Man weiß nicht, was sich Martin Luther dachte, als er sprachgewaltig die Bibel eindeutschte und somit auch die zahlreichen Zitate über den Wein popularisierte. Zwar war der Reformator kein schmallippiger Fastenprediger. Er stand leiblichen Genüssen nicht fern und ließ zu seiner Hochzeit mit Katharina von Bora, einer ehemaligen Nonne, eine Tonne “Einbecker Bier“ sowie reichlich Rheinwein auffahren. Aber der in seiner Zeit regierende “Saufteufel“ war ihm zuwider, wie die leidenschaftlichen Predigten gegen die Trunksucht belegen. Allerdings musste Luther resigniert bekennen, dass “der Sauf ein allmächtiger Abgott bei den Deutschen bleibe“.
Und ihr Herz soll fröhlich werden vom Wein (Sacharja, Kap. 10,7), so heißt es in der Bibel. Dort stehen über tausend Zitate zum Thema Wein. Die Bibel liest sich also streckenweise wie ein Kreuzzug für den Wein. Wohl fehlt es in der Heiligen Schrift nicht an Maßhalteappellen, wird Enthaltsamkeit gepredigt und vor den Folgen des Rauschs gewarnt: “Wehe denen, die Wein saufen.“ Doch die Mehrzahl der Erwähnungen von Weinbergen, Reben, Keltern und Wein sind eher positiv gemeint, ob als Symbol, als praktische Trinkempfehlung oder kulturgeschichtlich bedeutsame Hinweise auf den frühen Weinanbau wie beispielsweise das Loblied von Jesaja über einen “Weinberg auf fruchtbarer Höhe“.
Tatsächlich gibt es weit mehr Stellen, die den Weingenuss billigen und ihn bejahen. Jesus war kein Weinverächter, und auch in den Psalmen sieht die Welt nach einem kräftigen Schluck des „süßen Weins“ schon viel rosiger aus. Seine erste Wundertat hat Jesus angeblich mit Wein vollbracht, als er auf der Hochzeit zu Kana schlichtes Wasser in Wein verwandelte. Abstinenzlern ist die Bibel also nicht unbedingt zu empfehlen.
Zu viel Wasser verdirbt das Christiblut
Peter Rosegger, der steirische Lehrer und Schriftsteller, populär geworden als Heimatdichter, hat in seinen »Schriften des Waldschulmeisters“ auch über seine Zeit als Ministrant geplaudert: »Beim Ministrieren hab‹ ich dem Pfarrer Wein in den Kelch gegossen; aber unter dem Wasserkrüglein hat er gleich gezuckt; kaum ein Tröpflein, ist er schon davongeruckt: »Wasser und Wein, als Fleisch und Blut, das ist unser höchstes Gut, aber wer in den Kelch zu viel Wasser tut, der verdirbt das rosafarben‹ Christiblut.«
Die kirchliche Mystik hat sich seit jeher innig ins Geheimnis von Wein und Blut sowie die Symbolik des göttlichen Keltertretens versenkt. Das Abendmahl wird mit Brot und Wein, nicht mit Brot und Wasser zelebriert. Der Meßwein ist laut kirchlicher Kurzdefinition ein leichter, trockener Wein, der sehr natürlich vinifiziert worden ist. Der Waldviertler Weinpfarrer Hans Denk fügt hinzu: „Er soll aus gottgefälligen, also reifen Trauben gewonnen werden. Er soll gut sein, aber nicht so gut, daß er verführerisch wirken könnte.“ Und weshalb ist Meßwein fast immer Weißwein, obwohl er als Symbol für das Blut Christi steht und beim ersten Abendmahl mit hoher Wahrscheinlichkeit von roter Farbe war? Die Antwort von Pater Maximilian von den Zisterziensern in Stift Zwettl leuchtet ein: »Die Haushälterinnen der Pfarrer wollen das so, denn ihnen obliegt auch das Reinigen des Kelchtuchs bei der Wandlung – und Rotweinflecken sind weit schwieriger zu entfernen.«
Der Mystikerin Mechthild von Magdeburg (etwa 1212 – 1280) zeigte sich Gott, wie Karl Christoffel in seiner “Durch die Zeiten strömt der Wein“ betitelten Kulturgeschichte des Weins zitiert, “in großer Herrlichkeit und unsäglicher Klarheit. Dann erhob unser Herr zwei goldene Becher in seinen Händen, die waren beide voll lebendigen Weines. In der linken Hand war der rote Wein der Pein und in der rechten Hand der überhehre des lichten Trostes. Dann sprach unser Herr: Selig sind, so diesen Wein trinken. Denn obwohl ich beide aus göttlicher Liebe schenk, so ist doch der weiße edler in sich selbst. Und alleredelst sind die, solche den weißen trinken und den roten.“
“Der Wein macht wild“, heißt es bei Salomo, aber Jesus hat ihn getrunken. Und in der Vorstellung vom Paradies verkündet der Prophet Amos genüsslich: “Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass man zugleich ackern und ernten und zugleich keltern und säen wird, und die Berge werden vom süßen Wein triefen.“
Beim hl. Augustinus heißt es: “Christus wurde zuerst als Traube ausgepresst … Wenn du begonnen hast, fromm in ihm zu leben, bist auch du zur Kelter geschritten; bereite dich darum auf das Gepreßtwerden vor, sei aber nicht zu trocken, damit genügend Saft herausfließe.“
„Neue Schläuche waren die 120 Gläubigen (des Pfingstfestes); sie harrten auf den neuen Wein vom Himmel, und er kam. Jene große Traube – Christus – war ja bereits gekeltert und verherrlicht.“ (Sermo 267).
Die Rebe gilt als Symbol des Martyriums, und so heißt es beim hl. Bernhard von Clairvaux (1091–1153): “Des Herzens Tiefe wird zum Kelche, darinnen der Trauben rosafarben Blut, das Marterblut des Heilands, funkelt.“
Gotisch klar meißelte Notker von St. Gallen das Motiv der Läuterung in der Kelterpein: “Uva (Traube) war ich, getreten bin ich, Vinum (Wein) werde ich.“
“Genießen ist ein Ernstnehmen der Schöpfung.“
In solchen Zitaten klingt, neben all der dunklen Mystik, ein Hauch von süffelnder Lust an, doch das schönste Argument für die Harmonie von Gott und Wein hat ein österreichischer Pfarrer geprägt: “Genießen ist ein Ernstnehmen der Schöpfung.“
Das hat Goethe‘sches Format und ist ein persönliches Bekenntnis, das den Gottesmann als Nachfolger jener barocken Prälaten legitimiert, die den Wert eines Gemäldes ebenso zu schätzen wussten wie Musik, ein Buch und das Wunder der heiligen Bouteille.
„Was ist das Leben, da kein Wein ist? Der Wein ist geschaffen, dass er die Menschen fröhlich soll machen“, heißt es bei Jesus Sirach – und so leben nicht wenige Kirchenherren sowie Nonnen in bester Übereinstimmung mit ihrem Herrn, auch wenn der Papst im fernen Vatikan schon mal kurz die Augenbrauen hebt, wenn ihm hintenherum suggeriert wird, so mancher Pfarrer habe mehr Weinflaschen im Gewölbekeller als fromme Seelen in seinem Dorf. Mag sein, aber einer, der ansonsten rastlos für seine Gemeinde tätig ist, lebt im Sinne Salomos (Kap. 9,7): “So gehe hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut, denn dein Werk gefällt Gott.“