Champagner: Diva zwischen Hölle und Himmel

Karl-F. Lietz

Lesedauer: 4 Minuten

Zu den großen Wahrheiten des Lebens zählt die Erkenntnis, dass die Lady wie der Gentleman ohne Ansehen von Tageszeit, Wetter und Stimmung eines immer trinken können: Champagner.

 

Dieser Charmeur unter den Getränken ist so etwas wie ein Joker, nur: Vorsicht ist angezeigt bei der Wahl der Marke, denn neben grandiosen Assen gibt es auch erbärm­liche Pick-sieben. Dennoch löst kein anderes Etikett ergebenere Bücklinge aus als eines, auf dem Champagner steht.

Selbst jenen braven Bürgern, die ihre Couch­kissen mit gekonntem Handkan­ten­schlag in der Mitte fälteln, kommt bei Champagner längst nicht mehr vollau­to­ma­tisch Frivoles in den Sinn à la Nacht­leben und tolle Frauen in den Séparées. Besonders faszi­nierend an der Sache ist, wie die Leute in der Champagne es geschafft haben, aus ihrem Produkt eine Diva zu machen.

Von Haus aus fehlt den Grund­weinen nämlich jedes Talent zu einem großen Gewächs. Dafür ist die Lage zu nördlich und kühl, erreichen die Trauben selten ihre vollkommene Reife. Die Weine sind in der Regel säure­betont und in ihrer Struktur eher grobleinen als seidig, aber die Keller­meister haben es seit dem legen­dären Mönch Dom Perignon zunehmend verstanden, die Untugenden im Laufe der Jahrhun­derte durch die Methode des Champa­gne­ri­sierens (Stich­worte: zweite Gärung, lange Hefelagerung, Kunst der Cuvée, Dosage) in eine Tugend zu verwandeln. Das hässliche Entlein reift im Keller zum stolzen Schwan und die Champagne wurde zu einer Art Hollywood des Weins: jedes im Glas nach oben tänzelnde Bläschen ist eine aufwendig insze­nierte Illusion. Auf der nach oben hin offenen Genuss­skala steht Champagner jeden­falls an erster Stelle. Wer ihn trinkt, nimmt eine feier­liche Haltung an, wie Wissen­schaftler beobachtet haben.

Dabei fließen Moet, Veuve, Taittinger, Roederer, Heidsieck & Co nicht mehr exklusiv im Gourmet­tempel, sondern sozusagen multi­sozial auch an Kaufhaus­theken und in Bistros, abgesehen davon, dass Luxus­marken wie Krug und speziell Dom Perignon in den Clubs des Rotlicht­mi­lieus für erheb­liche Umsätze sorgen. Und die sogenannten Billig­marken, wie sie vor allem am Jahresende – an Silvester wird in Deutschland der meiste Schampus getrunken – zu Preisen um die zehn Euro von den Discountern feilge­boten werden, gleichen oft nur schäu­menden Karika­turen: sie schmecken derb, dünn, oft seltsam süßlich und säurig zugleich, was nicht wundert, weil solche Billig­heimer in der Regel aus minder­klas­sigen Grund­weinen oder der zweiten Pressung herge­stellt und nach extrem kurzer Reife vermarktet werden.

Champagner ist eben nicht gleich Champagner. Bei den rund 250 bis 300 Millionen Flaschen, die jährlich in der Champagne, jener 150 Kilometer nordöstlich von Paris gelegenen Region mit den Zentren Reims, Epernay und Ay, gefüllt werden, gibt es große Unter­schiede in Stil, Qualität und Geschmack. Die Güte und der Charakter des jewei­ligen Jahrgangs spielen ebenso eine Rolle wie die Klasse der Weinbergslage, der Zeitpunkt der Ernte, die Selektion der Trauben, die Arbeit im Keller sowie die Zeit der Reife. Jede Kellerei hat ihre Philo­sophie, und die zeigt sich insbe­sondere bei der Zusam­men­setzung der Cuvée aus den drei zugelas­senen Rebsorten Pinot Noir (Spätbur­gunder), Chardonnay sowie Pinot Meunier (Schwarz­riesling oder Müllerrebe genannt). Die Roten, die bekanntlich weiß gekeltert werden, bringen die fruchtige Kraft ein; sie sind das Fleisch und die Knochen des Champa­gners.

