Die (Schaum-)Krone des guten Bier-Geschmacks

17.12.2023
V Lietz

Lesedauer: 3 Minuten

Sept. / Okt. 2017

Die Berliner Craft-Beer-Szene boomt. Nach und nach schießen in den Kiezen der Haupt­stadt neue Bier-Stores und Braue­reien aus dem Boden. Nur ein Großstadt-Hype oder eine echte Bewegung? Wir haben uns auf die Spuren der neuen Berliner Braukunst begeben.

Berlin leistet hier wichtige Pionier­arbeit“, betont Hendrik Sell. Während er spricht, sortiert er feine Biersorten in die Regale seines Ladens, dem Beer:eau @Berlin Beer Academy. Manche von ihnen kosten über 30 Euro. „Craft Beer hat einen Stellenwert von gutem Wein“, erklärt Hendrik. „Da steckt viel Arbeit, Liebe und Handwerk drin, und unsere Kundschaft weiß das.“ Der Laden an der Flanier­meile Fried­rich­straße ist eine Insti­tution unter den Berliner Bier-Stores. Lange vor dem Hype eröffnete die Bier-Somme­lière Sylvia Kopp gemeinsam mit Olav Vier Strawe den Showroom, in dem anfangs ausschließlich geführte Bierver­kos­tungen statt­fanden. Seit Februar ist Hendrik mit im Team und machte aus dem schlicht einge­rich­teten Laden eine gemüt­liche Wallstätte für Bier-Liebhaber – mitsamt Ausschank und einem statt­lichen Sortiment aus aller Welt. Und aus Berlin, versteht sich. 

„Viele unserer Kunden sind Touristen, die die Berliner Biervielfalt kennen­lernen möchten. Sei es bei unseren Tastings oder an einem regulären Barabend“, so Hendrik. Eine dieser beson­deren Bierspe­zia­li­täten ist die Berliner Schneeeule namens Marlene. Hinter der kleinen Brauerei steht Brauerin Ulrike Genz. Seit 2016 arbeitet die Gründerin der Schneeeule-Brauerei am Revival der Berliner Weiße. Damit ist nicht das bunte Sirup-Gemisch gemeint, sondern jenes originale Sauerbier, das selbst Napoleon liebte und es „Champagner des Nordens“ taufte. „Berliner Weiße war einst ein wichtiger Bestandteil des Berliner Lebens und des Alltags und ich würde mich freuen, wenn das auch irgendwann wieder so wird“, so die Brauerin. Um so nahe wie möglich an die Original-Rezeptur zu kommen, verwendet Ulrike Genz so genannte Brett­anomyces-Hefen und setzt auf Flaschen­gärung. Denn ihr Ziel ist ein höheres: „Es geht mir nicht nur um das Bier an sich, sondern auch um die Berliner-Weiße-Kultur. Dass das Bier aus einem anstän­digen Pokal getrunken wird, ist mir genauso wichtig wie die Verwendung der alten Hefen.“ Und das kommt gut an: Bis zum heutigen Tage wurden bereits 80 Hekto­liter Weiße per Hand abgefüllt, verkorkt und etiket­tiert. 

»Unser Antrieb war und ist die Liebe zum Produkt«

Doch warum entstehen seit einigen Jahren so viele Braue­reien in Berlin? „Berlin ist in Deutschland die Stadt mit dem größten inter­na­tio­nalen Publikum“, erklärt Hendrik. „Die Weltof­fenheit der Menschen, die hier leben, ist eine treibende Kraft. Man freut sich über neu inter­pre­tiertes, tradi­tio­nelles ebenso wie über neue Dinge. Doch neben den jungen, aufstre­benden Brauern gibt es in Berlin auch eine Reihe von etablierten Braue­reien, die seit vielen Jahren sehr erfolg­reich Craft Beer brauen – lange, bevor es so genannt wurde“, betont Hendrik.

