Trinkart: DerApe­ritif als willkom­mener Schluck vor dem Essen.

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Zum Thema Aperitif hat der Franzose Fernand Point, ein genialer Koch und Wegbe­reiter der modernen Küche in seiner „Pyramide“ in Vienne, bereits in den Sechzigern des vorigen Jahrhun­derts Richtungs­wei­sendes gesagt: „Wer Whisky als Aperitif trinkt, dem kann man auch rote Tinte als Bordeaux verkaufen.“

Solches Donnerwort wird zwar keinen notori­schen Whisky­trinker erschrecken, aber in der Sache lag F. Point nicht falsch, denn harte Drinks blockieren leicht die Zunge. Eiskaltes erschreckt, Parfü­miertes gar Süßliches sättigt, allzu Würziges vernebelt, Hochpro­zen­tiges betäubt.

Die erste Pflicht des Aperitifs ist das Öffnen der Sinne für die Wohltaten aus Küche und Keller (die Vokabel stammt übrigens vom latei­ni­schen „aperire“ und heißt ja öffnen). Dementspre­chend soll der ideale Apero die Sinne nicht abstumpfen, sondern, im Gegenteil, sie wecken, den Gaumen netzen, ihn geschmeidig auf das Essen einstimmen und zugleich den mögli­cher­weise stres­sigen Alltag vergessen machen. Hinzu kommt seine dienende Funktion als Brücke zwischen der Bestellung und dem Servieren der ersten Speise.

Zu den klassi­schen Aperitifs gehört ein herber Weißwein, beispiels­weise ein Riesling, aber einer, der das säurig-ungestüme Tempe­rament seiner Jugend bereits hinter sich hat (eine zarte Firne, wie man den Alterston nennt, ist dienlich). Auch ein würdig gereifter großer Chardonnay aus Burgund stimmt ins Kommende ein, ohne etwas vorweg zu nehmen. Stets angemessen, doch seltsa­mer­weise ausge­rechnet in der gehobenen Gastro­nomie eher selten ins Apero-Spiel kommt ein Sherry, speziell ein Fino oder Manza­nilla (sehr gut sind beispiels­weise die Produkte von Emilio Lustau).

Immer passend ist ein schlank und sehr trocken ausge­bauter Muska­teller, wie er beispiels­weise in der Steiermark vollendet gekeltert wird (beste Winzer: Lackner-Tinnacher, Groß). Trendy ist ein Longdrink aus weißem Portwein (Ramos Pinto oder „Chip dry“ von Taylor‘s) plus etwas Zitro­nensaft und aufge­füllt mit Mineral­wasser. (Dosierung ist Geschmacks­sache, halbe­halbe kein schlechter Blend).

Oldfa­shioned und raffi­niert, doch außerhalb der Grand­ho­tel­lerie kaum angeboten wird Madeira, am besten ein trockener Sercial.

Auch ein Glas Bier kann nützlich sein, Haupt­sache frisch gezapft; es beruhigt den Magen. Peter Kluge, der langjährige erfahrene Ex-Maitre vom Münchner Nobel­lokal „Tantris“, hatte bei diesem Thema keine Scheu und sagte: „Ein Pils vernebelt nicht das Hirn, es erfrischt. Manchen Gästen habe ich es an der Nasen­spitze angesehen, dass sie erst einmal ein Gezapftes brauchten.“

Ziemlich weit vorne in der Rangliste der belieb­testen Aperos steht Campari (aber bitte nicht mit Orange), gefolgt von Cynar und anderen Bitter­drinks. Aller­dings haben Pastis, Pernod, Pineau, Punt e Mes, Vermouth, Ricard & Co, die legen­dären romani­schen Klassiker, in Deutschland an Boden verloren – vor allem gegenüber dem Glas Champagner oder deutschem Winzersekt.

Schampus rangiert tradi­tionell ganz vorne, ob pur oder als Mixge­tränk wie beispiels­weise der in Frank­reich besonders geschätzte Kir Royal (eine Mischung aus Champagner mit Crème de Cassis, einem süßen frucht­süßen Likör aus schwarzen Johan­nis­beeren).

Ideal sind Blanc de Blancs, gekeltert nur aus der weißen Rebsorte Chardonnay. Die animieren, sind schlanker, graziler als die anderen, die aus roten und weißen Trauben herge­stellt werden und fleischiger schmecken, im besten Sinne reicher, mitunter nur breiter. Champagner ist ein Charmeur, doch Vorsicht: magen­sen­sible Naturen haben schon mal mit der Säure zu kämpfen, zumal wenn die Grund­weine nicht der malolak­ti­schen Gärung ausge­setzt worden sind (bei diesem biolo­gi­schen Prozeß wird die kernige Äpfel­säure in die mildere Milch­säure umgewandelt). Und bei Billig­heimern, wie sie angesichts der stark gestie­genen Preise für Edelcuvées in der Gastro­nomie zunehmend aktuell ausge­schenkt werden, kann die grob perlende Kohlen­säure den Magen eher beschweren als ihn anregen. 


Mediziner bestä­tigen, dass Alkohol saures Aufstoßen verur­sachen kann. Neue Unter­su­chungen haben freilich auch ergeben, dass Aperitifs wie vor allem Champagner und Sherry den Magen positiv zur Sekretion von Magensaft anzuregen vermögen – ein dem Appetit förder­licher Vorgang.

Der Connaisseur regis­triert solche Erkennt­nisse mit angemes­senem Interesse, doch entscheidend für seine Wahl sind in erster Linie Faktoren wie die Saison, das Wetter, das Menü und vor allem die Stimmung. Ob die nun auf Dur tänzelt oder eher bei Moll dümpelt: Ein unsterb­licher Aperitif und nie verkehrt ist der “Dry Martini“ – voraus­ge­setzt, die Ingre­di­enzien stimmen, wozu in erster Linie hochwer­tiger Gin gehört (beispiels­weise Hendrick’s, Bombays Sapphire, The London No.1, Blackwood’s, Beefeater Crown Juwel, Monkey 47), des weiteren feiner Wermut à la Noilly Prat und als Zierde lediglich eine grüne Olive mit Kern frisch aus der Salzlake. Nichts sonst wärmt den Magen besser und bereitet ihn williger auf die kommenden Genüsse vor.

Hellgolden tänzelt der Blanc de blancs im Glas und charmiert die Nase im Nu mit einem raffi­niert gefloch­tenen Aromenstrauß aus Apfel, Aprikose, einem Hauch von Honig und etwas Zitrone sowie floralen Elementen à la Blüten wie speziell Flieder, ergänzt durch eine gewürzige Note wie Nelke nebst ein bißchen frischem Weißbrot. Seine Frische und kühle Rasse belegt eindrucksvoll, wie gut reine Chardonnay-Cuvées altern…

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