarte Firne, wie man den Alterston nennt, ist dienlich). Auch ein würdig gereifter großer Chardonnay aus Burgund stimmt ins Kommende ein, ohne etwas vorweg zu nehmen. Stets angemessen, doch seltsamerweise ausgerechnet in der gehobenen Gastronomie eher selten ins Apero-Spiel kommt ein Sherry, speziell ein Fino oder Manzanilla (sehr gut sind beispielsweise die Produkte von Emilio Lustau).
Immer passend ist ein schlank und sehr trocken ausgebauter Muskateller, wie er beispielsweise in der Steiermark vollendet gekeltert wird (beste Winzer: Lackner-Tinnacher, Groß). Trendy ist ein Longdrink aus weißem Portwein (Ramos Pinto oder „Chip dry“ von Taylor‘s) plus etwas Zitronensaft und aufgefüllt mit Mineralwasser. (Dosierung ist Geschmackssache, halbehalbe kein schlechter Blend).
Oldfashioned und raffiniert, doch außerhalb der Grandhotellerie kaum angeboten wird Madeira, am besten ein trockener Sercial.
Auch ein Glas Bier kann nützlich sein, Hauptsache frisch gezapft; es beruhigt den Magen. Peter Kluge, der langjährige erfahrene Ex-Maitre vom Münchner Nobellokal „Tantris“, hatte bei diesem Thema keine Scheu und sagte: „Ein Pils vernebelt nicht das Hirn, es erfrischt. Manchen Gästen habe ich es an der Nasenspitze angesehen, dass sie erst einmal ein Gezapftes brauchten.“
Ziemlich weit vorne in der Rangliste der beliebtesten Aperos steht Campari (aber bitte nicht mit Orange), gefolgt von Cynar und anderen Bitterdrinks. Allerdings haben Pastis, Pernod, Pineau, Punt e Mes, Vermouth, Ricard & Co, die legendären romanischen Klassiker, in Deutschland an Boden verloren – vor allem gegenüber dem Glas Champagner oder deutschem Winzersekt.
Schampus rangiert traditionell ganz vorne, ob pur oder als Mixgetränk wie beispielsweise der in Frankreich besonders geschätzte Kir Royal (eine Mischung aus Champagner mit Crème de Cassis, einem süßen fruchtsüßen Likör aus schwarzen Johannisbeeren).
Ideal sind Blanc de Blancs, gekeltert nur aus der weißen Rebsorte Chardonnay. Die animieren, sind schlanker, graziler als die anderen, die aus roten und weißen Trauben hergestellt werden und fleischiger schmecken, im besten Sinne reicher, mitunter nur breiter. Champagner ist ein Charmeur, doch Vorsicht: magensensible Naturen haben schon mal mit der Säure zu kämpfen, zumal wenn die Grundweine nicht der malolaktischen Gärung ausgesetzt worden sind (bei diesem biologischen Prozeß wird die kernige Äpfelsäure in die mildere Milchsäure umgewandelt). Und bei Billigheimern, wie sie angesichts der stark gestiegenen Preise für Edelcuvées in der Gastronomie zunehmend aktuell ausgeschenkt werden, kann die grob perlende Kohlensäure den Magen eher beschweren als ihn anregen. Mediziner bestätigen, dass Alkohol saures Aufstoßen verursachen kann. Neue Untersuchungen haben freilich auch ergeben, dass Aperitifs wie vor allem Champagner und Sherry den Magen positiv zur Sekretion von Magensaft anzuregen vermögen – ein dem Appetit förderlicher Vorgang.
Der Connaisseur registriert solche Erkenntnisse mit angemessenem Interesse, doch entscheidend für seine Wahl sind in erster Linie Faktoren wie die Saison, das Wetter, das Menü und vor allem die Stimmung. Ob die nun auf Dur tänzelt oder eher bei Moll dümpelt: Ein unsterblicher Aperitif und nie verkehrt ist der “Dry Martini“ – vorausgesetzt, die Ingredienzien stimmen, wozu in erster Linie hochwertiger Gin gehört (beispielsweise Hendrick’s, Bombays Sapphire, The London No.1, Blackwood’s, Beefeater Crown Juwel, Monkey 47), des weiteren feiner Wermut à la Noilly Prat und als Zierde lediglich eine grüne Olive mit Kern frisch aus der Salzlake. Nichts sonst wärmt den Magen besser und bereitet ihn williger auf die kommenden Genüsse vor.
Hellgolden tänzelt der Blanc de blancs im Glas und charmiert die Nase im Nu mit einem raffiniert geflochtenen Aromenstrauß aus Apfel, Aprikose, einem Hauch von Honig und etwas Zitrone sowie floralen Elementen à la Blüten wie speziell Flieder, ergänzt durch eine gewürzige Note wie Nelke nebst ein bißchen frischem Weißbrot. Seine Frische und kühle Rasse belegt eindrucksvoll, wie gut reine Chardonnay-Cuvées altern…