Horst-Dieter Ebert reiste für Savoir-Vivre zehn Tage lang auf der neuen „MS Mein Schiff 6“.
An Land würde man das „Hard Selling“ nennen: „Und wenn Sie das tägliche Wein-Abonnement erwerben“, so lächelt der nette Sommelier aus Bosnien, „dann können Sie im Atlantik-Restaurant jeden Abend einen Tisch reservieren!“
Doch wir befinden uns auf hoher See, alle sind in den Ferien, und die so angesprochene Gruppe auf dem „Gourmet-Rundgang“ (viele Probierhäppchen und ‑schlückchen) empfindet das erkennbar als einen interessanten Vorschlag, denn die begehrten Tische im Atlantik-Restaurant sind sonst nicht im Voraus buchbar.
Was heißt Tische: Natürlich sind das „Wohlfühltische“, denn ich bin ja mit der Tui Cruise unterwegs, die alle ihre Schiffe „Wohlfühlschiffe“ nennt, die unter „Wohlfühlflagge“ segeln, und aus den freundlichen beiden Vorsilben so eine Art allgemeinen Adelstitel gemacht hat: Da gibt es den Wohlfühlurlaub, den Wohlfühlduft, ‑genuss, ‑kurs, ‑raum, ‑pasta, ‑lächeln; man wundert sich, wie viele Begriffe sich auf diese Art veredeln lassen.
Nachts Fahrt im Kreis?
Unser Schiff ist das jüngste der TUI, „Mein Schiff 6“, Jahrgang 2017, mithin die Krönung der „Wohlfühlflotte“. Und es scheint tatsächlich, dass hier die Erfahrungen mit den Vorgängerschiffen sich zu einer neuen Qualität vereinigt haben, ohne dass spektakuläre Änderungen erforderlich waren – die ja auch für die wichtige Gruppe der Stammgäste (kreuzfahrerisch: „Repeater“) immer eher abschreckend wirken.
Die wollen ja, so die Erfahrung der Kreuzfahrt-Manager, am liebsten alles so wiederfinden, wie sie es auf der letzten Reise verlassen haben. Dennoch waren wieder Novitäten angekündigt worden.
Unsere „Ostsee-Baltikum“-Reise startet in Kiel. Zwischen Kiel und Danzig haben die Routenplaner den beliebten ersten Seetag gelegt. So hat das Schiff für die kaum mehr als 360 Seemeilen 36 Stunden zur Verfügung, da wundert es nicht, dass es fast stillzustehen scheint: „Lassen Sie denn nachts zwischendurch Kreise fahren?“, fragt ein vorwitziger Witzbold den österreichischen General Manager Thomas Eder, doch der erweist sich als durchaus ironiebegabt: „Nein, wir ziehen Achten vor, damit sich nicht eine Seite des Schiffes zu sehr abnutzt!“
Die „Mein Schiff 6“ ist total ausgebucht, und dazu sind über 300 Kinder an Bord, von denen man freilich nur wenig sieht; sie amüsieren sich zumeist in ihren diversen Kinderclubs. Im Übrigen sind die teuersten Kabinen am begehrtesten: „Die Suiten sind stets zuerst ausgebucht“, sagt Eder, und das, obwohl die teuersten fast zweieinhalbmal so viel kosten wie ein „Normalpassagier“ einbringt. Dafür genießen ihre Bewohner auch außerhalb ihrer opulenten Behausungen eine Reihe von kaum bekannten Vorteilen.
Pommery in kurzen Hosen
Denn offiziell gibt es auf den „Mein Schiff“-Schiffen keine first class wie auf der „Queen Mary 2“ und ihren königlichen Schwestern, auch keine spezielle „Yacht Class“ wie auf den Schiffen der italienischen MSC. So entstanden Einrichtungen einer verborgenen quasi „Krypto-First-Class“. Sie sind so unauffällig und versteckt, dass der Nicht privilegierte sie kaum je bemerkt, es sei denn, er stolperte über ein kleines Schild: „Zugang nur für Gäste der Suiten und Juniorsuiten“. Das hängt zum Beispiel an der gut verborgenen Eingangstür zur „X‑Lounge“ auf Deck 14, die sich nur mit dem Türschlüssel einer Suite öffnen lässt.