Eine davon ist die Privat­brauerei Lemke. „Wir haben bereits 1999 angefangen“, erzählt Rochus Hubertus Amerongen von der Privat­brauerei Lemke. „Aller­dings waren die deutschen Konsu­menten zum damaligen Zeitpunkt für Craft Beer noch nicht offen und wir konzen­trierten uns auf ‚normale‘ Biersorten.“ Das habe sich mittler­weile geändert: Und so laufen heute unter dem Namen Lemke drei Gasthaus-Braue­reien mitsamt Biergarten in der Haupt­stadt. Für das Imperial Stout wurde Oliver Lemke vergan­genes Jahr sogar mit einem der weltweit wichtigsten Bierpreise ausge­zeichnet. Trotz des Erfolges hat sich das Credo des Teams aber nicht geändert, betont Amerongen: „Unser Antrieb war und ist die Liebe zum Produkt, die Freude an der Entwicklung neuer Biere mit hoher Drinka­bility und der tolle Geschmack als wesent­liche Prämisse beim Brauen.“

 

Als ernst­zu­neh­mende Konkur­renten zu großen Braue­reien stuft Amerongen die Kreativ­brauer Berlins aller­dings nicht ein: „Craft Beer wird, anders als in Ländern mit einer geringen Anzahl an Braue­reien, in Deutschland ein übersicht­liches Markt­segment bleiben. Wir gehen mittel­fristig von einem Markt­anteil von 5 %–7 % aus“, so der Biersom­melier. Dennoch handele es sich um einen kurzfris­tigen Trend: „Mit dem Aufkommen des Craft Beers ist Bier wieder inter­essant, die Vielfalt überzeugt auch junge Menschen und Bier wird wieder als modernes, inter­na­tio­nales, junges und attrak­tives Produkt wahrge­nommen.“

 

Rock›n›Roll statt Fahrstuhl­musik

Ihren vorzei­tigen Zenit erreichte die Bewegung im Jahr 2016: Stone Brewing, die zehnt­größte Craft Brewery der USA, eröffnete am Rande der Haupt­stadt eine eigene Brauerei mitsamt großem Restaurant und Biergarten. Hier braut Stone nun für den deutschen und europäi­schen Markt. Ein 25-Millionen-Dollar-Projekt, bei dem ein altes Gaswerk in Berlin-Mariendorf umgebaut wurde. Im 115 Jahren alten, 2400 Quadrat­meter großen Gebäude und in den angren­zenden Gärten finden 1200 Gäste Platz, es sind aber auch intimere Räume wie die „Library Bar“ und ein separater Veran­stal­tungssaal einge­plant. Weit entfernt von einem Münchner Hofbräuhaus. Aber genau darum geht es der Berliner Craft Beer Kultur eben. Statt das gängige Einerlei zu bedienen, macht man hier eben alles anders. Oder anders gesagt: Wenn die normale Bierszene Fahrstuhl­musik ist, ist die Berliner Craft-Beer-Szene Rock›n›Roll. 

Friederike Hintze, Angelika Moeller

 

Bezugs­quellen und Braue­reien

Berlin Beer Academy GBR
Claire-Waldoff-Straße 4, 10117 Berlin
(Öffnungs­zeiten: dienstags bis samstags, 14 bis 24 Uhr. Sonntags 14 bis 19:30 Uhr. Montags geschlossen.)

Schneeeule Berlin
Edinburger Straße 59, 13349 Berlin,
Tel: 0176/23229335
www.facebook.com/schneeeule.berlin

Brauerei Lemke Berlin GmbH
Dirck­sen­straße, S‑Bahnbogen 143
10178 Berlin-Mitte, www.lemke.berlin

Stone Brewing
Bistro und Garten
Im Marienpark 23, 12107 Berlin

 

Braukurse in Berlin

Brauerei Flessa
Peters­burger Str. 39 (1. Hinterhof)
10249 Berlin, Tel. 030–23470831
info@brauerei-flessa.de

Brauhaus in Spandau
BIS GmbH, Neuen­dorfer Straße 1
13585 Berlin, Tel. 030–353907‑0
info@brauhaus-spandau.de

Brauhaus Südstern
Hasen­heide 69, 10967 Berlin
Tel. 030–69001624
www.brauhaus-suedstern.de

 

 

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