Die Mitgift des Chardonnays ist die Rasse und florale sowie minera­lische Finesse. Henri Krug, der Meister der gehobenen Champagner-Kompo­sition, hat dafür ein orches­trales Bild geprägt: Der Pinot Noir hat den Part der Strei­cher­gruppe, der Pinot Meunier ist die Tuba, der Chardonnay die Klari­nette. Je nach Zusam­men­setzung der Cuvée ergibt sich der Stil: leicht oder schwer, rustikal oder elegant, zart oder opulent. Generell lässt sich guter von schlechtem Champagner bereits an der Art des Mousseux erkennen. Je feiner die Perlen tänzeln, umso besser. Ein wesent­liches Kriterium ist das Bukett. Feiner Champagner riecht nicht, er duftet. Je nach Typ wird die Nase zart nuancierte Aromen nach Blüten, Aprikosen, Apfel, Linden­blüte, Erdbeere, Haselnuss, Mandel, Zitrone, Vanille und Honig wahrnehmen. Auch Mineralien gehören zum Duftspektrum, ferner Töne, die sanft an frisches oder leicht getoas­tetes Weißbrot erinnern. Schlechter Champagner riecht streng, irgendwie chemisch, auch nach Geranien, Molke, altem Most, feuchtem Papier, Hefe, fauligem Brot und schim­me­ligen Keller. Gute Qualität erkennt man an der Harmonie der Aromen, schlechte schmeckt dishar­mo­nisch, oft süß-säuerlich.

In der Praxis kommt es häufig zu Missver­ständ­nissen. Zwei sind besonders bemer­kenswert:

Irrtum Nummer eins:

Champagner ist ausge­reift, sobald er im Handels­regal steht. Das gilt allen­falls für kleine Standard-Bruts ohne Jahrgang, nicht jedoch für hochwertige Vintage-Champagner oder gar die noblen Prestige-Cuvées (wie „Cristal“ von Roederer, „Dom Perignon“, „La Grande Dame“, „Sir Winston Churchill“ von Pol Roger, Krug, „Comtes de Champagne“ von Taittinger, „Belle Epoque“ von PERRIER-JOUËT etc.). Die gewinnen durch zusätz­liche Lagerung im Privat­keller an Finesse, sie werden feiner, graziler, ohne an Tempe­rament zu verlieren.

Irrtum Nummer zwei:

Champagner passt am besten zur feinen Küche. Das Gegenteil stimmt. Die Kohlen­säure vieler Champagner sprudelt gnadenlos jede Saucen­sub­ti­lität hinweg. Ideale Partner für Champagner – und jeden anderen Schaumwein – sind Speisen mit starkem Aroma à la Pot-au-feu, Rinds­roulade, Würstchen mit Kraut, Salat, Frika­dellen und lauwarmer Kartof­fel­salat, Muscheln in Tomaten­sauce, Schlacht­platte, Sülze mit Bratkar­toffeln, Eintopf. Auch die trendige Tex-Mex-Küche sowie asiatische Gerichte harmo­nieren bestens mit Champagner & Co.

Eines sei jeden­falls dringlich empfohlen: kritisch trinken, vergleichen und sich strikt an Qualität orien­tieren, nicht an vorgeblich großen Namen. Mit Champagner ist es wie beim Kaviar: nur beste Qualität bringt Genuss, bereits die zweite Wahl ist das Geld nicht wert.

Das richtige Glas – Unsere Empfehlung

Ansonsten gibt es keine »Vorschriften« zum Genuss von Champagner. Das Glas sollte tulpen­förmig sein, leicht bauchig und nicht streng zylin­drisch, damit die Aroma­stoffe sich gut entfalten können. Prestige-Cuvées schmecken auch vorzüglich aus bauchigen Gläsern, wie sie ansonsten für Rotweine vom Cabernet-Typ geeignet sind. Abzulehnen sind schmale Flöten, darin können die Aromen nicht erblühen. (Ein besonders negatives Beispiel sind nach Auffassung der Redaktion die Sektkelche von Swarovski, an denen nur der Preis verblüfft.)

Schampus muß in Strömen fließen

Egal, aus welcher Flasche der Korken hüpft, getrunken werden sollte Champagner niemals schlück­chen­weise wie Wein. Das ist der halbe Genuss. Schampus muss in Strömen fließen. Zwei, drei kleine Schlückchen in einem Zug sind der rechte Rhythmus, um die Sinne anzuregen und den Kreislauf zu animieren. Das stimu­liert auch Emotionen, aber bitte, nichts ist angenehmer und macht die Menschen schöner sowie geist­reicher als ein süßer kleiner Champa­gner­schwips.

Das meinte wohl auch Catherine Deneuve mit ihrem poeti­schen Bekenntnis:

„Der erste Schluck – und du sitzt auf einer rosa Wolke und beginnst zu schweben.“

kafel

LESETIPP: Viele Champagner, die die Redaktion probiert hat, sind beschrieben in dem Beitrag:

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