Weißwurst: Weltan­schauung mit süßem Senf

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Die Weißwurst ist eine jener wenigen Würste mit eigener Hymne, getextet vom Münchner Poeten Herbert Schneider: „Du Königin im Wurst­revier, du schön gekurvte Tellerzier, lass dir den weißen Hermelin von deinen zarten Schultern ziehn!«

Beim Oktoberfest auf der Münchner „Wies’n« wird ihr tonnen­weise der Garaus gemacht: der Weißwurst, jenem Münchner Symbol, das umwabert ist von Regeln und Ritualen, Mißver­ständ­nissen, Legenden und Geheim­nissen!

Seit 2022 gibt es sie auf dem Münchner Oktoberfest auch vegan, da die Nachfrage nach vegeta­ri­schen und veganen Gerichten selbst auf diesem tradi­tio­nellen Volksfest ansteigt. Aller­dings ist die vegane Variante wohl noch nicht ganz ausge­reift und verfehlt den Geschmack vieler Besucher, die sie mutig probiert haben. Die Kabaret­tistin Monika Gruber hat bei einem Testessen des Bayeri­schen Rundfunks beispiels­weise kriti­siert, die vegane Wurst schmecke »wie gepresste Sägespäne«. Und legt dann bei der BILD-Zeitung nach: »Vegane Weißwürscht schmecken übrigens wie Montage-Schaum, der in ein Kondom abgefüllt wurde, mit einer leichten Kalk-Note im Abgang. Grausig.«

Eine Weißwurst ist eine Weißwurst?

Waren­kundlich gewiß, doch solche simple Definition treibt jedem aufrechtem Bayern, wozu vor allem jene gehören, denen, ganz lieb gemeint, der Gamsbart sozusagen direkt aus dem Hinterkopf zu wachsen scheint, die Zornesröte ins Gesicht. Eine Weißwurst ist ihnen eine Weltan­schauung, die man bevorzugt am späten Vormittag zu sich nimmt, mit süßem Senf, einer lauwarm aufge­ba­ckenen Laugen­brezen und hohem sittlichen Ernst. Bei der Weißwurst verewigt der Münchner seine Bieder­mei­er­phi­lo­sophie, zu der die unerschüt­ter­liche Überzeugung gehört, dass die Würste nur in Bayern schmecken und dort auch erfunden worden seien.

Letzteres darf aller­dings ein bisschen bezweifelt werden. Der Mär zufolge soll der 22. Februar 1857, ein Rosen­montag, das Geburts­datum der Weißwurst sein – als Folge eines glücklich endenden Mißge­schicks des Metzger­wirts Sepp Moser, dem frühmorgens in seiner Wirtschaft „Zum ewigen Licht« am Marien­platz beim morgend­lichen Wursten die Schafs­därme für seine Kalbs­brat­wurst ausge­gangen seien. Doch die Gäste, hungrig vom Faschings­treiben, wollten bedient werden, also füllte der findige Mann das Kalbsbrät in Schweins­därme und brühte die Würste in heißem Wasser aus Sorge, sie könnten beim Braten platzen. Man reagierte erst überrascht, dann begeistert und seither hat die Weißwurst ein zumindest offiziöses amtliches Datum.