Dahinter liegt eine Art Club Lounge, wie sie auch in manchem 5‑Sterne-Hotel geboten wird, doch eher noch feiner. Der halbrunde Raum im Heck des Schiffes ist luxuriös möbliert, der große Balkon mit opulenten Lümmelsofas. Luxuriöses Fingerfood steht allzeit bereit. Frühaufsteher sitzen schon morgens um acht in kurzen Hosen bei einem Glas Pommery und lesen eine der tagesaktuell faksimilierten Tageszeitungen oder naschen von drei Sorten Kaviar: „Naja, ein bisschen Luxus möcht schon sein“, lächelt einer – hier ist das Leben wahrhaft first class.
Gleich über der X‑Lounge findet sich das X‑Sonnendeck, ein exklusives Areal mit eigenem Whirlpool, mit Liegestühlen und Hollywood-Betten; aus den zweigeschossigen „Himmel & Meer-Suiten „können die Bewohner hier direkt eintreten. Da wundert man sich nicht zu hören, dass immer häufiger auch Ex-„Europa“-Passagiere an Bord sind; sie seien auf der Suche nach mehr Abwechslung, heißt es, und genössen auch die günstigen Preise (für eine Woche „Europa“ kann man ja hier zwei Wochen fahren).
Einmal auch ein Krimi-Dinner
„Und vergessen Sie nicht unsere kulinarische Szene“, sagt Jörg Lindner, der oberste Küchenchef an Bord. Der humorvolle Franke hat die Entwicklung über die letzten Jahre mitgestaltet und ist überzeugt, dass man auf seinem Schiff heute besser und abwechslungsreicher essen kann als je zuvor: „Das Hanami etwa war noch nie so gut!“
Das panasiatische Restaurant hat vor einem Jahr der Berliner Ausnahme-Koch Tim Raue unter seine Fittiche genommen. Es wurde verschönert und vergrößert, liegt hoch verglast im Heck, mit wunderbarem Sonnenuntergang auf ent sprechendem Kurs. Die philippinischen Kellner servieren mit weißen Handschuhen Raues berühmte Signature Dishes wie die Hanami-Ente oder die Wasabi-Garnele. Hier liegt, auf Deck 4, der kulinarische Höhepunkt des Schiffes.
Die anderen Spezialrestaurants (also: zum Zuzahlen) finden sich drumherum: „Surf & Turf“ heißt das hoch beliebte Steakrestaurant, in dem vom Fläminger Kleeschwein bis zum japanischen Wagyu-Rind so ziemlich alle fleischlichen Genüsse aufgetischt werden, mit vier Sorten Salz und fünf pathetischen Steakmessern zur Auswahl. Und gegenüber das „Schmankerl“, österreichische Folklore („Griaß di“) mit holzgescheuerter Gemütlichkeit. Einmal pro Törn findet ein kreischend fideles Krimi-Dinner mit den Stars des Musical-Ensembles statt.
Ohne Zuzahlung essen jeden Tag über tausend Passagiere in den beiden Teilen des „Atlantik“-Hauptrestaurants mittags und abends ein ansehnliches 5‑Gänge-Menü, sie können wahlweise in der „Osteria“ Pizza und Pasta verzehren, Fischgerichte bei „Gosch Sylt“, Burger bei „Tag & Nacht“ oder Tapas in der „Außenalster“ auf dem Achterdeck, und schließlich gibt es auch noch das Buffetrestaurant „Anckelmannsplatz“ mit 700 Plätzen. Dazu überall Wein, Bier und bunte Cocktails – alles nach TUIs „premium inklusive“-Konzept.
Ja, und Kritik gibt’s gar keine? Doch, was die Neuheiten betrifft: Die „Schaubar“ sollte zu einer Jazz-Bar aufgerüstet werden, doch außer einem Saxophon in der Ecke und ein paar Schwarz-Weiß-Fotos historischer Jazz-Größen gibt es nichts, man hört keinerlei Jazz, schon gar nicht live. Und der „Escape Room“, als neuer Freizeit-Trend aus Quiz, Denksport, Schnitzeljagd und Nervenkitzel gerühmt (hier zu „Spiel gegen die Zeit“ verdeutscht), wird viel zu selten geöffnet. So kamen in diesen zehn Tagen nur 24 Neugierige in den Genuss einer Escape-Tour: Die freilich haben sich auf spannende Art köstlich amüsiert, das hätte ich gern mehr Passagieren gegönnt!
Horst-Dieter Ebert