Wahrschein­licher ist, dass die Wurzeln der Weißwurst bis tief ins Mittel­alter hinein reichen. Und es gibt die These, dass bereits im 14. Jahrhundert ein franzö­si­scher Koch eine boudin blanc, also eine weiße Wurst, aus dem Kessel geholt haben soll und dass diese Kreation, veredelt mit Kaviar, im Gefolge Napoleons oder auch früher nach München gekommen sei. Im „Menage de Paris« ist immerhin eine Wurst aus geschabtem Kalbsbrät nebst „Häutelwerk« aus gekochten Kopfschwarten, Zitro­nen­schale, Peter­silie und Macis-Blüte verzeichnet. Fügt man etwas Schwei­ne­speck hinzu, so ist man der Weißwurst-Rezeptur schon sehr nahe. Das Gros der heutigen Weißwürste enthält wohl reichlich Schwei­ne­fleisch, aber tradi­tionell korrekt ist die Dominanz des Kalbflei­sches (vorge­schrieben sind 51 Prozent), angerei­chert um ein wenig Speck, aroma­ti­siert mit Gewürzen (Pfeffer, Muskat), belebt mit etwas frischer Peter­silie, eventuell Zitro­nen­aroma und gebrüht mit zerhacktem Eis, das für die lockere und saftige Konsistenz sorgen soll. Berühmt sind die Würste vom Münchner Metzger Ludwig „Wiggerl« Wallner (www.gaststätte-grossmarkthalle.de), der sie aus reinem Kalbfleisch nebst einem Spritzer Maggi herstellt und nach Bestellung indivi­duell frisch in einem Topf ohne Deckel aufsiedet.

Wie es sich für einen Mythos im Schweinsdarm gehört, umwabern ihn noch weitere Legenden wie jene, dass die Weißwurst das mittäg­liche Zwölfel­äuten nicht überleben darf. Diese Verhal­tens­regel stammt aus der Frühzeit der Wurst, als es noch keine ausrei­chende Kühltechnik gab und es üblich war, die Weiße roh aus der Metzgerei zu entlassen. Wegen des leicht verderb­lichen Bräts, das sich zudem rasch in ein unansehn­liches Blaßgrau verfärbte, musste die Wurst, ob zu Hause oder in der Wirts­küche, sofort gesotten werden. Ein weiterer Grund war wohl auch das Kalkül der Gastro­nomen, zu Mittag mehr Geschäft mit statt­lichen Speisen zu machen als mit vergleichs­weise billiger Weißwurst.

Damals gab es noch keinen Otto Koch. Dieser geniale Koch, der bis zu seiner Pensio­nierung im Münchner Olympiaturm seine Gäste mit feinen Gerichten entzückte, schuf nämlich vor mehr als 30 Jahren im „Schwarz­wälder« eine Weißwurst aus Meeres­früchten, die er mit einer Senfsauce und in Butter gedüns­tetem Wirsing servieren ließ – eine keineswegs billige Kreation, die Furore machte.

Hans-Peter Wodarz, lange Jahre Chef der „Ente« in Wiesbaden und nie um einen PR-Gag verlegen, ließ für den Ball des Sports beim Münsinger Metzger Limm mit Blattgold angerei­cherte Weißwürste herstellen. Von altbaye­ri­schen Tradi­tio­na­listen verfemt werden die getrüf­felten und mit Champa­gner­kraut flankierten Weißwürste im Käferzelt auf dem Oktoberfest. Auch Alfons Schuhbeck bewegte sich mit seinen panierten und ausge­ba­ckenen Weißwurstradeln im Grenz­be­reich des guten Weißwursttons.

Mehr Gewicht als die Bewertung solcher Neuerungen hat unter notori­schen Weißwurstfans freilich die Frage, wie man das Objekt ihrer Begierde verzehrt. Da gibt es mehrere Schulen. Rustikal, doch weder besonders ästhe­tisch noch elegant und mittler­weile selten gesichtet ist die Methode des »Zuzelns«; dabei wird die Wurst in die Hand genommen, an den Mund gehalten und das Innere stück­weise und geräuschvoll aus der Pelle gesaugt – eine Technik, die im Süddeut­schen eben als „zuzeln« benannt wird. Eher verpönt ist das porti­ons­weise Abschneiden der Wurst; diese Variante wird selbst dann verächtlich als „preußisch« tituliert, wenn sie von einem Japaner prakti­ziert wird. Einfach und stilsicher ist das längs­seitige Halbieren der Wurst, deren köstliches Innere einem Kalbfleisch­soufflé gleicht und würdig in mundge­rechten Stücken mit süßem Senf verzehrt wird – regel­ge­recht ohne die Haut, die wird, so spotten Münchner, nur von den als sparsam bekannten Schwaben mitge­gessen.

kafl

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